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"Gutes Klima und zeitweise Schlechtwetter"

Bernd Gräßler29. April 2014

Eine Umfrage zeigt: Das Integrationsklima für Migranten in Deutschland ist freundlicher als allgemein angenommen. Allerdings glaubt die knappe Mehrheit der Befragten nicht, dass der Islam zu Deutschland gehört.

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Migrantinnen in einem berufsbezogenen Sprachkurs - Foto: Sandra Butz (DW)
Bild: DW/S. Butz

Das Integrationsbarometer des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) gilt als seriöses Instrument, die tatsächliche Stimmungslage in der Bevölkerung zu erkunden. Und diese ist besser, als die Schlagzeilen der vergangenen Jahre vermuten lassen. Während Medien und Politik "Stereotype reproduzieren" und "ausgesuchte Einzelfälle polemisch verallgemeinern", so die Wissenschaftler, sei das Integrationsklima unter den Leuten "pragmatisch-positiv". Die Bevölkerung insgesamt bewerte den Stand der Integration in den Teilbereichen Nachbarschaft, Arbeitsmarkt, soziale Beziehungen und Bildung eindeutig mit "gut", zum Teil sogar etwas besser als in den Vorjahren.

Befragt wurden im Sommer 2013 knapp 5700 Personen mit und ohne Migrationshintergrund in den Ballungsräumen Rhein-Ruhr, Stuttgart, Rhein-Main, Berlin-Brandenburg und Halle-Leipzig. Mehrheitlich sind sie beispielsweise der Meinung, dass mehr Zuwanderer als Lehrer, Mitarbeiter in öffentlichen Behörden, Polizisten und Richter eingestellt werden sollten. Auch im Bundestag sollten mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund vertreten sein. Positiv wird mehrheitlich auch die Einführung islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen gesehen.

Die unter anderem vom einstigen Bundespräsidenten Christian Wulff geprägte Feststellung, der Islam sei ein Teil Deutschlands, findet nur bei den Migranten eine knappe Mehrheit, insgesamt wird sie überwiegend nicht geteilt. Die Befreiung vom Schwimm- und Sportunterricht aus religiösen Gründen oder das Tragen von Kopftüchern durch muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen werden ziemlich klar abgelehnt.

Dogma endlich gebrochen

Diskriminierungen und Vorbehalte gegen einzelne Gruppen - Muslime und Roma - sind laut Integrationsbarometer 2014 keine Einzelfälle, insgesamt aber sei "das Diskriminierungsniveau in Deutschland nicht sehr hoch", stellt der Sachverständigenrat fest. "Gutes Klima schließt nicht aus, dass es ab und zu schlechtes Wetter gibt", meint SVR-Geschäftsführer Rolf-Dieter Schnelle. Ein besonderes Problemfeld bleibt die Bildung für Migranten: Zu wenige Schulabschlüsse und beim Lesen und Schreiben liegen Kinder, deren beide Elternteile zugewandert sind, ein Jahr hinter ihren Altersgenossen zurück.

Christine Langenfeld Sachverständigenrat für Integration - Foto: Maurizio Gambarini (dpa)
Expertin Langenfeld: "Liberale Regelungen"Bild: picture-alliance/dpa

Überraschend gut schneiden im Urteil der regierungsunabhängigen Experten von acht deutschen Stiftungen die in den vergangenen Jahren mehrfach veränderten Zuzugsmöglichkeiten für Arbeitsuchende ab. Das Dogma "Keine Einwanderung ohne Arbeitsplatz" sei gebrochen worden, sagt die SVR-Vorsitzende Christine Langenfeld. Deutschland gehöre bei der Arbeitsmigration heute zu den offensten Ländern.

Forderungen nach einem Punktesystem wie in Kanada, die von der Wirtschaft immer wieder erhoben werden, sind aus Sicht der Experten mittlerweile überholt. Bei der Einführung der Blue Card für Hochqualifizierte in der EU habe die deutsche Regierung eine besonders liberale Umsetzung beschlossen. Die von den Zuwanderern nachzuweisenden Mindestgehälter seien moderat, auf einen Vorrang für einheimische Arbeitnehmer habe man verzichtet. Familienangehörige könnten ohne Einschränkungen nachziehen und arbeiten.

Der Wandel Deutschlands zum modernen Einwanderungsland spiegle sich auch darin wieder, dass 2013 ein Zuwanderungsüberschuss von rund 400.000 Menschen registriert werden konnte, so die SRV-Vorsitzende. Trotzdem sei der Zuzug aus Nicht-EU-Ländern noch zu gering. "Luft nach oben" gebe es besonders beim Zuwanderungsmarketing - der gute Inhalt sei immer noch zu schlecht verpackt. Der SRV fordert einen Nationalen Aktionsplan Migration, der eine "Migrationspolitik aus einem Guss" für Deutschland erarbeitet.

Ausländische Arbeitskräfte willkommen

Flüchtlinge gerechter verteilen

Kritisch sehen die Sachverständigen der Stiftungen unter anderem den derzeit im Bundestag vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung über die doppelte Staatsbürgerschaft. Zwar sei es ein Fortschritt, wenn sich in Deutschland geborene und aufgewachsene junge Migranten nicht mehr gegen die eine oder andere Staatsbürgerschaft entscheiden müssten und ihnen der "Doppelpass" zugestanden werde. Doch sollte dies auch für diejenigen Zuwanderer gelten, die sich einbürgern lassen wollten. Es sei unlogisch, wenn ausgerechnet Migranten, die für die Einbürgerung gesichertes Einkommen und Deutschkenntnisse nachweisen und überdies einen Einbürgerungstest bestehen müssen, die doppelte Staatsbürgerschaft verwehrt bliebe.

Der SVR kritisiert auch die derzeitige europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die im Sommer 2013 von der EU beschlossenen Regelungen für Asylverfahren und Schutzstandards würden in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich umgesetzt. Dringend notwendig seien auch eine gerechtere Verteilung der Flüchtlingsströme auf die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU und die Einführung eines zeitweiligen Schutzstatus für Flüchtlinge in akuten Krisensituationen. Damit bliebe diesen der komplizierte Weg über das Asylverfahren erspart und es wäre eine unbürokratische Aufnahme einer großen Zahl von Schutzsuchenden möglich.