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"Banken müssen pleite gehen können"

Andreas Becker31. Januar 2013

Wegen der Finanzkrise stand Island 2008 vor dem Kollaps. Seitdem hat sich das Land gut erholt - weil es alles anders machte als die Krisenstaaten im restlichen Europa. Ein Gespräch mit Islands Präsident Olafur Grímsson.

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Islands Präsident Olafur Ragnar Grimsson (Foto: ddp images/AP Photo/Evan Vucci)
Bild: AP

Vor ein paar Jahren war Island ökonomisch in schlechter Verfassung, in mancher Hinsicht schlechter als Griechenland. Jetzt geht es dem Land wieder viel besser. Wie ist der Wandel gelungen?

Es gibt zwei Hauptgründe dafür, dass wir jetzt wieder auf dem Pfad der Erholung sind, mit wachsender Wirtschaft und relativ niedriger Arbeitslosigkeit. Zum einen haben wir früh gemerkt, dass das nicht nur eine Finanz- oder Wirtschaftskrise war. Es war auch eine tiefe politische, soziale Krise, sogar eine Krise des Rechtswesens.

Deswegen haben wir in all diesen Bereiche Reformen unternommen. Wir wollten für Gerechtigkeit sorgen und auch die Mechanismen verändern, wie Entscheidungen getroffen werden. In vielen anderen Teilen Europas wird die Krise dagegen nur als wirtschaftliches und finanzielles Problem gesehen.

Der zweite Hauptgrund: Wir haben uns nicht an die traditionellen, westlichen Rezepte für den Umgang mit einer solchen Wirtschaftskrise gehalten.

Sie haben zum Beispiel die Banken nicht gerettet.

Genau, wir ließen die Banken bankrott gehen. Ich habe mich oft gefragt: Warum tun wir so, als wären Banken heilige Orte der modernen Wirtschaft? Was unterscheidet Banken von Firmen anderer Branchen, etwa Telekommunikation oder Transport?

Es sind private Firmen, und wenn sie große Fehler machen, sollten sie auch bankrott gehen können. Sonst signalisiert man den Bankern ja, dass sie beliebig große Risiken eingehen können. Haben sie Erfolg, werden sie fürstlich belohnt, scheitern sie, übernehmen die Steuerzahler die Rechnung.

Außerdem haben wir Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Und weil wir unser Sozialsystem schützen wollten, haben wir die ganzen Sparmaßnahmen, zu denen einige Länder in Europa jetzt verpflichtet werden, bei uns nicht eingeführt.

Vor drei oder vier Jahren wurde unsere Politik stark kritisiert, die meisten europäischen Autoritäten aus Wirtschaft und Politik waren dagegen. Aber das Ergebnis ist, dass sich die Wirtschaft in Island viel besser erholt als in jedem anderen Krisenland in Europa.

Stadtansicht der Hauptstadt Reykjavik. (Foto: Dietmar Schäffer)
Die drei Pleitebanken Kaupthing, Landsbanki und Glitnir hatten ihren Sitz in Islands Hauptstadt Reykjavik.Bild: Fotolia/Dietmar Schäffer

Aber Island ist ein Sonderfall - das Land ist sehr klein und kann selbst über seine Währung bestimmen, weil es nicht Mitglied der Eurozone ist.

Natürlich war es hilfreich, dass wir unsere Währung, die Krone, abwerten konnten. Das war wichtig. Aber die anderen Punkte haben damit nichts zu tun. Das Wohlfahrtsystem schützen, die Bürger an sozialen und politischen Reformen beteiligen, die Banken pleite gehen lassen – all das hätten wir auch machen können, wenn wir Mitglied der Eurozone gewesen wären.

Sollten sich die deutsche Bundeskanzlerin Merkel, IWF-Chefin Lagarde und all die anderen Krisenmanager an Island ein Beispiel nehmen?

Die Erfahrungen Islands könnten tatsächlich ein Weckruf für andere sein, ihre Entscheidungen und die etablierten Lehren der letzten 30 Jahre zu überdenken. Die Reaktion des Internationalen Währungsfonds ist sehr interessant. Vor eineinhalb Jahren ging das Krisenprogramm des IWF für Island zu Ende. Bei einer Abschiedskonferenz gaben hochrangige IWF-Vertreter zu, aus den Erfahrungen in Island viel gelernt zu haben.

Sie sagten, die Empfehlungen, die der IWF in solchen Krisen normalerweise ausspricht, würden nun auf den Prüfstand gestellt. Aus den Reden von Christine Lagarde meine ich heraushören zu können, dass sie nun eine etwas andere Sichtweise hat als so manche andere politische Führungsfigur in Europa.

Glauben Sie, dass sich die Sichtweise der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls verändert hat?

Grundsätzlich gebe ich keinen Kommentar zur Politik anderer Länder ab – schon allein, weil ich zu viele Kommentare über mein eigenes Land anhören musste, die nicht gerade von Wissen zeugten.

Ich kann nur die Erfahrung Islands beschreiben, unsere Schwierigkeiten, unsere Lösungsansätze und unsere Erholung. Andere müssen dann entscheiden, ob sie daraus etwas lernen können.

Die geringe Größe Islands spielt dabei keine Rolle, es ist ein hoch entwickeltes westliches Land mit einer modernen Demokratie und Volkswirtschaft. Es lohnt sich daher, die gegenwärtige Krisenpolitik, die in Europa so viele Probleme verursacht, vor diesem Hintergrund zu überdenken.

Was ist aus den isländischen Banken geworden?

Die sind gescheitert und pleite gegangen. Das ist nichts ungewöhnliches und passiert bei normalen Unternehmen ständig. Wir haben dann neue Banken errichtet, um die isländische Wirtschaft zu versorgen. Ich habe nie verstanden, warum Banken in der modernen, globalisierten Wirtschaft einen Sonderstatus haben sollten.

Wird Island der Europäischen Union und der Eurozone beitreten?

Darüber wird in meinem Land seit langem diskutiert, und meistens war eine große Mehrheit dagegen. Als unsere Banken bankrott gingen, dachten wir eine Weile, die Probleme wären als Mitglied der Eurozone leichter zu bewältigen. Heute, rund vier Jahre später, wissen wir aber, dass dem nicht so ist.

Schauen sie sich Nordeuropa mal genau an: Grönland, Island, Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Schweden – keines dieser Länder hat den Euro eingeführt. Die meisten Länder im Norden haben sich für einen anderen Weg entschieden, und es geht ihnen dabei besser.


Das Interview führte Andreas Becker am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.