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Spannung vor ZK-Plenum

Matthias von Hein9. November 2013

Vor einem Jahr wurde Chinas neue Führung installiert. Jetzt soll das Zentralkomitee die Weichen für die Zukunft stellen. Drastische Reformen wurden angekündigt. Die größte Baustelle ist die Wirtschaft.

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China's Premier Li Keqiang delivers a speech at a reception marking the 64th anniversary of China at the Great Hall of the People in Beijing September 30, 2013. China's leaders will lay out plans to transform the world's second-largest economy at a key party meeting in November, leaving the question of how to do it largely unanswered as much of the reform agenda is still a matter of heated internal debate. REUTERS/Jason Lee (CHINA - Tags: POLITICS BUSINESS)
Bild: Reuters

Derartige Töne sind selten bei Chinas staatlicher Nachrichtenagentur Xinhua: "Mit einer schwächelnden Wirtschaft in Verbindung mit einem wachsenden Wohlstandsgefälle, mit grassierender Korruption und vermehrten sozialen Konflikten steht die bevölkerungsreichste Nation der Welt und die zweitgrößte Volkswirtschaft an einem Scheideweg", analysierte Xinhua in seltener Klarheit dieser Tage in einem Kommentar die Probleme des Landes. Um dann gleich zu beruhigen: "Die chinesische Führung ist sich dessen bewusst."

So hat die mediale Begleitmusik vor Beginn der viertägigen Tagung des Zentralkomitees der Partei an diesem Samstag (09.11.2013) geklungen. Rund 85 Millionen Mitglieder hat Chinas Kommunistische Partei. Deren 376 Top-Kader bilden das Zentralkomitee. Das soll nun drastische wirtschaftliche Reformen beschließen - so kündigt es jedenfalls der Xinhua-Kommentar an. In Dutzenden weiteren Kommentaren wird die Bevölkerung in den staatlichen Medien auf einen bevorstehenden Politikwechsel vorbereitet

Partei kündigte "Reformen nie dagewesenen Ausmaßes" an

Die Erwartungen sind also hoch. Geweckt vor allem von der Parteispitze selbst. Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte gegenüber den Teilnehmern des G20-Treffens im September dieses Jahres weitreichende strukturelle Reformen angekündigt - selbst um den Preis eines geringeren Wirtschaftswachstums. Und Ende Oktober noch hatte die Nummer vier der Partei, Politbüromitglied Yu Zhengsheng, von Reformen "noch nicht dagewesenen Ausmaßes" gesprochen - ohne freilich konkreter zu werden, in welchen Bereichen und in welcher Form.

Xi Jinping (Foto: Getty Images)
Präsident Xi Jinping kündigte im September weitreichende Strukturreformen anBild: Getty Images

Vergleiche werden gezogen mit den Tagungen des Zentralkomitees im Dezember 1978 und Ende 1993. Damals hatte Chinas Reformarchitekt Deng Xiaoping seine Pläne von der Parteispitze absegnen lassen - und das Land von Grund auf verändert.

Mehr Markt - weniger Staat

Reformen wären auch jetzt in vielen Bereichen notwendig, betont der Würzburger China-Forscher Björn Alpermann gegenüber der Deutschen Welle. Konkrete Hinweise auf die mögliche Richtung der Reformen lieferte ein Think-Tank des Staatsrates vergangene Woche mit einer Road-Map. Da werden in acht Bereichen weitreichende Änderungen vorgeschlagen: von Finanzen und Außenwirtschaft über Landnutzungsrechte bis zu Fragen einer Sozialversicherung, zu Innovation oder zum Steuerwesen.

Willy Lam ist angesehener China-Experte aus Hongkong und schreibt zur Zeit ein Buch über Xi Jinping. Im Gespräch mit der Deutschen Welle zeigt er sich überzeugt, dass die Beschlüsse des Zentralkomitees nicht sehr weit entfernt von den Vorschlägen des Think-Tanks sein werden. "Im Wesentlichen wird es um die Restrukturierung der Wirtschaft durch die Stärkung der Marktkräfte gehen. Insbesondere soll der private Konsum erhöht werden, um das Wirtschaftswachstum zu stärken."

Mehr Markt, weniger Staat - diese Stoßrichtung könnte auf den Widerstand konservativer Kräfte stoßen. China-Experte Björn Alpermann ist deshalb skeptisch, ob die hochgesteckten Erwartungen tatsächlich erfüllt werden. Alpermann erinnert daran, dass Xi Jinping seit seinem Amtsantritt widersprüchliche Signale ausgesandt habe. Der Würzburger Sinologe nennt zwei Beispiele: "Xi nährte zunächst mit seinen Aussagen Hoffnungen liberaler Reformbefürworter, dass auch politische Veränderungen möglich seien. Diese Ideen wurden schnell unterdrückt. Zweitens hatte die neue Führung angekündigt, das System der sogenannten 'Umerziehung durch Arbeit' abzuschaffen oder doch grundlegend zu verändern. Auch daraus ist nichts geworden."

Geschäftsviertel in Peking (AP Photo/Andy Wong)
Steht China vor Reformen "noch nicht dagewesenen Ausmaßes"?Bild: picture alliance/AP Photo

Auch Willy Lam sieht Probleme, etwa, wenn es um das Aufbrechen der Monopole der großen staatseigenen Betriebe geht: "Premierminister Li Keqiang will, dass Privatbetriebe mit den Staatsbetrieben unter gleichen Bedingungen konkurrieren können. Aber das läuft den Interessen konservativer Kreise in der Partei zuwider und auch den Interessen mächtiger Familien."

Durchsetzungskraft der Zentrale

Selbst wenn entsprechende Beschlüsse gefällt würden, bedeute dies nicht unbedingt einen dramatischen Wandel, sondern eher den Beginn eines lang andauernden Prozesses, gibt Zhang Lifan, Historiker und politischer Kommentator in Peking, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa zu bedenken: "Es gibt viele politische Entscheidungen auf höchster Ebene, die auf lokaler Ebene verändert oder einfach nicht umgesetzt werden."

Mithin geht es um Macht. Entsprechend erwartet Björn Alpermann, dass Xi Jinping das ZK-Plenum nutzen wird, um seine Macht innerhalb der Partei weiter zu festigen. Der China-Experte verweist auf die Anti-Korruptionskampagne. Die hält nun schon deutlich länger an, als vermutet wurde, und hat auch etliche hochrangige Funktionäre zu Fall gebracht. "Xi demonstriert damit, dass die politische Zentrale am längeren Hebel sitzt und ausnahmslos jeden untergeordneten Partei- und Staatskader unter Druck setzen kann", so Alpermann.

Björn Alpermann, Universität Würzburg (Foto: privat)
China-Experte Alpermann: Plenum dient Xi Jinping zur Festigung seiner MachtBild: privat

Was immer die ZK-Tagung bringen wird, politische Reformen sind nicht zu erwarten. Auch hier lohnt sich der Blick in die staatlichen Medien: "Die Kommunistische Partei hat ihre Lektionen aus dem Zerfall der Sowjetunion gelernt."