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Kirchen in der Ukraine

Oliver Hinz13. Juni 2014

Mit Friedensgebeten und Versöhnungsaufrufen antworten die Kirchen in der Ukraine auf die schwere Krise des Landes, die noch längst nicht bewältigt scheint. Ein gutes Image stärkt ihre Sympathie bei den Menschen.

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Bild: picture alliance/Arco Images GmbH

Während der Massenproteste auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, gewannen die Kirchen nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch weiteres Ansehen in der Bevölkerung. Von der Bühne herab sprachen Geistliche zahlreicher Konfessionen den Demonstranten von Dezember bis Februar täglich Mut zu und beteten fast stündlich mit ihnen - auch in den Nächten, als Polizisten den Platz räumen wollten. Doch nun scheinen auch die Kirchen machtlos gegen die Gewalteskalation in der Ostukraine. Eine Vermittlerrolle zwischen den Aufständischen und der Regierung in Kiew trauen auch sie sich nicht zu.

Einzige Institution mit positivem Image

Die Ukraine gehört laut internationalen Statistiken zu den religiösesten Staaten Europas. In den vergangenen Monaten gewann die Religion in der Bevölkerung zusätzlich an Gewicht, sagt der Soziologe Andrij Bytschenko vom Kiewer Rasumkow-Zentrum. Angesichts der Krise, die das Land gegenwärtig erlebe, wendeten sich in der Ukraine nun noch mehr Menschen Gott zu, weil sie für sich "keinen anderen Weg sehen". Gut drei Viertel der Bürger bezeichneten sich in einer aktuellen Umfrage als gläubig. 2013 waren es noch zehn Prozent weniger. Die Kirche ist Bytschenko zufolge die einzige Institution des Landes, die ein positives Image hat. Fast zwei Drittel der Ukrainer vertrauten der Kirche. Ebenso viele meinten, die Kirche spiele eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Nach Konfessionen wird in der Studie des Rasumkow-Zentrums nicht unterschieden. Viele im Land hoffen jetzt, dass die Kirchen Frieden im Land stiften.

Vielfältige Religionslandschaft

In kaum einem anderen Land der Welt ist die religiöse Landschaft so bunt wie in der Ukraine. Es gibt zwei große orthodoxe Kirchen – die eine untersteht dem russischen Patriarchat und die andere hat ihr Machtzentrum in Kiew. Theologisch stimmen beide überein. Sie streiten jedoch seit Jahren vehement um ihren Einfluss im Land. Rund 70 Prozent der Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Nur im Westen des Landes ist die griechisch-katholische Kirche, die dem Papst in Rom untersteht, die größte Konfession.

Bischof Bohdan Dzjurakh
Bischof Bohdan DzjurakhBild: O. Hinz

Mehrfach in der Geschichte versuchten Herrscher aus Russland, Polen-Litauen und Österreich-Ungarn die Kirchenstrukturen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine zu ändern. "Die politische Eroberung unseres Landes wurde immer wieder durch die Vernichtung des kirchlichen Lebens begleitet", sagt Bischof Bohdan Dzjurakh, Sekretär der Bischofssynode der griechisch-Katholischen Kirche, im Gespräch mit der DW. Auch heute polemisierten Befürworter einer sogenannten "russischen Welt" gegen die griechisch-katholische Kirche und das Kiewer Patriarchat.

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Brennende Barrikaden auf dem Maidan bei den Protesten im Februar.Bild: Reuters

Reibereien über Jahrhunderte

Anfang der 1990er Jahre gab es Handgemenge um Sakralbauten. Konfessionen nahmen sich gegenseitig die Kirchen weg. Die oft politisch motivierten Kirchenspaltungen des 16. und 20. Jahrhunderts wecken in der Ukraine bis heute Emotionen. Der Kiewer Großfürst Wladimir hatte sich 988 nach byzantinischem Ritus taufen lassen und das Christentum zur Staatsreligion erklärt. Als die Ukraine ab dem 16. Jahrhundert zum katholisch dominierten polnisch-litauischen Reich gehörte, wünschten sich nicht zuletzt die neuen Machthaber, dass sich die orthodoxen Bischöfe dem Papst in Rom unterstellen. Diesen Schritt vollzog die Kiewer Metropolie 1596, ohne ihren östlichen Ritus aufzugeben.

Heute nennt sich diese Kirche griechisch-katholisch. 1946 verboten die kommunistischen Machthaber die Kirche und gliederten sie in die orthodoxe Kirche ein. Das musste zwangsläufig zum Konflikt um Gotteshäuser führen, als die Kirche nach Jahrzehnten im Untergrund 1989 wieder zugelassen wurde. Die griechisch-katholische Kirche prägte im Westen des Landes seit dem 19. Jahrhundert das Nationalbewusstsein und spielte 1991 eine wichtige Rolle bei der Gründung des unabhängigen ukrainischen Staates.

Die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats entstand erst 1992. Anlass der Gründung war die Ablehnung des Moskauer Patriarchats, der orthodoxen Kirche in der Ukraine die Autokephalie (Eigenständigkeit) zu verleihen.

Spezielles Kalkül?

Wohl auch aus Furcht, die ukrainischen Gläubigen zu verprellen, ging der ansonsten kremlnahe Moskauer Patriarch Kirill im Krim-Konflikt sichtbar auf Distanz zu Staatspräsident Wladimir Putin. Er blieb Putins Jubelrede zur Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel fern. Außerdem schlug er das Krim-Bistum vorerst nicht der russischen Kirche zu, sondern beließ es unter ukrainischer Hoheit. "Der Verlust der ukrainischen Kirche wäre für den Moskauer Patriarchen verheerend. Kiew ist die Wiege der russischen Orthodoxie", betont der Kirchenhistoriker Andriy Mykhaleyko gegenüber der DW. Etwa 30 Prozent der Pfarreien der russisch-orthodoxen Kirche befänden sich in der Ukraine. Die Moskau treue orthodoxe Kirche trete heute so "pro-ukrainisch wie noch nie" auf, so der Experte.

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Vor wenigen Monaten: Barrikadenbau vor religiösen SymbolenBild: Reuters

Die Religionsführer des Landes warben bereits im September 2013 für eine Annäherung der Ex-Sowjetrepublik an die EU. Die Oberhäupter aller großen Glaubensgemeinschaften sprachen sich damals in einer gemeinsamen Botschaft dafür aus, dass das Land "ein unabhängiger Staat im Kreise der freien europäischen Völker" wird.

Einig beim Protest

Im Winter unterstützten alle Kirchen die Bewegung des Euro-Maidan, traten für Menschenrechte, bürgerliche Freiheiten und gegen Korruption und Willkür ein. Auf dem Maidan, dem Kiewer Zentrum der Bürgerproteste, gab es Gebetszelte, auf der Bühne feierten Geistliche Gottesdienste. "Da gab es schon Parallelen zu 1989 in der DDR", sagt Ralf Haska, der Pfarrer der Deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Katharina in Kiew. "Die Kirchen haben hier den Protestierenden Raum gegeben und sie in ihrem berechtigten Protest auch unterstützt."

Deutsche evangelisch-lutherischen St. Katharinengemeinde in Kiew
Ralf Haska, der Pfarrer aus DeutschlandBild: DW/K. Grischko