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Griffiths: "Todesstrafe hält Kreislauf der Gewalt aufrecht"

Gabriel Dominguez /GH18. Dezember 2014

Nach der Attacke der Taliban auf eine pakistanische Militärschule will das südasiatische Land die Todesstrafe wieder einführen. "Das ist nicht die richtige Antwort", sagt David Griffiths von Amnesty International.

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Hängender Strick. (Foto: vkara)
Bild: vkara - Fotolia.com

Deutsche Welle: Was denken Sie über die Entscheidung von Pakistans Premierminister Nawaz Sharif, das Moratorium, das für die Todesstrafe verurteilter Terroristen gilt, wieder aufzuheben?

David Griffiths: Die Attacke auf die Schule in Peschawar war absolut verwerflich, und natürlich müssen diejenigen, die für diese unglaubliche Tragödie verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Doch wieder auf die Todesstrafe zurückzugreifen, ist nicht die Antwort - das ist niemals eine Antwort. Pakistan ist nach den Attacken verständlicherweise fest im Griff von Angst und Wut. Doch das Moratorium für Hinrichtungen wieder aufzuheben, scheint hier eine reflexartige Reaktion, die nicht auf den Kern des Problems, der durch die Peschawar-Attacke ans Tageslicht kam, eingeht - und zwar der effektive Schutz von Zivilisten im Nordwesten Pakistans.

Was sind Ihre größten Bedenken im Hinblick auf eine Aufhebung des Moratoriums?

Die Todesstrafe ist eine der wenigen Menschenrechtsfragen, bei denen Pakistan einen echten Fortschritt in den vergangenen Jahren verzeichnen konnte - anders als viele andere Länder in der Region. Abgesehen von der Hinrichtung eines Soldaten im Jahr 2012 wurde die Todesstrafe in Pakistan seit 2008 nicht mehr vollstreckt. Es ist sehr enttäuschend, dass die Regierung nun plant, diesen positiven Trend wieder umzukehren.

Die Todesstrafe verletzt die Menschenrechte genauso wie Akte des Terrorismus und hält den Kreislauf der Gewalt nur aufrecht. Amnesty International ist gegen die Todesstrafe - egal unter welchen Bedingungen - und auch unabhängig davon, um welches Verbrechen es sich handelt.

David Griffiths Amnesty International. (Foto: Amnesty International)
Griffiths: "Die Aufhebung des Moratoriums würde automatisch hunderte Leben in Gefahr bringen."Bild: Amnesty International

In Pakistan kommt hinzu, dass es ernsthafte Bedenken gibt, was einen fairen Prozessverlauf anbelangt. Das macht die Anwendung der Todesstrafe noch problematischer – viele Todesstrafen stehen am Ende eines nicht fairen Prozesses. Die Todesstrafe wird für Verbrechen verhängt, für die sie nach internationalem Recht nicht angewendet werden darf und auch für Menschen, die zum Zeitpunkt der Straftat unter 18 Jahre alt waren - wieder unter ernsthaftem Verstoß gegen internationales Recht. Die Regierenden sollten auf jeden Fall die Nutzung der Todesstrafe ernsthaft überdenken und sie komplett abschaffen.

Wie viele Menschen, die wegen Terrorismus verurteilt sind, sitzen derzeit in einer pakistanischen Todeszelle? Und was erwartet diese Menschen jetzt?

Die bloße Zahl von Leben, die derzeit in Gefahr sind, macht die Entscheidung der Regierung extrem bedenklich. Pakistan hat eine der höchsten Anzahl an Menschen, die in Todeszellen sitzen: mehr als 8.000. Die Nichtregierungsorganisationen "Reprieve" und "Justice Project Pakistan" gehen davon aus, dass im Dezember 2014 mehr als 800 Gefangene wegen eines terroristischen Aktes verurteilt waren. Die Aufhebung des Moratoriums würde also automatisch hunderte Leben in Gefahr bringen.

Manche Experten sagen, dass nicht-terroristische Vergehen in Pakistan oft trotzdem nach dem Anti-Terror-Gesetz verurteilt werden, um so die Verhandlungen zu beschleunigen. Wie beurteilen Sie diese Vorwürfe? Experten sagen auch, Pakistans Definition von Terrorismus wäre sehr breit.

Es besteht kein Zweifel daran, dass das Anti-Terrorismus-Gesetz missbraucht und falsch angwendet wird, das haben die Organisationen "Reprieve" und "Justice Project Pakistan" aufgezeigt. Das Anti-Terror-Gesetz räumt der Justiz und den Sicherheitskräften umfassende Rechte ein - Verhandlungen werden schnell durchgeführt, ohne, dass die Verteidiger je eine Chance haben sich ausreichend auf den Prozess vorzubereiten. Gleichzeitig werden fundamentale Rechte des Angeklagten unter dem Gesetz außer Kraft gesetzt. Es wurden Bedenken geäußert, dass das Gesetz dazu genutzt wurde, hunderte Menschen, deren mutmaßliche Straftaten nichts mit Terrorismus zu tun haben - darunter auch der Straftatbestand der "Blasphemie", des Raubs oder Kidnappings - zu verurteilen. Diesen Vorwürfen muss nachgegangen werden.

Pakistan Taliban-Überfall auf Schule in Peshawar. (Foto: A Majeed/AFP/Getty Images)
Über 150 Menschen - überwiegend Kinder und Jugendliche - kamen bei der Attacke ums LebenBild: AFP/Getty Images/A Majeed

Eine weitere besorgniserregende Entwicklung stellten wir im Juli dieses Jahres fest, als die Nationalversammlung ein neues Anti-Terror-Gesetz verabschiedet hat, das von Menschenrechtsgruppen breit kritisiert wurde. Das vage formulierte Gesetz verletzt zahlreiche Verpflichtungen Pakistans im internationalen Recht und ermöglicht die Misshandlung von Verdächtigten in Haft.

Worauf sollte sich die Regierung Pakistans stattdessen konzentrieren?

Es ist verlockend für politische Führer in Pakistan und in vielen anderen Ländern auch zu denken, dass die Todesstrafe eine schnelle Lösung für schwerste Verbrechen ist, aber das stimmt einfach nicht. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Todesstrafe als Abschreckung im Vergleich zu anderen Strafen besonders wirksam ist - sie würde lediglich den Kreislauf der Gewalt weiter fördern.

Als Antwort auf die schreckliche Attacke in Peschawar muss sich die Regierung mit dem Mangel an adäquatem Schutz von Zivilisten, die im Nordwesten Pakistans täglich mit solcher Gewalt zu tun haben, beschäftigen.

David Griffiths ist stellvertretender Direktor der Asien-Pazifik-Abteilung von Amnesty International.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.