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"Problem liegt nicht nur bei Migranten"

Vera Kern31. Juli 2014

Auch wenn vor allem Migranten bei Protesten mit antisemitischen Parolen auffallen: Judenhass sei fester Bestandteil der Mehrheitsgesellschaft, sagt Anne Goldenbogen von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.

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Al-Kuds Berlin Anti -Israel Demonstration Palästinenser 25.07.2014
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Auf den Kundgebungen zum Gaza-Konflikt kommt es immer wieder zu Hassausbrüchen und antisemitischen Parolen. Überrascht Sie das Ausmaß des Judenhasses unter den pro-palästinensischen Demonstranten?

Anne Goldenbogen: Dass es emotional aufgeladene Demonstrationen gibt, wundert mich nicht. Aber die Übergriffe, die es in letzter Zeit verstärkt gegen Juden und gegen jüdische Einrichtungen in verschiedenen Städten gegeben hat, überraschen mich durchaus.

Auffällig ist, dass viele junge muslimische Migranten unter den Demonstranten sind. Dort läge die Keimzelle des anti-israelischen Protests, sagen manche Beobachter. Wie verbreitet sind antisemitische Einstellungen unter muslimischen Migranten in Deutschland?

Anne Goldenbogen
Goldenbogen: Antisemitismus war in Deutschland nie wegBild: Privat

Es stimmt, auf den Demonstrationen sehen wir viele muslimische Migranten. Aber ich bestreite, dass hier der Kern des Problems liegt. Die Keimzelle des Antisemitismus ist immer noch die Mitte der Gesellschaft. Und die gerät mir in der aktuellen Diskussion zu sehr aus dem Blickfeld. Denn die wenigen Studien, die es zu Antisemitismus bei Migranten gibt, zeigen: Dort ist der Judenhass nicht weiter verbreitet als in der Mehrheitsgesellschaft. Der Unterschied ist jedoch, dass viele Deutsche sich eher am Stammtisch oder Zuhause antisemitisch äußern. Junge muslimische Männer hingegen tragen ihr Denken lautstark auf die Straße. Sie postulieren das, was eigentlich viele auch denken, aber aufgrund der deutschen Geschichte nicht öffentlich äußern.

Mit Ihrem Verein "KIgA - Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" gehen Sie in Schulklassen, um mit den Jugendlichen über Antisemitismus und Vorurteile zu sprechen. Was bekommen Sie da mit an anti-jüdischen Ressentiments?

"Jude" ist schon seit vielen Jahren ein sehr häufig gebrauchtes Schimpfwort unter Jugendlichen. Da gibt es in Schulen aber inzwischen eine recht hohe Sensibilität. Denn man muss aufpassen: Man kann das Schimpfwort "Du Jude" abwertend meinen. Aber viele plappern es auch einfach nur nach oder wollen damit bewusst provozieren. Die Jugendlichen wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen, um ihre Lehrer auf die Palme zu bringen.

Al-Kuds Berlin Anti-Israel Demonstration Palästinenser 25.07.2014
Teilnehmer einer Berliner Demonstration gegen Israels Militäreinsatz im GazastreifenBild: picture-alliance/dpa

Welche Jugendlichen sind besonders offen für antisemitische Einstellungen?

Es gibt überhaupt keinen monokausalen Zusammenhang zwischen ethnischer Zugehörigkeit und der Ausprägung von Vorurteilen. Wenn man sich die Geschichte anschaut, dann sieht man: Antisemitismus zieht sich durch alle Milieus und Bildungsschichten. Und genauso gab und gibt es überall Menschen, die sich dezidiert dagegen stellen.

Bundespräsident Joachim Gauck sprach im Zusammenhang mit den judenfeindlichen Parolen von einem Antisemitismus, der auch "aus ausländischen Gesellschaften importiert" werde. Teilen Sie diese Ansicht?

Nein, ich halte sie für völlig falsch. Antisemitismus war in Deutschland nie weg, sondern immer ein fester Bestandteil der Mehrheitsgesellschaft. Das aktuelle Problem kann man nicht einfach auf Randgruppen abschieben, die es aus fernen Ländern hierher gebracht haben. Das ist zudem schlicht falsch: Der Großteil der Demonstranten mit Migrationshintergrund ist ja hier geboren.

Zeugt der Judenhass unter jungen Demonstranten mit Migrationshintergrund letztlich auch von einem Versagen der Integrationspolitik?

Dem würde ich durchaus zustimmen. Viele der jungen Menschen fühlen sich von der deutschen Gesellschaft nicht anerkannt. Die Ausuferungen bei den Demonstrationen sind sicherlich teilweise auch eine Reaktion auf Diskriminierungserfahrungen. Die Jugendlichen suchen sich dann eigene Identitätsbezüge, wie jetzt beim Nahostkonflikt: Wenn ich nicht Deutscher bin, dann bin ich eben Araber oder Palästinenser. Aber man darf nicht vergessen: Das betrifft natürlich nicht alle. Nicht alle mit muslimischen Wurzeln gehen auf die Straße und rufen antisemitische Parolen.

Anne Goldenbogen ist Politikwissenschaftlerin und Vorstandsmitglied des Berliner Vereins "KIgA - Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus". An Schulen bietet sie Präventionsprojekte zu Rassismus und Antisemitismus an.

Das Gespräch führte Vera Kern.