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'Naturschutzbiologen spielen nicht Gott'

Caroline Ring/gcg5. Mai 2015

Weltweit sind immer mehr Arten vom Aussterben bedroht. Welche soll da zuerst geschützt werden? Diese Frage hat Global Ideas Benjamin Skolnik gestellt, der für die Organisation Bird Conservancy arbeitet.

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Ein Schwarzbauch-Höschenkolibri
Ein Schwarzbauch-HöschenkolibriBild: Murray Cooper

Global Ideas: Können Sie zuerst einmal erklären, wann eine Art als bedroht gilt?

Benjamin Skolnik: Umweltschutz-Organisationen verwenden dazu global geltende Kriterien der Weltnaturschutzunion ('International Union of Conservation of Nature', IUCN), die bedrohte Arten in ihrer Roten Liste gefährdeter Arten zusammengefasst haben. Ihre Klassifizierung reicht von 'vom Aussterben bedroht' - für die am stärksten bedrohten Tiere - über 'stark gefährdet' und 'gefährdet' bis zu 'potentiell gefährdet'. Alles darunter gilt als nicht gefährdet.

Der Begriff 'bedroht' bezieht sich auf die IUCN-Kategorien 'gefährdet', 'stark gefährdet' und 'vom Aussterben bedroht'. Bei der American Bird Conservancy fokussieren wir unsere internationale Arbeit auf Arten, die stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind.

Wie entscheiden Sie, für welche der Arten Sie Schutzmaßnahmen ergreifen? Geht es vor allem darum, die jeweilige Population zu vergrößern?

Ja, letztlich ist es unser Ziel, die Populationen von stark bedrohten Arten zu vergrößern. Aber zu entscheiden, welche Schritte die richtigen sind, ist recht kompliziert. Wir beziehen viele Faktoren mit ein, wenn wir überlegen, auf welche Art wir unsere Arbeit konzentrieren. Zuerst einmal haben wir nur begrenzte Ressourcen. Dann müssen wir bestimmen, ob wir identifizieren können, was genau diese eine Art bedroht. Können wir einen Plan entwickeln diese Bedrohung abzuwenden? Ist das eine kosteneffiziente Lösung? Zum Beispiel können einige Maßnahmen zu teuer sein und deswegen nicht realisierbar. Wenn der Rückgang einer Art viele verschiedene Ursachen hat, kann es schwierig sein, diese alle gleichzeitig zu eliminieren - deswegen müssen wir unsere Schritte sorgfältig planen.

Mussten Sie jemals den Schutz einer Art über den einer anderen stellen?

Wenn eine andere Art ähnlich stark bedroht ist und man für diese Art Lösungsansätze weiß, fängt man eher an, sich für den Schutz dieser Art zu engagieren. Beispielsweise der Schwarzbauch-Höschenkolibri, eine Art aus Ecuador. Wir haben dort mit der Organisation Fundación Jocotoco zusammengearbeitet, die ein Waldschutzgebiet für diese Art errichtet hat. In den letzten vier bis fünf Jahren haben wir dann aber festgestellt, dass sich der Vogel nur einen Teil des Jahres im Schutzgebiet aufhält. Wir müssen also mehr machen, um diese Art zu schützen - nur wissen wir nicht, wo wir Zeit und Ressourcen investieren müssen.

Während wir dazu mehr Informationen sammeln, haben wir uns weiter für den Schutz anderer Arten eingesetzt. Wir haben unsere Schutzbemühungen auf die Hälfte aller Andenkondore Ecuadors gerichtet und in den Schutz des Pappelwaldsängers investiert, ein wandernder Singvogel, der in den Vereinigten Staaten nistet.

Das ist ein gutes Beispiel, wie wir zwischen zwei Arten entscheiden. Das passiert oft, wenn wir entweder nicht ausreichend Informationen haben oder es noch keine praktikable Lösung gibt. Es ist nicht so, dass Naturschutzbiologen Gott spielen und entscheiden, welche Art gerettet werden soll. Vielmehr gibt es einfach Arten, für die es Lösungsansätze gibt, sowie Interesse und Ressourcen, diese Art zu schützen. Deswegen versuchen wir das und fangen mit diesen an. Weil wir es können.

Warum können Sie nicht zu Ihrem Ziel machen, alle Arten zu retten? Warum ist es notwendig, einige von ihnen hervorzuheben, indem man sie als bedroht einstuft?

Denken Sie an die Vielfalt von Sprachen in der Welt. Einige von ihnen sind eher dominant, wie Deutsch, Englisch, Chinesisch, Japanisch - die Existenz dieser Sprachen steht außer Frage und ist nicht bedroht. Aber es gibt viele indigene Sprachen, die nur noch von einer Handvoll Menschen gesprochen wird. Das wirft die essentielle Frage auf: Interessiert es uns, ob wir diese Vielfalt verlieren? All die Informationen, die diese Sprachen enthalten: Sie mögen einiges erzählen von wichtiger Medizin oder Kultur - mit diesen Sprachen würde ein Teil Geschichte verloren gehen. Der Schutz bedrohter Arten stellt eine sehr ähnliche Frage: Fühlen wir uns wohl damit, einen Teil der biologischen Vielfalt dieses Planeten zu verlieren?

Welche Strategien verwenden Sie, um eine Art zu bewahren oder ihren Bedrohungsstatus herabzusetzen? Wie kann sie vom Aussterben bewahrt werden?

Der wichtigste erste Schritt ist, den Grund zu identifizieren, warum eine Art vom Aussterben bedroht ist. Sehr sehr oft, oder eigentlich fast immer, sind die Bedrohungen einer Art direkt oder indirekt auf menschliche Aktivität zurückzuführen. Unseren Beobachtungen nach haben alle Entwicklungen wie Infrastruktur, Straßen, Städte, Windräder, Abholzung, Landwirtschaft - einfach alle Formen menschlicher Aktivität - schädlichen Einfluss auf die Biodiversität. Unsere Aufgabe ist es, den Einfluss dieser Bedrohungen zu minimieren. Und die immense Herausforderung ist, dass, wenn wir diese Arten für immer schützen wollen, wir auch diese Bedrohungen für immer minimieren müssen. Das ist eine große, niemals endende Aufgabe, an der nicht weniger als die gesamte Menschheit mitarbeiten muss.

Sie koordinieren außerdem die 'Alliance for Zero Extinction' (AZE). Wie arbeitet dieser Verband?

AZE dient als Indikator für einzelne Länder, um zu messen, wie weit entfernt sie mit ihren Schutzbemühungen von den Zielvorgaben der Biodiversitätskonventionen (CBD) sind.
Wir bieten Lösungen für die zentrale Frage: Um welche Art sollten wir uns am meisten Sorgen machen?
Wir haben eine Liste erstellt mit jenen Arten, die vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet sind und nur in einer Region der Welt vorkommen - so können wir diese Orte priorisieren, um das Aussterben von Arten zu vermeiden. Zum jetzigen Zeitpunkt hat AZE 587 Orte identifiziert, an denen insgesamt 920 Arten leben.

Kürzlich haben Sie gemeinsam mit anderen Naturschutzbiologen eine Studie veröffentlicht mit dem Titel 'Möglichkeiten und Kosten von Artenschutz'. Darin steht, dass es durchschnittlich 1,3 Millionen US-Dollar (1,2 Millionen Euro) pro Jahr kostet, um eine AZE-Art vor dem Aussterben zu bewahren. Wie haben Sie diesen Betrag berechnet?

Dazu wurde eine ganze Reihe an Kosten berücksichtigt, einschließlich der ursprünglichen Kosten, um beispielsweise das Schutzgebiet erst zu errichten, zuzüglich der laufenden Kosten für die Verwaltung und Betreuung. Dieser Betrag wurde dann über eine Reihe verschiedener Arten gemittelt. Einige meiner Kollegen kommen aus dem Zoo-Bereich und kennen sich aus mit dem ex situ-Schutz einer Art. Das ist in der Regel teurer, weil es bedeutet, Tiere in einer Unterkunft fernab der Wildnis unterzubringen.
Aber ich denke trotzdem, dass der Durchschnittswert hilfreich ist, denn schon eine Million Dollar pro Jahr ist ein vergleichsweise geringer Betrag, wenn man mal überlegt, was wir auf kommunaler oder nationaler Ebene ausgeben.
Und die Vorteile, die wir vom Artenschutz haben - beispielsweise sauberes Trinkwasser in den Städten durch den Schutz des Waldes - übersteigen Millionen Dollar.

Ein Andenkondor (Foto: CC-BY-SA-3.0: Ltshears)
Ein AndenkondorBild: CC-BY-SA-3.0/Ltshears
Ein Pappelwaldsänger (Foto: CC-BY-SA-3.0/Mdf)
Ein PappelwaldsängerBild: CC-BY-SA-3.0/Ltshears
Benjamin Skolnik, American Bird Conservancy
Benjamin Skolnik arbeitet bei der American Bird ConservancyBild: Benjamin Skolnik