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Glaube macht glücklich

Klaus Krämer18. Dezember 2013

Rainer Schmidt spielt Vorhand und Rückhand meisterlich - aber ohne Hände. Er sagt: "Ich bin glücklich", obwohl er sein Glück nicht mit Händen greifen kann. Gedanklich fassen kann er es schon, ebenso wie seinen Glauben.

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Rainer Schmidt, Serie Glück, Tischtennis
Bild: Dariyoosh Hariri

Ein sichtlich gut gelaunter Mann, graumeliert, kommt mir entgegen. Er reicht mir die Hand. Besser gesagt: Er würde mir die Hand reichen, wenn er Hände hätte. Rainer Schmidt streckt mir den rechten Oberarm entgegen. Was aber noch mehr auffällt als die fehlenden Unterarme, sind der offene Blick, sein gewinnendes Lächeln.

"Ich bin ein glücklicher Mensch", erzählt er wenig später ins Mikrophon. "Mein Glück ist eine Zufriedenheit mit dem, wie mein Leben aussieht. Ich möchte gar nicht so ganz viel ändern." Das sagt ein Mensch, der vor 48 Jahren mit dem Femur-Fibula-Ulna-Syndrom geboren wurde, einer Kombination aus Defekten des Oberschenkelknochens mit einer Fehlbildung der Arme.

Die Lust am Gelingen

Seine glückliche Grundstimmung habe verschiedene Ursachen, sagt #link:http://www.schmidt-rainer.com/:Schmidt.# Er sei immer bestrebt gewesen sein Leben aktiv zu gestalten. Dabei brachte er es zu beachtlichen sportlichen Erfolgen im Tischtennis. Von 1983 bis 2007 errang er allein bei Paralympics, Europa- und Weltmeisterschaften 21 Gold-, acht Silber- und drei Bronzemedaillen in Einzel- und Teamwettbewerben.

Rainer Schmidt
Rainer Schmidt im DW-Studio BonnBild: DW

Der Grundstein dafür wurde während eines eher tristen Urlaubs gelegt. Damals war er zwölf Jahre alt und frustriert, weil er nicht mit den anderen Kindern Tischtennis spielen konnte. "Da kam ein Urlaubsgast auf die Idee, mir einen Schläger mit Schaumstoff und Schnüren an den Arm zu binden. Und das war ein wirkliches Glücksgefühl." Das hat so nachhaltig gewirkt und angehalten, dass er nach dem Urlaub beschloss: "Ich gehe in den Tischtennisverein." Sein Vater habe ihm dann einen besseren Schläger gebaut, der stabiler am Arm befestigt werden konnte. Sein nächster Glücksfall war ein versierter, einfühlsamer Trainer. In der Folgezeit konnte Schmidt immer wieder eine wichtige Eigenschaft bei sich beobachten: "Die Lust am Gelingen, ist das, was mich antreibt und nicht die Angst vor Versagen."

Sport zur Glücksförderung

Rainer Schmidt, Serie Glück, Tischtennis
Bild: Dariyoosh Hariri

Die sportlichen Erfolge blieben nicht aus: "Eines der glücklichsten Ereignisse meines Lebens war Barcelona 1992", erzählt er mit leuchtenden Augen. Bei den Paralympics gewann er vor 12.000 Zuschauern als Außenseiter knapp das Endspiel. "Ich vergesse nie, wie viele Endorphine da in meinem Blut waren – konnte tagelang nicht richtig schlafen, weil ich dachte, jetzt hab ich es geschafft. Es gibt einem ein Gefühl der Stärke." Natürlich habe ein Sportler mindestens so viele Misserfolge wie Erfolge. Bei bitteren Niederlagen seien für ihn die Menschen um ihn herum - Freunde und Arbeitskollegen - immer ganz besonders wichtig gewesen. Menschliche Nähe und Halt zu haben, gehören für Schmidt unbedingt zum Glück dazu. Das sei bis heute so, wenn es mal nicht rund läuft im Leben.

Glücksfaktor Gott

Vor allem anderen aber, so unterstreicht er, gebe ihm der Glaube an Gott Kraft und Zuversicht. "Diese Verbindung mit Gott ist für mich eine tragende Beziehung." Die wurde im Laufe der Jahre so intensiv, dass der gelernte Verwaltungswirt sich entschied Theologie zu studieren. Eines seiner Bücher trägt den bezeichnenden Titel: "Lieber Arm ab als arm dran - Grenzen haben, erfüllt leben".Seine Kernaussage: "Ich habe lieber kurze Arme, als dass ich ein armseliges Leben führe." Es gehe darum, dass zwischen körperlicher Behinderung und Traurigsein kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. "Es müssen schon andere Dinge dazu kommen, um mich unglücklich zu machen."

Rainer Schmidt, Serie Glück, Talar, Kirche
Armlos in ärmelloser DienstkleidungBild: Hsin-Ju Wu

In seiner Jugendzeit habe er schon arg mit Gott gehadert, gesteht Rainer Schmidt. "Wenn du der Schöpfer der Menschen bist, warum hast du mir keine Hände gegeben? ", habe er Gott anklagend gefragt. "Allerdings hat sich dann irgendwann durch viele Erlebnisse die Erkenntnis durchgesetzt, dass das, was ich habe, ganz wertvoll ist."

"Sie dürfen mir den Daumen nicht abschneiden"

Ich habe nur einen kleinen, winzigen Daumen", erzählt der Pfarrer. Wie wichtig der für ihn ist, hat er bereits als Kind gemerkt. Und als er mit elf Jahren zum ersten Mal an den Armen operiert wurde, habe er dem Arzt mindestens fünf Mal eingeschärft: "Sie dürfen den Daumen nicht abschneiden. Sie dürfen auf gar keinen Fall den Daumen abschneiden. Da mache ich so viel mit. Wie oft haben ich schon gedacht: Zum Glück habe ich den! Ein einziger kleiner, runder Daumen, der zudem noch in seinen Fähigkeiten arg eingeschränkt ist." Damit kann er Münzen aus dem Portemonnaie holen, die Brille auf- und absetzen, die Hose hochziehen, einen Stift halten und vieles mehr. "Wenn man begrenzt Ressourcen hat, dann kann es auch dazu führen, dass man dankbar ist für das, was man hat und nicht mehr klagt über das, was man nicht hat." Irgendwann hat sich Rainer Schmidt deshalb entschieden: "Ich möchte mein Leben gerne von der Haben-Seite und nicht von der Defizit-Seite betrachten." Und wenn er dann doch mal einen Blues bekommt, weil er an Grenzen stößt, weil er überfordert ist oder weil eine Beziehung zerbricht, dann ist das "eine Dimension, die ich aushalte – ich verharre aber nicht darin."

Über sich selber lachen

Seit einige Jahren ist der armlose Pfarrer Dozent am Bonner Pädagogisch Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland. Für Schmidt ist sein Job im Arbeitsbereich Integrative Gemeindearbeit die ideale Herausforderung. Er berät in Fragen der Teilhabe geistig behinderter Menschen am kirchlichen Leben.

Rainer Schmidt, Serie Glück, Kabarett
Ein Daumen, der es in sich hatBild: Johannes Hahn

Im Rahmen unterschiedlicher Vortragstätigkeiten entdeckte der vielfach Talentierte im Laufe der Zeit etwas völlig Neues - seine Liebe zum Kabarett. "Kabarett habe ich unabsichtlich gemacht, weil meine Vorträge immer witziger wurden", bekennt er schmunzelnd. Humor habe ganz viel mit einer Selbstdistanz zu tun. Vielleicht ein Grund dafür, dass er lieber Witze über sich selbst macht als über andere. Mehr als 50 Probevorstellungen sind in den vergangenen eineinhalb Jahren bereits über diverse Bühnen gegangen. Im März soll dann offizielle Premiere sein. Und wie heißt das Programm dieses glücklichen Menschen? "Däumchen drehen – Keine Hände keine Langeweile".

Nachdem mir Rainer Schmidt zum Abschied mit einem Lächeln den Oberarm gereicht hat, gehe ich zurück an meinen Schreibtisch – nachdenklich, bereichert und irgendwie ein bisschen glücklicher.