1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gewerkschaft ohne Machtbasis

Jeanette Seiffert7. Januar 2014

Seit Monaten fordert die Gewerkschaft Verdi vom Versandhändler Amazon höhere Löhne. Doch nun haben sich über tausend Mitarbeiter von den Streiks distanziert. Kämpft die Gewerkschaft auf verlorenem Posten?

https://p.dw.com/p/1AmSX
Weste eines Demonstranten (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich arbeite gerne hier, das Arbeitsklima ist super", sagt ein junger Amazon-Mitarbeiter in die Kamera. "So gute Arbeitsbedingungen findet man fast nirgends", pflichtet ihm eine ältere Kollegin bei: "Für mich ist das hier das Paradies." Es sind regelrechte Lobeshymnen, die Mitarbeiter in einem firmeneigenen Videokanal auf Youtube über ihren Job beim Amazon-Logistikzentrum in Bad Hersfeld anstimmen. Die Arbeit werde individuell auf den Mitarbeiter zugeschnitten, überfordert sei niemand. Daneben finden sich auf der Videoplattform Youtube einige Amateurvideos, in denen andere Amazon-Beschäftigte betonen, dass sie die Aktionen der Gewerkschaft Verdi ablehnen: "Verdi will Amazon platt machen", sagt ein grimmig dreinblickender junger Mann. "Aber ich bin froh, dass ich diesen Job habe."

Es ist Streik, und keiner geht hin?

Die bemerkenswerte Solidarität der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber steht in krassem Widerspruch zu dem Bild, das in der Öffentlichkeit von der Stimmungslage und den Arbeitsbedingungen bei dem US-Versandriesen gezeichnet wird. Seit Monaten steht Amazon in Deutschland in der Kritik, wegen geringer Bezahlung, Dauerstress und schlechter Stimmung in der Belegschaft.

Wenn die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi allerdings in den vergangenen Wochen zum Streik aufrief,ließen sich nie mehr als ein paar hundert Mitarbeiter motivieren. Verdi will für sie einen eigenen Tarifvertrag durchsetzen, dessen Löhne sich am Versandhandel orientiert - im Moment zahlt Amazon in Anlehnung an die niedrigeren Tarife in der Logistikbranche. Jetzt wehren sich über tausend Mitarbeiter in einer Unterschriftenaktion gegen die "negative Darstellung" ihres Unternehmens in den Medien. Sie wollen T-Shirts drucken lassen mit der Aufschrift "Pro Amazon", um zu demonstrieren, dass sie nicht hinter den Verdi-Streiks stehen.

Arbeiterin im Amazon-Logistikzentrum in Pforzheim (Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)
Paradies oder Arbeitshölle? Amazon-Logistikzentrum in PforzheimBild: picture-alliance/dpa

Gesteuerte Unterschriftenaktion?

Der Arbeitsmarktforscher Luitpold Rampeltshammer ist verwundert über den unerwarteten Sympathie-Anfall der Amazon-Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber: Er könne zwar verstehen, dass einige Mitarbeiter Angst um ihren Job hätten, meint der Leiter der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der Universität des Saarlandes. "Aber im Kern geht es ja um höhere Löhne. Und da stellt sich für mich schon die Frage: Was treibt diese Arbeitnehmer um? Wurden sie unter Druck gesetzt?"

Für Martina Sönnichsen von Verdi ist die Sache klar: Das Image des Online-Händlers habe durch die Medienberichte in der deutschen Öffentlichkeit sehr gelitten. "Jetzt versucht Amazon, das wieder aufzupolieren." Das sei zwar das gute Recht eines Unternehmens - allerdings sei es sehr zweifelhaft, auf welche Art und Weise Amazon seine Mitarbeiter instrumentalisiere. "Wir haben von Beschäftigten gehört, dass diese Unterschriften zum Teil unter Aufsicht des Managements eingeholt worden sind", sagte die Verdi-Sprecherin im DW-Interview.

Unterschriftenaktion vor Amazon-Zentrum für bessere Arbeitsbedingungen (Foto: Uwe Zucchi/dpa)
Gewerkschaften nicht erwünscht: Verdi sammelt Unterschriften für besserer ArbeitsbedingungenBild: picture-alliance/dpa

Sehr amerikanisches Unternehmen

Das Management von Amazon verwehrt sich gegen diese Vorwürfe. "Es ist respektlos, zu behaupten, dass die mehr als 1.000 Mitarbeiter, die sich hier engagieren, keine eigene Meinung haben. Wir respektieren, dass Menschen ihr Streikrecht in Anspruch nehmen - genauso sollte eine solche Unterschriftenaktion von der Gewerkschaft respektiert werden." erklärt das Unternehmen in einer schriftlichen Stellungnahmen gegenüber der DW. Was Verhandlungen mit Verdi betrifft, bleibt Amazon seiner bisherigen Linie treu: "Wir sehen keinen Anlass, mit Verdi in Verhandlungen zu treten", ist in einer anderen Presseerklärung zu lesen. "Wir reden lieber mit unseren Mitarbeitern direkt."

Der Arbeitsmarktforscher Luitpold Rampeltshammer hat eine einfache Erklärung für diese für deutsche Verhältnisse sehr kaltschnäuzige Äußerung: "Amazon ist ein US-amerikanisches Unternehmen mit sehr amerikanischen Ansichten darüber, wie man mit den Interessen der Beschäftigten und mit Arbeitnehmervertretungen umgeht." Das in Deutschland traditionell starke System der Mitbestimmung sei US-Firmen oft fremd.

Keine Verhandlungsmacht bei Verdi

Werner Eichhorst vom privaten Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit glaubt, dass es Verdi weiterhin schwer fallen wird, Druck auf Amazon auszuüben: "Das Problem der Gewerkschaft ist, dass sie nicht genügend Macht hat, einen Streik durchzusetzen, der das Unternehmen wirklich trifft", meint der Wissenschaftler. Dafür gibt es aus seiner Sicht zwei Gründe: Zum einen sei es in dieser Branche schwierig, durch einen Streik genügend Druck zu machen, so Eichhorst im DW-Interview. Bei einem Autobauer kostet es schnell mehrere Millionen, wenn die Fließbänder in einer Fabrik still stehen - und wenn Beschäftigte in Krankenhäusern, bei der Müllabfuhr oder bei der Bahn streiken, "dann hat das größere Folgen, als wenn Pakete ein paar Tage später ankommen."

Werner Eichhorst, Arbeitsmarktexperte. Foto: JACQUES DEMARTHON /AFP/Getty Images)
Arbeitsmarktexperte Eichhorst: Der einzelne Arbeitnehmer hat keine ChanceBild: Jacques Demarthon/AFP/Getty Images

Zum anderen hat Verdi einfach nicht genügend Gewerkschaftsmitglieder in der Amazon-Belegschaft. Gewerkschaften täten sich in der Dienstleistungsbranche insgesamt schwer, insbesondere Mitarbeiter mit geringer Qualifikation davon zu überzeugen, dass Gewerkschaften wichtig sind. Denn davon ist der Wissenschaftler überzeugt: "Der einzelne Arbeiter hat in diesem Bereich keine Chance, seine Interessen durchzusetzen. Dafür muss er sich organisieren."