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Gewalt in Syrien eskaliert weiter

Claudia Witte12. September 2013

Ein Land in der Abwärtsspirale: Auch der aktuelle Bericht der Syrien-Untersuchungskommission listet schwerste Verbrechen auf. Passiert ist bisher trotzdem nichts. Welchen Sinn hat die Dokumentation dann noch?

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Gewalt in Syrien (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Khalil Ashawi

Der Konflikt in Syrien hat eine weitere gefährliche Wendung genommen. Die Feindseligkeiten werden mit größerer Härte ausgefochten als je zuvor und sie drohen die gesamte Region in einen Strudel der Gewalt zu ziehen. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Bericht der Syrien-Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats. Auf der Basis von Interviews mit Zeugen und Betroffenen hat die aus vier unabhängigen Völkerrechtsexperten bestehende Kommission rekonstruiert, was sich in den letzten Monaten in Syrien zugetragen hat. Wie schon in der Vergangenheit hat die Regierung in Damaskus die Kommissionsmitglieder auch dieses Mal nicht selbst ins Land reisen lassen.

Der Bericht zeichnet ein pechschwarzes Bild von der Lage in Syrien im Untersuchungszeitraum von Mitte Mai bis Mitte Juli. Und auch diese Darstellung ist von der Realität schon wieder eingeholt worden, erklärt Kommissionspräsident Paulo Pinheiro: "Der vermutete Einsatz von Chemiewaffen im August hat der Diskussion über die angemessene internationale Reaktion neue Dringlichkeit verliehen." Pinheiro warnt davor, dass die Empörung über den Einsatz von Giftgas den Blick auf andere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Syrien verdecken könnte und stellt klar: "Die meisten Toten und Verletzten gehen auf das Konto von illegalen Angriffen mit konventionellen Waffen."

Steigerung der Gewalt

Was den Giftgaseinsatz vom 21. August in den östlichen Vororten von Damaskus angeht, so legt sich die Kommission bei der Bewertung Zurückhaltung auf. Offensichtlich wollen die Experten dem in diesen Tagen erwarteten Abschlussbericht der UN-Chemiewaffeninspektoren nicht vorgreifen. Für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch steht mit ziemlicher Sicherheit fest, dass das Giftgas-Massaker auf das Konto des Assad-Regimes geht. Zahlreiche Indizien würden auf eine Täterschaft der syrischen Regierung hinweisen, erklärte in Genf Peter Boukaert, Krisenexperte von Human Rights Watch. Der Einsatz von Chemiewaffen folge einer Strategie der Eskalation auf Seiten der Regierungstruppen.

Russische Luftabwehrraketen: Sie sollen im Besitz des syrischen Militärs sein (Foto: dpa)
Erst Gewehre, schließlich Raketen und GiftgasBild: picture-alliance/dpa

"Schritt für Schritt hat die syrische Regierung immer schwerere Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt", führt er aus. "Am Anfang schossen sie mit Gewehren auf Demonstranten. Dann setzten sie schwerere Geschütze ein und als nächstes warfen sie Bomben aus Flugzeugen ab." Anschließend hätten sie Streubomben eingesetzt, dann Brandbomben und schließlich Raketen, mit denen sie ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht hätten. "Und jetzt sehen wir den Einsatz von Chemiewaffen."

"Hier sind alle schlimm"

Die Untersuchungskommission unterscheidet in ihrem neuesten Bericht penibel zwischen Massakern, Gewaltakten und Kriegsverbrechen auf Seiten der Regierungstruppen und solchen auf Seiten der Aufständischen. Unterm Strich aber ähneln sich die Auflistungen stark. Mord, Folter, sexuelle Gewalt, Geiselnahmen: Alle Konfliktparteien haben sich hier schuldig gemacht. Kommissionsmitglied Carla del Ponte bezeichnet das Ausmaß der Verbrechen im Syrien-Konflikt als "unglaublich".

"Normalerweise unterscheidet man ja gute und schlechte politische Kräfte. Aber ich sage Ihnen: hier gibt es keine guten Kräfte. Hier sind alle schlimm", erklärte sie kurz vor der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts. "Das heißt, dass nicht nur die Regierungstruppen für Verbrechen verantwortlich sind. Auch die Rebellen begehen schwere und unglaubliche Verbrechen." Als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien dürfte Carla del Ponte mit solchen Grausamkeiten vertraut sein, aber was sich derzeit in Syrien abspiele, sagt sie, sprenge jeden bekannten Rahmen: "So etwas habe ich noch nicht gesehen. Ich habe noch nie solche Folterpraktiken gesehen wie in Syrien, nicht einmal im Umfeld der Balkankriege."

Kommissionsmitglied Carla del Ponte (Foto: Reuters)
Carla del Ponte kann die Eskalation der Gewalt nicht fassenBild: Reuters

Plädoyer für weitere Berichte

Seit zwei Jahren dokumentiert die Untersuchungskommission jetzt Menschenrechtsverletzungen in Syrien und muss ohnmächtig zur Kenntnis nehmen, dass sich die Lage von Woche zu Woche verschlechtert. Die bisherigen Berichte hätten keinen einzigen Täter abgeschreckt, niemand würde sich fürchten, irgendwann zur Rechenschaft gezogen zu werden, stellen die Experten in ihrer Dokumentation nüchtern fest. Trotzdem müsse die Dokumentation weitergehen, findet Peter Boukaert von Human Rights Watch.

Die Untersuchungsberichte seien kein Ersatz für ein entschlossenes Handeln der internationalen Staatengemeinschaft im Syrien-Konflikt. Ihre Funktion sei vielmehr die eines Alarmsignals: "Wenn es jemals ein klares und überzeugendes Argument für die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements der internationalen Gemeinschaft gegeben hat, damit das Töten in Syrien endlich aufhört, dann ist es die erschreckende Dokumentation von Verbrechen, die die Syrien-Untersuchungskommission hinterlässt."