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Geteilte Meinung zum Mindestlohn

Sabine Kinkartz25. September 2013

Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag wird ein Mindestlohn wahrscheinlicher. Grundsätzlich sind alle Parteien dafür. Forscher halten die angestrebten 8,50 Euro allerdings für zu hoch.

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Eine Putzfrau hält in ihrer Hand den Stundenlohn von 3,20 Euro. Foto: Patrick Pleul dpa
Bild: picture alliance/dpa

Was sollte ein Arbeitnehmer pro Stunde mindestens verdienen? Die Ansichten darüber, aber auch die gesetzlichen Festlegungen, gehen weit auseinander. In Ungarn, der Slowakei, Litauen und Lettland sind es nicht einmal zwei Euro. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden liegt der Mindestlohn bei über neun Euro, in Luxemburg sind es sogar fast elf Euro. In Deutschland hingegen gibt es nur für bestimmte Berufsgruppen tarifliche Mindestlöhne.

Das stößt inzwischen sogar der Bundeskanzlerin sauer auf. "Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen im Dienstleistungsbereich, die mit 40 Stunden Arbeitszeit voll erwerbstätig sind - zum Beispiel als Koch in meinem Wahlkreis auf der Insel Rügen -, wie selbstverständlich zur Arbeitsagentur gehen, um sich den Rest der Bezahlung zu holen. Das ist nicht in Ordnung", sagte Angela Merkel im Juni dieses Jahres beim Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI.

Mindestlöhne rücken näher

Die FDP kann nicht mehr bremsen

Allerdings hält die CDU-Vorsitzende nichts von der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Den fordern die SPD und die Grünen und stellen sich einen Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro vor. Die Linken fordern sogar 10 Euro. CDU und CSU schweben hingegen branchenbezogene Lohnuntergrenzen vor, in erster Linie für Arbeitnehmer ohne Tarifbindung. Mit ihrem bisherigen Koalitionspartner, der FDP, war aber selbst das nicht durchzusetzen, denn die Liberalen lehnen Mindestlöhne grundsätzlich ab.

Generellen Zuspruch erfahren die Befürworter einer Lohnfestsetzung aber auch nicht beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke warnt vor pauschalen Festsetzungen und verweist auf andere Länder. "In Großbritannien gibt es beispielsweise Differenzierungen nach dem Alter und es gibt gewiss auch Differenzierungen nach der Qualifikation. In den USA hat man eine Differenzierung nach der Region."

Arbeitnehmer würden grundsätzlich profitieren

Brenke und sein Co-Autor Kai-Uwe Müller haben den internationalen Forschungsstand zu Mindestlöhnen gesichtet und mit Blick auf Deutschland analysiert. Dabei kommen sie in einer jetzt vorgelegten Studie zu dem Ergebnis, dass bei der pauschalen Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro 5,6 Millionen aller derzeit abhängig Beschäftigten eine Lohnerhöhung erhalten müssten. In den alten Bundesländern wären es 15 Prozent der Arbeitnehmer, im Osten mehr als ein Viertel.

Auf den ersten Blick, so Müller, hätte das durchaus positive Wirkungen. "Ein Mindestlohn wird sicherlich die Lohnverteilung beeinflussen und Lohnungleichheit im untersten Bereich reduzieren helfen." Allerdings nur, wenn eine Lohnuntergrenze keine Auswirkung auf die allgemeine Beschäftigungssituation habe. "Sollte die Beschäftigung reduziert werden, dann würde sich das natürlich auf die Einkommen auswirken und diese verringern."

Haushaltseinkommen würden nicht steigen

Die Lohnsumme in Deutschland würde mit der Einführung eines Mindestlohns um drei Prozent steigen. Das sei allerdings viel zu wenig, um die Kaufkraft insgesamt zu erhöhen, heißt es in der Studie. Zudem stellen Brenke und Müller infrage, dass durch einen Mindestlohn Armut und Einkommensungleichheit in Deutschland signifikant verringert würden.

Empfänger von Niedriglöhnen würden nicht unbedingt in einkommensschwachen Haushalten leben, sondern seien zu 40 Prozent in Minijobs beschäftigt und zu 20 Prozent in Teilzeit. Minijobber dürfen in Deutschland steuerfrei 450 Euro im Monat verdienen. Oft würden die Partner gut verdienen, sodass bei einem insgesamt steigenden Haushaltseinkommen auch die Steuerbelastung steige und netto nicht unbedingt mehr übrig bleibe.

Eine rote Plakat-Hand mit der Aufschrift Mindeslohn. Im Hintergrund eine Demonstration des DGB. Foto: Fabian Bimmer dpa/lno +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bild: picture alliance/dpa

Auch für diejenigen, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung zusätzliche staatliche Leistungen in Anspruch nehmen müssten, sei ein Mindestlohn auch nicht unbedingt hilfreich, sagt Arbeitsmarktexperte Brenke. "Viele Aufstocker mit einem Vollzeitjob bekommen zusätzliche Leistungen nicht etwa deswegen, weil sie einen besonders niedrigen Stundenlohn haben." Der Stundenlohn liege oftmals gar nicht unter der Summe, die jetzt als Mindestlohngrenze diskutiert werde. "Aber oft sind mehrere Personen im Haushalt zu versorgen und dann reicht dieses eine Einkommen nicht aus."

Schock für kleine Betriebe

Brenke und Müller haben sich in ihrer Studie aber nicht nur Gedanken über die Arbeitnehmer gemacht, sondern auch über die Folgen für die Arbeitgeber. Die Einführung von Mindestlöhnen würde demnach vor allem Kleinbetriebe mit bis zu vier Mitarbeitern treffen, in der Mehrzahl in Ostdeutschland. Vor allem Dienstleister wie Bäcker oder Gastronomen, aber auch Landwirte und Callcenter müssten ihren Mitarbeitern mehr zahlen.

Nach Berechnungen der Forscher würde die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro für manche Betriebe eine Steigerung der Lohnsumme von bis zu 20 Prozent bedeuten. Das halten sie für zu hoch und plädieren stattdessen für einen vorsichtigen Einstieg, beispielsweise mit sieben Euro. Wenn das funktioniere, könne man die Grenze weiter hochsetzen.

Friseurmeisterin Birgit Hartbauer frisiert am 17.04.2013 in Würzburg (Bayern) einer Kundin die Haare. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa (zu dpa-KORR: «Friseur-Mindestlohn? Klar! - «Aber es muss in die Köpfe der Kunden»» vom 20.04.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Für Friseure steigen die Stundenlöhne bereits - bis 2015 auf mindestens 8,50 EuroBild: picture-alliance/dpa

Als Fazit ihrer Studie stellen die Forscher fest, dass die Einführung eines Mindestlohns nicht ohne Kosten zu haben sei. "Ob es die Beschäftigung ist, ob es hohe Konsumgüterpreise oder niedrigere Gewinne bei den Unternehmen sind – irgendjemand bezahlt die Rechnung", bilanziert Kai-Uwe Müller. "Die ein wenig in der öffentlichen Debatte suggerierte Wirkung, dass es eine Win-win-Situation sei, ist in dem Zusammenhang ein bisschen irreführend."

Den Politikern, die jetzt über die Einführung eines Mindestlohns verhandeln werden, geben Müller und Brenke allerdings noch einen weiteren wichtigen Punkt mit auf den Weg. Ihrer Meinung nach müssten in Deutschland sogenannte Minijobs abgeschafft werden. Zudem sollten Werkverträge nicht stärker ausgeweitet werden dürfen. Denn viele Betriebe würden versuchen, ihre Arbeitnehmer in diese Beschäftigungsverhältnisse hineinzudrängen, wenn ein Mindestlohn in Deutschland eingeführt werde.

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