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Papst-Rede 1988

Klaus Krämer24. November 2014

Am Dienstag hörte das politische Europa gespannt zu bei der Rede von Papst Franziskus in Straßburg. Als bislang erster und einziger Papst hat Johannes Paul II. im Oktober 1988 vor dem Europaparlament gesprochen.

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Papst Johannes Paul II Rede vor dem europäischen Parlament in Straßburg 1988
Papst Johannes Paul II. in StraßburgBild: picture-alliance/dpa

Ein Jahr vor dem Fall der Mauer äußerte das aus Polen stammende römisch-katholische Kirchenoberhaupt den Wunsch nach einer Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft im slawischen Teil Europas. Papst Johannes Paul II. erinnerte an die religiöse Grundlage des Kontinents.

Die Deutsche Welle dokumentiert Auszüge aus der in französischer Sprache vorgetragenen Rede des polnischen Papstes:

* * *

Das Europa von heute kann mit Sicherheit als ein Zeichen der Zeit den Zustand von Frieden und Zusammenarbeit auffassen, der endgültig hergestellt ist unter seinen Mitgliedsstaaten, die durch Jahrhunderte ihre Kräfte in Kriegen und in der Suche nach Vorherrschaft des einen über den anderen erschöpft hatten. Zeichen der Zeit sind weiterhin die gewachsene Sensibilität für die Menschenrechte und den Wert der Demokratie; dies verkörpert Ihr Parlament und dafür will es auch Garant sein.

(...)

Der Binnenmarkt, der Ende 1992 in Kraft tritt, wird den europäischen Integrationsprozess beschleunigen. Eine gemeinsame politische Struktur aus dem freien Willen der europäischen Bürger wird - weit davon entfernt, die Identität der Völker der Gemeinschaft zu gefährden - besser imstande sein, die Rechte, namentlich die kulturellen, aller Regionen Europas angemessen zu gewährleisten. Diese vereinigten europäischen Völker werden nicht die Herrschaft einer Nation oder einer Kultur über die andere zulassen, sondern werden das gleiche Recht für alle behaupten, sich gegenseitig durch ihre Verschiedenheit reicher zu machen.

Die Reiche der Vergangenheit, die ihre Vormachtstellung auf Zwang und Assimilation zu gründen versuchten, sind alle gescheitert. Ihr Europa wird der freie Zusammenschluss aller seiner Völker sein und die Verbindung des vielfältigen Reichtums seiner Verschiedenheit. Andere Völker werden sich mit Sicherheit denjenigen anschließen können, die heute hier vertreten sind. Mein Wunsch als oberster Hirte der Universalkirche, der aus Osteuropa gekommen ist und der die Wünsche der slawischen Völker kennt - dieser anderen "Lunge" unserer europäischen Heimat -, mein Wunsch ist es, dass Europa sich souverän freie Institutionen gibt und eines Tages sich in die Dimensionen entfalten kann, die die Geographie und mehr noch die Geschichte ihm gegeben haben.

(...)

Die europäischen Nationen haben sich in ihrer Geschichte alle ausgezeichnet durch ihre Weltoffenheit und den lebenswichtigen Austausch, den sie mit den Völkern anderer Kontinente unterhalten. Niemand vermag sich vorzustellen, dass ein vereintes Europa sich in seinem Egoismus verschließen könnte. Wenn Europa mit einer einzigen Stimme spricht und seine Kräfte bündelt, wird es in der Lage sein - mehr noch als in der Vergangenheit - neue Ressourcen und Energien der großen Aufgabe der Entwicklung der Länder der Dritten Welt zu widmen, besonders der Länder, die schon traditionelle Beziehungen mit Europa unterhalten.

(...)

Der Gläubige ist der Auffassung, dass der Gehorsam gegen Gott die Quelle der wahren Freiheit ist, der Freiheit, die niemals willkürlich und ohne Ziel und Zweck ist, sondern Freiheit für die Wahrheit und das Gute - diese beiden Größen, die immer die Fähigkeit des Menschen übersteigen, sie vollkommen zu besitzen. Auf ethischem Gebiet äußert sich diese grundlegende Haltung in der Annahme von Prinzipien und Verhaltensnormen, die sich der Vernunft aufdrängen oder die der Autorität von Gottes Wort entstammen, über das der Mensch - individuell oder kollektiv - nicht auf seine Weise - nach Moden und wechselndem Interesse - verfügen kann.

Papst Johannes Paul II Rede vor dem europäischen Parlament in Straßburg 1988
Bild: picture-alliance/dpa

(...)

Von manchen wird die bürgerliche und politische Freiheit, die einst durch einen Umsturz der alten, auf den religiösen Glauben gegründete Ordnung errungen wurde, immer noch so aufgefasst, als bedinge sie die Verdrängung der Religion an den Rand der Gesellschaft, ja sogar ihre Unterdrückung, da man in ihr ein System der Entfremdung zu sehen geneigt ist. Für manche Gläubige wäre umgekehrt ein Leben nach dem Glauben nur möglich durch eine Rückkehr zu dieser alten - übrigens oft idealisierten - Ordnung. Diese beiden entgegengesetzten Haltungen führen nicht zu einer mit der christlichen Botschaft und dem Genius Europa zu vereinbarenden Lösung. Denn wenn bürgerliche Freiheit herrscht und die religiöse Freiheit voll gewährleistet ist, kann der Glaube nur an Kraft gewinnen, indem er die Herausforderung annimmt, die der Unglaube an ihn richtet; und der Atheismus kann seine Grenzen nur vor der Herausforderung ermessen, die der Glaube an ihn richtet.

(...)

Das Christentum hat in der Tat die Berufung zu öffentlichem Bekenntnis und aktiver Präsenz in allen Lebensbereichen. So ist es auch meine Pflicht, folgendes mit Nachdruck zu unterstreichen: Wenn die religiöse und christliche Grundlage dieses Kontinents in ihrer Funktion als inspirierende Quelle der Ethik und in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit an den Rand gedrängt werden sollte, dann würde nicht nur das gesamte Erbe der europäischen Vergangenheit geleugnet, sondern - mehr noch - wäre eine Zukunft für den europäischen Menschen - ich sage, für jeden europäischen Menschen, gläubig oder ungläubig, - schwer gefährdet.

Zum Abschluss möchte ich drei Bereiche in Erinnerung rufen, in denen - wie mir scheint - das integrierte Europa von morgen - offen zum Osten des Kontinents hin, großzügig gegenüber der anderen Hemisphäre - wieder die Funktion eines Leuchtturms in der Weltzivilisation einnehmen sollte:

- Zunächst die Versöhnung des Menschen mit der Schöpfung, indem er darauf achtet, die Unversehrtheit der Natur zu bewahren, ihre Fauna und ihre Flora, ihre Luft und ihre Flüsse, ihre subtilen Gleichgewichte, ihre begrenzten Ressourcen, ihre Schönheit, die die Herrlichkeit des Schöpfers preist;

- ferner die Versöhnung des Menschen mit seinesgleichen, indem er die Europäer aus verschiedenen kulturellen Traditionen und geistigen Familien sich untereinander gegenseitig akzeptieren, aufgeschlossen gegenüber dem Fremden und dem Flüchtling, in Offenheit gegenüber dem geistigen Reichtum der Völker anderer Kontinente;

- schließlich die Versöhnung des Menschen mit sich selbst; ja, die Bemühung, eine umfassende und vollständige Sicht des Menschen und der Welt wiederherzustellen, gegen die Kulturen der Verdächtigung und der Entmenschlichung, eine Sichtweise, bei der die Wissenschaft, die technische Kapazität und die Kunst den Glauben an Gott nicht ausschließen, sondern dazu herausfordern.

(Quelle: Osservatore Romano, deutsch in Übersetzung aus dem Französischen)