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Geringe Wahlbeteiligung als Problem

Jacob Comenetz13. September 2005

In der jetzigen Wahlkampfendphase ist Politik das Thema schlechthin in Deutschland. Tatsächlich gibt es aber eine steigende Anzahl von Bürgern, die den Wahlen zusehends den Rücken kehrt.

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Jugendliche machen den größten Anteil an Nichtwählern ausBild: dpa

Es fällt schwer in diesen Tagen in Berlin einen Laternenpfahl auszumachen, der nicht von irgendeiner Partei für ihre Wahlkampfwerbung in Beschlag genommen worden ist. Verstreut über die gesamte Bundesrepublik haben sich Mittelstreifen und Kreisverkehre in Plakatwälder verwandelt, die politische Slogans in das Bewusstseinsfeld von Millionen Autofahrern rücken. Die anstehende Bundestagswahl ist die Top-Story in den Medien.

Niedergang oder Reifung der Demokratie?

Und trotzdem nimmt der Prozentsatz derer, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, seit den frühen 1980er-Jahren merklich ab. Während einige diesen Trend als Vorzeichen für den Niedergang der Demokratie sehen, argumentieren andere, dies markiere nur die Reifung des politischen Systems in Deutschland. Letzten Endes übertrifft der Prozentsatz der Nichtwähler in Großbritannien, der Schweiz und den USA den deutschen Nichtwähler-Anteil sogar um das Doppelte, wenn nicht gar um das Dreifache. Trotzdem: Der Trend in Deutschland weist klar auf einen gesellschaftlichen Wandel hin.

Herrscht Politikverdrossenheit?

Der Prozentsatz derer, die nicht mehr zur Wahl gehen, hat sich in den letzten 14 Jahren verdoppelt: Während der Bundestagswahl 2002 kletterte der Anteil der Nichtwähler auf fast 21 Prozent. Die Walbeteiligung nahm in jedem Bundesland, abgesehen von Bayern, ab. Dort stieg die Zahl der Wähler auf knapp 81,6 Prozent - die höchste Beteiligungsrate in der gesamten Bundesrepublik.

In Gesamtdeutschland ging die Zahl derer, die ihre Stimme abgaben, im Vergleich zur vorhergehenden Bundestagswahl jedoch um drei Prozent zurück. Analysten für Wählerverhalten haben zwei grundlegende Ursachen ausgemacht, die für die steigende Anzahl von Nichtwählern verantwortlich sind. Der erste Grund hängt mit einer wachsenden allgemeinen Politikverdrossenheit zusammen. Gemäß dieser Theorie attestieren die Analysten besonders den jüngeren Deutschen ein nachlassendes ziviles Pflichtbewusstsein, das immer mehr Bürger von den Urnen fernhält. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird er dafür sorgen, dass verstärkt ältere Bürger bei wichtigen Kernfragen wie den Rentenreformen das Sagen haben.

"Dann kann es nicht mehr lange dauern, bis die Älteren die Wahlen alleine entscheiden", prophezeit auch Michael Eilfort, Leiter der wirtschaftspolitischen Expertenkommission bei der "Stiftung Marktwirtschaft" in Berlin. Der politische Machtverlust der Jugend werde dazu führen, dass ihre Interessen in den Wahlkampfkampagnen und auch später im Parlament vernachlässigt werden mit allen daraus folgenden negativen Konsequenzen.

Mobilisierung durch Institutionen

Familie unter einem Baum
Wer Familie hat, geht eher wählenBild: Bilderbox

Eine weitere, bedeutende Erklärung für den deutschen Wählerschwund hängt aus der Sicht des Wissenschaftlers mit dem Bedeutungsverlust der traditionellen sozialen Institutionen zusammen. Dadurch, dass immer weniger Deutsche Bürger mit traditionellem Familienleben, Kirchgänger oder beitragszahlende Parteimitglieder sind, nimmt die Möglichkeit dieser konventionellen Institutionen, Wähler zu motivieren und zu mobilisieren, ab. Die Zahl der Nichtwähler wächst entsprechend.

"Menschen gehen dann wählen, wenn die Bindung an die gemeinschaftlichen Institutionen beständig sind", sagt Michael Eilfort. Im familiären Umfeld, in einer kirchlichen Gemeinschaft oder innerhalb einer Gewerkschaft, wo die Leute mehr daran gewöhnt seien über Politik zu reden, tendierten sie auch stärker dazu, wählen zu gehen.

Nichtwähler als politische Wächter

Bundestag Reichstagsgebäude in Berlin
Der Ist-Zustand der deutschen Demokratie ist ein Kritikpunkt der NichtwählerBild: picture-alliance/ ZB

Viele Nichtwähler treffen die Entscheidung, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen aber auch bewusst, um entweder gegen die Politik der Regierungspartei oder den Ist-Zustand der Demokratie zu protestieren. "Nichtwähler entscheiden so in steigendem Grad und in immer größerem Ausmaß das Ergebnis einer Wahl", hält Eilfort zu den Auswirkungen dieser Entwicklung fest. Die Mobilisierung der Wähler werde damit künftig zur Hauptaufgabe, während es früher schon reichte, mit Inhalten zu überzeugen.

Onlineforum für Wahlabstinenzler

Nichtwähler sind aus diesem Grund mittlerweile zu einer politischen Gruppierung mit maßgeblichem Einfluss geworden. Sie erhalten zusehends mehr Aufmerksamkeit von politischen Beobachtern. Passend zur Wahl hat auch die Internetplattform "pol-di.net", die Politik und Internet miteinander vernetzen will, eine Website für Nichtwähler unter dem Titel "www.ich-gehe-nicht-hin.de" aus der Taufe gehoben.

"Wir wollten damit Nichtwählern eine Stimme verleihen und gleichzeitig zeigen, dass der politische Dialog im Internet gefragt ist", erklärt Christoph Dowe, der für das Projekt verantwortlich ist. Mit dem Angebot beabsichtige er jedoch keineswegs den Nichtwählertrend weiter anzukurbeln. Vielmehr soll die Website den Usern die Möglichkeit geben, ihre Meinung zum Zustand der deutschen Demokratie zu äußern.

"Wir glauben, dass es an der Zeit ist, einen Platz zu schaffen, wo Menschen das Gefühl haben, gehört zu werden, während sie sich woanders nur als Problem der Meinungsforscher empfinden", so Dowe zum Ziel seiner Aktion.