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Gerechtigkeit in 100 Tagen

Priya Esselborn3. Januar 2013

In Neu Delhi hat unter hohen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen die mutmaßlichen Vergewaltiger einer jungen Studentin begonnen. Die Anklage lautet: Mord, Vergewaltigung, Entführung und Raub.

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People arrive at a district court in New Delhi January 3, 2013. The December 16 attack on the physiotherapy student and a male companion provoked furious protests close to the seat of government in New Delhi and has fuelled a nationwide debate about the prevalence of sexual crimes in India, where a rape is reported on average every 20 minutes. The woman died of her injuries in hospital in Singapore, where she had been taken for treatment, on Saturday. Five men and a teenager have been arrested in connection with the attack. The five men were due to be formally charged on Thursday. Murder carries the death penalty in India. REUTERS/Adnan Abidi (INDIA - Tags: CRIME LAW CIVIL UNREST POLITICS)
Indien Gerichtsprozess gegen VergewaltigerBild: Reuters

1000 Seiten stark soll die Anklageschrift sein, in der die Ereignisse der Nacht des 16. Dezember minutiös und detailliert dargelegt werden. Die Anklage stützt sich dabei hauptsächlich auf die Aussage des Opfers und die Aussage ihres Freundes, der sie nach einem Kinobesuch kurz nach 21 Uhr nach Hause begleiten wollte.

Die Anklageschrift beschreibt, wie das junge Paar von den mutmaßlichen Tätern in den privaten Bus gelockt wurde und wie der Bus plötzlich eine andere Route als vereinbart nahm. Als die junge Frau von den betrunkenen Männern sexuell belästigt wurde, habe ihr Freund versucht, sie zu schützen, heißt es weiter. Die Angeklagten verprügelten ihn mit einer Eisenstange und begannen dann, sich nacheinander an der jungen Frau zu vergehen. Sie wurde mit der rostigen Eisenstange brutal gefoltert. Nach einer Stunde wurde das junge Paar seiner Habseligkeiten beraubt, halbnackt und blutend aus dem fahrenden Bus geworfen. Außerdem sollen die Angeklagten versucht haben, die Opfer zu überfahren. In drei Notoperationen musste der jungen Frau der komplette Darm entfernt werden. Sie erlitt auch schwere Gehirnverletzungen und starb am 29.12.2012 an multiplem Organversagen in einem Spezialkrankenhaus in Singapur. Auch die Ärzte, die sie behandelten, sollen unter den 30 Zeugen sein.

Gerechtigkeit in 100 Tagen

Der Fall hatte ganz Indien erschüttert und gewaltsame Proteste ausgelöst. Nun soll der Prozess in 100 Tagen abgeschlossen sein. Das hatte die indische Regierung angesichts des Volkszorns eilig versprochen. Dafür wurde eigens ein spezielles Gericht eingerichtet. Dort soll der Prozess an bis zu sieben Tagen in der Woche verhandelt werden. Dennoch ist dies ein ambitioniertes Ziel in einem Land wie Indien, wo die Mühlen der Justiz oft quälend langsam mahlen, so Beobachter. Der Präsident des Obersten Gerichts in Indien, Altamas Kabir, warnte daher auch: "Wir sollten darauf achten, dass wir nicht von den Emotionen mitgerissen werden. Ein schneller Prozess darf nicht auf Kosten eines fairen Prozesses gehen." Schätzungen zufolge sind in den indischen Gerichten derzeit noch allein 40.000 Fälle von Vergewaltigungen anhängig.

Der Vergewaltigungsfall hat ganz Indien erschüttert und große Proteste ausgelöst. (Foto: IANS)
Der Vergewaltigungsfall hat ganz Indien erschüttert und große Proteste ausgelöstBild: picture alliance/abaca
Schrei nach Gerechtigkeit und Wandel. (Foto: DW)
Schrei nach Gerechtigkeit und WandelBild: DW/M. Krishnan

Wer sind die Täter?

Sechs Männer wurden nach der Tat verhaftet und vom Freund des Opfers identifiziert. Einer von ihnen soll ein 17-jähriger Junge sein, dem von einem Jugendgericht der Prozess gemacht werden soll. Eine Knochenanalyse soll endgültig Aufschluss über sein tatsächliches Alter geben. Zudem wurden Spermaspuren am Körper der Studentin gefunden sowie Hautpartikel, die für DNA-Analysen verwendet wurden. Als Anführer der Gruppe gilt nach Polizeiangaben der 35-Jährige Ram S. aus Rajashthan. Der Witwer lebte im Ravi Dass Camp, einem Slum in Süd-Delhi, und wird von seinen Nachbarn als jähzorniger Alkoholiker beschrieben. Auch sein 26-jähriger Bruder Mukesh soll in den Fall verwickelt sein. Als weitere Tatverdächtige wurden ein 19-jähriger Gemüsehändler, ein 20-jähriger Fitnesstrainer und ein 28-jähriger Aushilfsbusfahrer identifiziert, der aus Bihar, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens, stammt. Er soll versucht haben, den Bus und die Sitze nach der Tat zu reinigen und die Kleidungsstücke der Opfer verbrannt haben.

Diskussion um Todesstrafe

Nach dem indischen Strafgesetz ist das Höchstmaß bei Vergewaltigungen eine lebenslange Freiheitsstrafe. Im Falle von Mord kann in begründeten Ausnahmefällen die Todesstrafe verhängt werden. Diese wird in Indien nur sehr selten tatsächlich vollstreckt. Zuletzt wurde im November 2012 der einzige überlebende Attentäter der Anschläge von Mumbai, Mohammad Ajmal Kasab, gehängt, davor 2004 der 39-jährige Dhananjoy Chatterjee. Er hatte eine 14-Jährige vergewaltigt und getötet. Viele Protestierende in Indien fordern angesichts der ständig steigenden Fälle von Vergewaltigungen und wegen dem besonders grausamen Fall die Todesstrafe für die mutmaßlichen Täter des 16. Dezember.

Prashant Bhushan, seit 1983 Anwalt am Obersten Gerichtshof in Neu Delhi, sieht dies allerdings skeptisch: "Wenn man sich den Fall anschaut, dann kann nach dem Gesetz die Tat als besonders schwerwiegender Ausnahmefall gewertet und somit die Todesstrafe verhängt werden. Ich bin aber prinzipiell gegen die Todesstrafe." Denn die Todesstrafe zur Abschreckung mache keinen Sinn, so Bhushan: "Durch die Todesstrafe nimmt die Kultur der Gewalt in einer Gesellschaft zu. Eine Hinrichtung, die Tötung eines Menschen, ist eine Form der Rache und Gewalt durch den Staat."

Ruf nach Wandel

Menschenrechtler und die Medien in Indien fordern einen grundlegenden Wandel. Für sie ist das junge Mädchen, dessen Name geheim gehalten wird, eine Heldin und Symbolfigur für den Kampf für mehr Frauenrechte. Premierminister Manmohan Singh hat zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt. Die eine soll Ermittlungspannen im Fall der vergewaltigten Studentin untersuchen, während die andere Empfehlungen für ein Ende der Diskriminierung von Frauen erarbeitet. Der Anwalt Prashant Bhushan befürchtet, dass die Versprechungen der Regierung schnell in Vergessenheit geraten werden. "Vom schnellen Wirtschaftswachstum haben 80 Prozent der Menschen keinen Nutzen. Die Ungleichheit in der Gesellschaft steigt und damit auch die Korruption." Die Menschen hätten kein Vertrauen mehr in Politik und Polizei, so Bhushan: "Ein Richter hat mal gesagt, dass die Polizei in Indien die größte organisierte kriminelle Vereinigung des Landes ist", so Bhushan. Nun müssen sich Politik, Polizei und Justiz dieses verlorene Vertrauen wieder erarbeiten.

Premierminister Singh hat zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt. (Foto: AFP)
Premierminister Singh hat zwei Untersuchungskommissionen eingesetztBild: AFP/Getty Images