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Genscher zum Tod Havels

18. Dezember 2011

Hans-Dietrich Genscher war ein langjähriger Weggefährte Václav Havels. Der ehemalige Bundesaußenminister würdigt im DW-WORLD.DE-Interview den verstorbenen früheren tschechischen Präsidenten als "großen Europäer".

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Hans-Dietrich Genscher und Václav Havel (Foto: dpa)
Hans-Dietrich Genscher und Václav Havel bei einer Preisverleihung 2009Bild: picture-alliance/Sven Simon

DW-WORLD.DE: Herr Genscher, wann haben Sie Václav Havel das letzte Mal gesprochen?

Hans-Dietrich Genscher: Das ist im letzten oder vorletzten Jahr gewesen. Wir haben uns ja sehr oft gesehen - auch schon vor der großen Veränderung 1989 -, aber natürlich danach vermehrt in seiner Amtszeit, aber auch noch nach seiner und nach meiner Amtszeit. Ich hatte einen direkten Kontakt schon viele Jahre mit ihm durch zwei seiner Mitstreiter aus der "Charta 77": meinen früheren Amtskollegen Jiři Dienstbier, dem ersten Außenminister der demokratischen Tschechoslowakei, und dann durch den Außenminister von Dubček.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Václav Havel?

Ja, das war eine Begegnung in der deutschen Botschaft in Prag. Und ich muss sagen, wie bei immer wieder folgenden Begegnungen war ich beeindruckt auf der einen Seite von der Bescheidenheit von Václav Havel, zum anderen aber auch von seiner starken charismatischen Persönlichkeit und der Klarheit seiner Gedankenführung - vor allen Dingen aber von seiner Überzeugungskraft.

Als Sie Havel kennenlernten, war er schon viele Jahre Schriftsteller. Er war in dem Sinne kein Berufspolitiker, sondern ein Künstler. Welche Rolle hat das für sein politisches Engagement gespielt?

Für ihn war das Engagement für die Freiheit Lebensinhalt. Aber er hatte eben die Möglichkeit, als Dichter mit der Kraft des Wortes seine Überzeugungen zur Geltung zu bringen. Und mit der Kraft des Wortes hat er auch das kommunistische Regime in der früheren Tschechoslowakei herausgefordert und am Ende überwunden, denn er war ja der Mutmacher für die Menschen in Tschechien und in der Slowakei für ihr Eintreten für Freiheit und Demokratie.

Ist es auch das, was sie vor zwei Jahren bei einer Laudatio bei einer Preisverleihung sagten, als Sie davon sprachen, Havel habe mit der Macht des Geistes die Unfreiheit bezwungen?

Ja, so ist es. Er hat die Machthaber herausgefordert, aber hat sie am Ende auch bezwungen mit der Kraft des Wortes, mit der Macht des Geistes. Es ist eine in einer Person sich besonders deutlich dokumentierende Herausforderung für das damalige Regime in seiner ganzen Einschränkung und Beschränktheit und auch natürlich in dem Unterdrückungsapparat. Aber das führte am Ende dazu, dass seine Worte selbst dann gehört wurden, wenn sie aus der Kerkerzelle kamen.

Wenn man an die Zeit der Wende 1989 denkt, fällt vielen im Zusammenhang mit Ihnen auch das Bild auf dem Balkon der Prager Botschaft ein. Welches Bild ist Ihnen besonders von Václav Havel in Erinnerung geblieben?

Eigentlich eine ganze Reihe von Bildern, auch aus der Zeit, in der man schon spürte, wie sehr ihn die schreckliche Krankheit bedrückte und auch einschränkte und dann doch dieser klare Wille und dieser Kampfgeist und letztlich auch dieser Mut, den er in der Zeit der Verfolgung an den Tag gelegt hat. Natürlich war besonders schön der erste Besuch bei ihm zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker auf der Burg in Prag, dem Amtssitz des tschechischen Staatspräsidenten - als der Verfolgte von gestern nun als Präsident seines Volkes die Gäste aus Deutschland empfangen konnte.

Im Zusammenhang mit ihrer beider Namen ist oft von einer "Politikerfreundschaft" die Rede. Sie sagten es eben selber, Sie haben Havel auch noch oft nach Ende Ihrer politischen Karrieren gesehen. War es eine Politikerfreundschaft oder war es sogar mehr?

Es war auf jeden Fall eine große Übereinstimmung in den Grundlagen, aber auch eine menschliche Zuneigung, was wahrscheinlich immer der Fall sein muss. Hier war es der Fall. Vielleicht hat eine Rolle gespielt, dass er wie ich ja den Kommunismus in der Praxis erlebt hatte, er in Prag, und ich in den sieben Jahren, in denen ich von 1945 bis 1952, bis ich nach Westdeutschland ging, den Kommunismus in der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR erlebt habe.

Jetzt ist Václav Havel tot. Was werden Sie vermissen?

Europa ist ärmer geworden. Ein großer Europäer ist von uns gegangen und ich glaube, dass sich heute viele Menschen in Europa in der Trauer vereinigen werden, auf jeden Fall die Deutschen und die Tschechen.

Das Gespräch führte Michael Borgers
Redaktion: Julia Elvers-Guyot