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30 Jahre genetischer Fingerabdruck

Ashley Byrne / Richard Murie / Fabian Schmidt10. September 2014

Der Biochemiker Alec Jeffreys entdeckte, dass man mit DNA-Analysen Verbrecher überführen kann. Das revolutionierte die Gerichtsmedizin. Aber verlassen wir uns heute zu sehr auf die genetischen Beweise?

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Handschellen (Foto: picture alliance/dpa).
Bild: picture-alliance/dpa

Kriminaltechnik: Neue DNA-Analyse

Vor 30 Jahren machte Alec Jeffrey bei seiner Arbeit im Labor der Universität Leicester eine weitreichende Entdeckung. Er war gerade dabei, Blutproben verschiedener Familienmitglieder auf sogenannte Minisatelliten, also hypervariable DNA-Bereiche im menschlichen Genom, zu untersuchen. Da fiel ihm auf, dass diese Minisatelliten präzise jeder Person zugeordnet werden konnten - der genetische Fingerabdruck war geboren.

Innerhalb weniger Monate hatte Jeffreys die Methode so weit entwickelt, dass sie genutzt wurde, um erste Einwanderungs- und Vaterschaftsklagen vor Gerichten zu entscheiden. Die tiefgreifendsten Folgen hatte die neue Technik allerdings in der Gerichtsmedizin, bei Strafrechtsfällen. Die Beweisführung - ob jemand schuldig oder unschuldig ist - wurde dadurch revolutioniert.

Henry McCollum sitzt beim Freispruch in einem Gerichtssaal in Robeson County (Foto: picture alliance /AP Photo/The News & Observer, Chuck Liddy).
Henry McCollum saß 30 Jahre unschuldig in der TodeszelleBild: picture alliance/AP Photo

Erst in der letzten Woche wurden zum Beispiel zwei Brüder in North Carolina auf Grundlage genetischer Beweise, vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes an einem Mädchen im Jahre 1983 freigesprochen. Einer der Brüder, Henry Lee McCollum, hatte bis dahin 30 Jahre unschuldig in einer Todeszelle verbracht.

Für die Wissenschaft eine "unglaublich schnelle Entwicklung"

"Die Entdeckung vor 30 Jahren war für mich ein wirklicher Aha-Moment' - dreißig Sekunden, die mein Leben wirklich verändert haben", sagt Jeffreys. "Wir kamen von einer grundlegenden Entdeckung und den ersten, schrecklich, dreckigen und schmierigen DNA-Fingerabdrücken hin zu einer Methode, die wirklich praktikabel und nützlich war", erinnert sich der Erfinder: "Zwischen der Entdeckung 1984 und dem ersten Anwendungsfall im April 1985 lag nicht mal ein halbes Jahr. In der Wissenschaft ist das unglaublich schnell."

Beim ersten Fall ging es nicht um Mord oder Totschlag, sondern schlicht um die Frage, ob ein Immigrantenkind in Großbritannien bleiben dürfe oder abgeschoben würde. "Eine Anwältin der Familie bat mich, zu klären, ob eine genetische Verbindung zwischen dem Kind und den mutmaßlichen Eltern gibt", erinnert sich der Biochemiker. "Wir haben uns des Falls angenommen und konnten ohne jeden Zweifel beweisen, dass der Junge ein echtes Mitglied der Familie war."

Absperrung eines Tatortes in Nigeria (Foto: Katrin Gänsler).
DNA-Proben von einem Tatort können leicht fehlgedeutet werden.Bild: DW/K. Gänsler

Das war der entscheidende Durchbruch für den genetischen Fingerabdruck: "Das Gericht zog die Klage gegen den Jungen zurück. Die Wissenschaft hatte die Bürokratie geschlagen und den Jungen mit seiner Familie wieder vereint", sagt Jeffreys.

Schon bald hielt der genetische Fingerabdruck auch in der gerichtlichen Behandlung von Familienstreitigkeiten und in Strafrechtsfällen Einzug, etwa bei Mord und Vergewaltigung. "Es ging alles so schnell, wir wussten gar nicht, ob irgendjemand es bemerken würde", erinnert sich Jeffreys.

"Es war wahrscheinlich meine vernünftigste Entscheidung, die Methode als 'genetischen Fingerabdruck' zu bezeichnen. Hätte ich die fachlich richtige Bezeichnung gewählt, nämlich 'idiosynkratisches Minisatelliten Southern Blot Hybridisierungs-Profiling' wäre die Sache wahrscheinlich von Anfang an ins Wasser gefallen. Keiner hätte es verstanden." Den Begriff DNA-Fingerabdruck hingegen, konnten alle verstehen. "Die Message kam an - die Marke ist alles", resümiert der Entdecker.

Alec Jeffreys (Foto: picture-alliance/dpa).
Alec Jeffreys lehrt auch heute noch an der Universität LeicesterBild: picture-alliance/dpa

Der Beweis steht im Kontext

Der Erfolg stellte sich ein: Durch die Entdeckung wurden zahllose Verbrechen im Nachhinein aufgeklärt. Unschuldige wurden freigesprochen, Täter überführt. Filme und TV-Krimiserien, wie "CSI-Crime Scene Investigation", begannen, den DNA-Fingerabdruck zu zelebrieren und die Methode zu mystifizieren.

Aber dem Entdecker des genetischen Fingerabdrucks reicht die DNA alleine als Beweis nicht aus: "Sie steht immer in einem Kontext" sagt Alec Jeffreys. "Ich könnte zum Beispiel Ihre Hand schütteln und meine DNA an Ihnen hinterlassen. Dann kommen Sie an einen Tatort, und hinterlassen meine DNA dort. Aber ich war niemals irgendwo in der Nähe".

Also gibt es, warnt Jeffreys "Wege, DNA zu übertragen, bei denen die Erklärungen ganz unschuldig sind. Aber vor Gericht können sie aussehen, wie ein ziemlich erdrückender Schuldbeweis." Also mahnt der Biochemiker: "DNA sagt nichts über Schuld oder Unschuld aus, sondern nur darüber, ob eine Probe von Person A oder Person B stammt. Das kann sie mit großer Präzision. Aber am Ende muss das Gericht auf Grundlage aller Beweise über Schuld oder Unschuld entscheiden. DNA alleine reicht dafür nicht aus."

Über Schuld oder Unschuld zu entscheiden ist also auch mit der neuen Technik nicht einfach, und darf schon gar nicht aus einem Bauchgefühl heraus passieren, sagt Allen Jamieson, der ehemalige Leiter des schottischen Gerichtsmedizinischen Labors. "Selbst wenn jemand zum Beispiel sagt, dass 'diese Probe im Einklang damit steht, dass jemand diese Pistole angefasst hat', muss man wissen dass 'im Einklang stehen' irreführend sein kann."

Zur Veranschaulichung führt er das Beispiel einer neun Zentimeter langen Schnittwunde an: "Der Pathologe könnte schreiben: 'Die Wunde steht im Einklang mit einem neun-Zentimeter langen Messer '. Aber es könnte ja auch von einem 18 Zentimeter langen Messer stammen, das nur zur Hälfte eingestochen wurde, oder von einem 27 Zentimeter langen Messer, dass nur zu einem Drittel eingestochen wurde." Deswegen warnt der Gerichtsmediziner: "Die Menschen müssen wirklich bedenken, was das heißt: Es ist nur eine mögliche Erklärung, und bei der DNA gibt es sehr viele mögliche Erklärungen, wie die an einen Tatgegenstand gekommen sein kann."

Unschuldig als Verbrecher bezichtigt

So erging es Michael Morton, der 1987 in Texas angeblicher Mörder seiner Frau zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Christine Morton war eines Morgens 1986 in ihrem Bett vergewaltigt und ermordet worden, nachdem ihr Mann bereits zur Arbeit gegangen war.

"DNA-Beweise waren immer eine Hoffnung in meinem Fall. Ich war 1987 verurteilt worden und damals steckten DNA-Beweise noch in den Kinderschuhen. Sie hatten sich in der Strafjustiz einfach noch nicht durchgesetzt", sagt Morton. "Aber als die Jahre vergingen, wurde mir bewusst, was die Technik für mich bedeuten könnte. Es gab nämlich am Tatort harte Beweise, die die Ermittler entweder ignoriert hatten, oder aufgrund des damaligen Standes der Technik noch nicht auswerten konnten."

1990 nahmen Ermittler dann erste DNA-Spuren von Tatort und fanden Sperma, das von Morton stammte. Dies konnte allerdings nicht als Beweis seiner Schuld gelten, denn schließlich stammte es ja aus seinem eigenen Bett.

Michael Morton (Foto: Jorge Sanhueza-Lyon).
Michael Morton wurde nach 25 Jahren aufgrund von DNA-Beweisen freigesprochenBild: Jorge Sanhueza-Lyon

Zähes Ringen um Anerkennung

Das Innocence Project, eine Initiative, die sich dafür einsetzt, alte Straffälle mithilfe der DNA-Analyse neu aufzurollen, unterstützte Mortons langen Kampf, seine Unschuld zu beweisen. Von der formalen Eingabe zur Wiederaufnahme des Falles 2005 bis zum Freispruch vergingen sechs Jahre, in denen Staatsanwalt John Bradley versuchte, die DNA-Analyse noch zu verhindern. Am Ende mussten die Ermittler per Gerichtsbeschluss dazu gezwungen werden.

"Das entscheidende Beweisstück war ein Kopftuch, mit dem der Täter nach der Tat sein Sperma abgewischt und es dann weggeworfen hatte", sagt Morton. Dieses Tuch hatten Ermittler auf einer Baustelle, etwa 100 Meter vom Haus der Mortons gefunden. Erst 2010 erhielt Morton das Recht zugesprochen, einen DNA-Test daran durchführen zu lassen.

Daran fand sich Blut und Haarspuren von Christine Morton und die DNA eines Mannes - aber nicht von Michael Morton. Als die Ermittler die Probe mit der DNA Datenbank abglichen, stießen sie auf einen Mann aus Kalifornien, der allerdings zur Zeit des Mordes in Texas gelebt hatte. Erst 2011, nach 25 Jahren im Gefängnis, wurde Michael Morton als unschuldig entlassen - entfremdet von seinem Sohn und als Mann, der nie richtig um seine Frau trauern konnte.

Millionen Geschichten, die noch nicht erzählt wurden

Dennoch hält sich Morton für einen sehr glücklichen Menschen. "Der DNA-Test, und auch andere junge Wissenschaften, sind noch in der Entwicklung. Mir ist klar, dass die Methode zur Gewinnung der DNA, die im Fall des Mörders meiner Frau angewandt wurde, erst wenige Wochen vor dem Labortest überhaupt für die Justiz akzeptabel wurde", sagt er. "Das Werkzeug, das mir die Freiheit brachte war brandneu. Ich hatte viele Enttäuschungen erlebt und bin immer wieder gescheitert, um am Ende doch einen Erfolg zu erzielen."

Und nicht nur das Leben von Michael Morton hat sich durch die DNA-Analysen grundlegend geändert. Der Biochemiker Alec Jeffreys schätzt, dass seine Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks in den letzten 30 Jahren das Leben von etwa 50 Millionen Menschen so oder auf andere Weise verändert hat. "Das ist etwa die Zahl der durchgeführten Tests. Und hinter jedem Test steht ein menschliches Drama. Es gibt also 50 Millionen Geschichten, die noch erzählt werden könnten.