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Soziale Medien in der Ukraine immer wichtiger

Stephanie Höppner 10. August 2014

Schon während der Maidan-Proteste in Kiew spielten Facebook, Twitter und Co. eine große Rolle. Auch jetzt - viele Monate später - sind Amateuraufnahmen eine wichtige Quelle. Experten warnen aber vor Manipulation.

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Screenshot Intersite Facebook Handy Uploads Ukraine
Bild: facebook

Minutiös gefilmte Aufnahmen von Panzer-Fahrten, Festnahmen oder Razzien bei Nacht: Das Internet wird immer mehr zur Plattform des Ukraine-Konflikts. Allein bei Youtube finden sich über das Stichwort "Ukraine" fast neun Millionen Videos, mit der ukrainischen Schreibweise kommen noch einmal sechs Millionen hinzu. Neben Ausschnitten regulärer Nachrichtensendungen finden sich auch immer mehr Amateuraufnahmen: wacklige Kameraführung, häufig keine Kommentierung - und dennoch tausendfach angeklickt.

Zu den besonders drastischen Aufnahmen aus jüngster Zeit gehört ein Video über einen Angriff eines Stadtviertels im Südwesten der ostukrainischen Stadt Donezk, bei der mindestens neun Menschen gestorben sein sollen. Mehrere Wohnhäuser wurden getroffen, eine Schule fing Feuer. "Der Westen der Ukraine soll das hier sehen, Russland soll das sehen", sagt der Filmer laut der "Süddeutschen Zeitung" im Off. "Das hier ist kein Fernsehen, weder russisches noch ukrainisches", erklärt er weiter. "Ich, ein einfacher Mensch, Absolvent dieser Schule, zeige Euch die Wahrheit."

Zeitungen für die Alten, Internet für die Jungen

Soziale Medien gewinnen immer mehr an Einfluss, Amateuraufnahmen wie diese überschwemmen das Netz. Sie sind nicht nur zusätzliche Information bei einer unübersichtlichen Lage, sie verändern auch die Arbeitsweise klassischer Medien, erklärt der Schriftsteller ("Jimi Hendrix live in Lemberg") und ehemalige Zeitungsredakteur Andrej Kurkow. Wie auch in anderen Ländern hat sich in der Ukraine in den vergangenen Jahren eine Medienrevolution vollzogen: Zeitungen werden meist nur noch von älteren Menschen gelesen, die zudem bevorzugt auf Gratisausgaben zurückgreifen. Auflagen schnurren zusammen. "Zeitungen spielen praktisch keine Rolle mehr", sagt Kurkow der DW.

Frau liest Zeitung in Kiew. (Foto: Vitaliy Belousov/RIA Novosti)
Eine ältere Zeitungsleserin in Kiew: Jüngere interessieren sich kaum noch für PrintBild: picture-alliance/dpa

Das Fernsehen mit seinen großen Sendern "Inter TV" oder "Eins plus eins" bleibt dagegen das Medium Nummer Eins. 91 Prozent aller Befragten einer Studie des "International Republican Institute", einer amerikanischen Non-Profit-Organisation, beziehen ihre Informationen aus dem TV. Vor allem die zahlreichen politischen Talkshows locken die Zuschauer. Die proeuropäische Perspektive dominiert dabei, sagt Kurkow.

Mobilisierung und Information

"Gerade junge und moderne Leute lesen Nachrichten im Internet - allerdings nahezu ausschließlich auf russisch oder ukrainisch", sagt Kurkow. Auslandssender würden dagegen kaum wahrgenommen."Soziale Medien spielen bei den Jüngeren mittlerweile eine größere Rolle als Fernsehen." Doch nicht nur Leser bedienen sich aus dem Netz - auch andere Medien nutzen das Angebot; Nachrichtensender bauen die Amateur-Youtube-Videos - sofern sie nicht zu brutal sind - in ihre Sendungen ein.

Vor allem in der Zeit von November 2013 bis Ende April 2014, während der Proteste auf dem Maidan in Kiew, wurden die Videos - ähnlich wie beim Arabischen Frühling - zur Mobilisierung der Bevölkerung genutzt. In Videobotschaften wandten sich Aktivisten auch an die Weltöffentlichkeit - und baten um Hilfe. Westliche Medien nutzten die Twitter- und Facebook-Nachrichten wie Agenturmeldungen - auch, weil es vielen Journalisten zu heikel wurde, sich selbst im Krisenherd aufzuhalten. Seitdem sich der Konflikt in den Osten des Landes verlagert hat, ist das Netz vor allem Informationsquelle, sagt Kurkow. Auf speziellen Plattformen wird derzeit aber auch zu Spenden aufgerufen, etwa für die ukrainische Armee oder verwundete Soldaten.

Was ist echt?

Ähnlich wie bei den herkömmlichen Medien, gibt es aber auch im Netz viel Propaganda-Material, warnen Experten. Laut einer im Mai veröffentlichten Studie des "International Republican Institute" verlassen sich 42 Prozent der Ukrainer auf das Internet. Dabei gebe es allen Grund, durchaus skeptisch zu sein. So sei "Vkontakte", eine Art russisches Facebook, ein Ort, an dem große Mengen Falschinformationen herausgegeben werden, urteilten Medienkenner während des vergangenen "Global Media Forums" der Deutschen Welle in Bonn. Dazu gehörten zum Beispiel fingierte Fotos. Eine der krassesten Beispiele: Was bei "Vkontakte" als eine bombardierte Wohngegend in der Stadt Slowjanks betitelt wurde, war in Wirklichkeit ein Zugunglück in der kanadischen Provinz Quebec.

Screenshot Russland 1 TV Berichterstattung zur Ukraine. (Foto: DW)
Propagandakrieg zwischen Ost und West: Auch in den sozialen Medien findet sich gefälschtes Material

Für Journalist Kurkow stellt sich das Problem jedoch als weniger drastisch dar. "Es gibt viele Falschinformationen im Internet - doch die Leute, die wirklich nach der Wahrheit suchen, sind erfahren genug, um das auseinanderzuhalten." Es sei eine Generation von politisch hochinteressierten "Berufszuschauern" und "Berufslesern" herangewachsen, die Propaganda als solche identifizieren könnte - und im Netz entsprechend kommentiert.