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Gekidnappt, geschlagen, getötet

Roman Goncharenko27. Januar 2014

Wer sich in der Ukraine bei Protesten engagiert, riskiert sein Leben. Aktivisten werden entführt und geschlagen. Einer von ihnen starb, einige werden vermisst. Die Täter: unbekannt. Man spricht von "Todesschwadronen".

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Ukraine Kiew Proteste 22.1.2014
Bild: Reuters

Auf einer drei Meter hohen Barrikade aus Säcken mit Schnee, die den Zugang zum Unabhängigkeitsplatz in Kiew auf der Institutska-Straße versperren, hängt ein Plakat. "Weißrussland ist mit Euch!" steht da in großen schwarzen Buchstaben auf weißem Hintergrund. Eine Solidaritätsgeste weißrussischer Oppositioneller. Man kann die Botschaft aber auch so verstehen: In der Ukraine herrschen Verhältnisse wie in der Nachbarrepublik.

Tod im Wald mit gebundenen Händen

Ein Foto, das in der Nähe des Plakats hängt, legt das nahe. Ein bärtiger Mann mit klugen Augen ist dort zu sehen. Jurij Werbizkij, ein 50-jähriger Seismologe aus dem westukrainischen Lwiw wurde am 22. Januar 2014 in einem Wald bei Kiew tot aufgefunden. Er hatte mit Klebeband zusammengebunde Hände und Folterspuren am Körper. Einzelheiten sind nicht bekannt. Werbizkij starb an Unterkühlung, stellten Ärzte fest. In der Ukraine herrschen derzeit Temperaturen von unter minus 15 Grad. Die Polizei ermittelt wegen Mordes.

Werbizkij nahm an Protesten in Kiew teil und wurde am Auge verletzt. Ein anderer Aktivist, Ihor Luzenko, brachte ihn ins Krankenhaus. Dort seien beide von rund zehn Unbekannten entführt, in einen Wald gebracht und geschlagen worden, erzählte Luzenko in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es waren Leute, die loyal zu der Regierung und dem Präsidenten sind", sagte der Aktivist, der in einem Kiewer Krankenhaus liegt. "Die sind zu allem bereit, bis hin zum Mord, um das Land zu schützen - so sehen diese Leute die Proteste auf dem Maidan." Luzenko glaubt, dass die Entführer Werbizkij nicht haben töten wollen, "andererseits hat es sie aber auch nicht gekümmert, ob er überlebt". Sie wollten dem oppositionellen Aktivisten "eher eine Lehre erteilen", glaubt Luzenko. Er denkt, dass diese Leute auch anderswo zuschlagen.

Maidan in Kiew (Foto: Reuters)
Schauplatz der Proteste: Der UnabhängigkeitsplatzBild: Reuters

Vermisster Anführer des "Automaidan"

Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Seit dem 22. Januar wird in Kiew Dmytro Bulatow vermisst. Der 35-Jährige ist einer der Anführer beim sogenannten "Automaidan". So nennt sich eine Gruppe meist junger Leute mit eigenen Autos, die sich zu einer treibenden Kraft hinter den Protesten entwickelt hatte.

Es war Bulatow, der die ukrainischen Oppositionsführer am Sonntag vor einer Woche (19.01.2014) bei einer Kundgebung in Kiew aufgerufen hatte, sich auf einen Anführer der Proteste zu einigen. Als die Opposition sich weigerte, führte das zu einer Radikalisierung der Proteste an der Hruschewskoho-Straße. Später sagte Bulatow, "Automaidan" stehe hinter Vitali Klitschko von der Partei UDAR (Schlag).

Die Aktivisten vom "Automaidan" fahren durch die Stadt und versuchen, Busse mit Sondereinheiten der Polizei zu blockieren. Bei einem solchen Einsatz wurde rund ein Dutzend Aktivisten festgenommen, ihre Autos von der Polizei demoliert. Bulatow sei nicht unter den Festgenommenen, teilte die Polizei mit. "Kann sein, dass die Regierung mit seinem Verschwinden zu tun hat", sagte der DW Olexij Hryzenko, ein Aktivist beim "Automaidan". Das sei die wahrscheinlichste Erklärung. "Wir wissen bis heute nicht, ob er am Leben ist." Es könne aber sein, dass Bulatow sich verstecke, weil er bereits mehrmals bedroht wurde, meint Hryzenko. Freunde haben inzwischen eine Prämie in Höhe von 25.000 US-Dollar für Informationen über Bulatows Schicksal versprochen.

Auch aus anderen Städten der Ukraine kommen Berichte über vermisste Aktivisten. Vitali Portnikow, ein einflussreicher Journalist und Mitglied im Koordinationsrat der oppositionellen Bewegung, floh aus der Ukraine. Er habe Informationen bekommen, dass er "der neue Georgij Gongadse werden soll". Gongadse war ein regierungskritischer Kiewer Journalist, der im Herbst 2000 von der Polizei entführt und in einem Wald getötet wurde. Dieser Fall löste eine tiefe politische Krise aus.

Georgij Gongadse (Foto: dpa)
2000 ermordet: Georgij GongadseBild: picture-alliance/dpa

"Todesschwadronen" wie in Weißrussland?

Manche Experten sprechen bereits von "Todesschwadronen", die aus Polizisten und Kriminellen bestehen sollen. Ihre Aufgabe: Besonders engagierte oppositionelle Aktivisten zu entführen, zu schlagen oder zu töten. Das ganze soll die Protestler einschüchtern, so die Vermutung. Manche glauben, dass dahinter russische Geheimdienste stecken. Doch auch dafür gibt es nur Indizien und keine Beweise.

"Todesschwadronen" ist vor allem ein Begriff, der bisher weniger aus der Ukraine, sondern aus Weißrussland bekannt ist. Dort sind vor allem in den 1990er Jahren mehrere oppositionelle Politiker und Journalisten spurlos verschwunden. Mindestens in einem Fall wurde vor Gericht bewiesen, dass hinter dem Mord an einem Journalisten Offiziere des weißrussischen Geheimdienstes stecken.