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Mexiko: Das Gehalt kommt von der Mafia

Astrid Prange28. November 2014

Mexiko kommt nicht zur Ruhe. Zwei Monate nach dem Massaker von Iguala steigt die Zahl der Gewalt-Opfer weiter an. Nun will die Regierung in einem Kraftakt Polizei und Justiz reformieren. Mehr als eine Ankündigung?

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Symbolbild - Vermisste Studenten in Mexiko (Foto: Pedro PARDO/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/P. Pardo

Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto hat in einer nationalen Ansprache angekündigt, den Sicherheitsapparat des Landes umbauen zu wollen. Lokale Polizeieinheiten sollten aufgelöst und durch Sicherheitskräfte ersetzt werden, die unter der Aufsicht der jeweiligen Landesregierung stehen. Die Reform solle in den vier Bundesstaaten Tamaulipas, Guerrero, Jalisco und Michoacán beginnen, wo das organisierte Verbrechen stark verbreitet sei.

"Präsident Enrique Peña Nieto sollte keine Reformen ankündigen, sondern eine Wahrheitskommission für alle gewaltsam verschwundenen Mexikaner einrichten", meint Ricardo Monreal Ávila, Abgeordneter der oppositionellen Arbeiterpartei PT im mexikanischen Parlament und Koordinator der Parlamentarier-Gruppe für Bürgerrechte. "Nach unseren Informationen sind das zwischen 22.000 und 24.000 Opfer".

Die letzte Enthüllung ist die mutmaßliche Entführung und Ermordung von 30 Schülern aus der Stadt Cocula im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Nach einem Bericht des Senders "France 24" hatten Killerbanden am 17. Juli eine Gruppe von Jugendlichen entführt und die Eltern unter Todesandrohungen zum Schweigen verpflichtet.

Am 27. November brach die Mutter einer entführten Schülerin nun ihr Schweigen und erklärte gegenüber dem Sender, dass sie und ihre Familie aus dem Ort geflüchtet seien, nachdem bewaffnete Männer ihren Ehemann festgehalten, bedroht und an der Hand verstümmelt hätten. Die Stadt Cocula liegt etwa 20 Kilometer von Iguala entfernt, dem Ort, wo Ende September 43 Lehramtsstudenten entführt worden waren.

Protestierende Menschen vor der Zapopan-Kirche (Foto: HECTOR GUERRERO/AFP/Getty Images)
Aufmarsch der Mütter: Am 26. November beklagen tausende von Angehörigen das "Verschwinden" ihrer Töchter und Söhne vor der Zapopan-Kirche in GuadalajaraBild: Getty Images/H. Guerrero

Der Lohn reicht nicht

Aufgrund der Infiltration von Verbrechersyndikaten in die örtlichen Polizeieinheiten verabschiedete die mexikanische Regierung bereits 2008 ein nationales Programm zur Säuberung und Kontrolle der Sicherheitskräfte. Danach müssen sich die rund 400.000 Gemeindepolizisten, die auf 2000 Dienststellen im Land verteilt sind, alle zwei Jahre Verhören und Qualitätskontrollen unterziehen.

Problematisch ist die Finanzierung des Sicherheitsapparates: Da der durchschnittliche Monatslohn eines lokalen Polizisten bei rund 560 US-Dollar liegt, ist es weit verbreitet, dass diese versuchen, nebenbei noch etwas hinzuzuverdienen oder direkt zu den Kartellen wechseln, da diese ihre Männer wesentlich besser bezahlen. Wie die mexikanische Regierung dieses Problem lösen wolle, erklärte Präsident Peña Nieto in seiner Regierungsansprache nicht.

"Mexiko befindet sich in seiner bisher größten Glaubwürdigkeitskrise. Die Familien leben in Angst und Schrecken", erklärte der Abgeordnete Anaya Llamas von der "Partido de Acción Nacional" bei einer Debatte im mexikanischen Parlament am 26. November. Viele Probleme hätten verhindert werden können, wenn staatliche Institutionen gefestigt wären und Menschenrechte vollständig geachtet würden, so Llamas.

Besinnung auf Menschenrechte

Die Oppositionspartei nutzte den Plenarsaal des Parlaments, um ihr eigenes Sicherheitskonzept vorzustellen. Wichtigste Elemente: Einrichtung einer Anti-Korruptionseinheit in den Sicherheitskräften, Schaffung eines neuen Straftatbestandes der unrechtmäßigen Gewaltanwendung und Verlagerung der polizeilichen Ermittlung von der lokalen auf die nationale und bundesstaatliche Ebene.

Der mexikanische Beauftragte für Menschenrechte räumte bei seinem Besuch Ende November in Berlin Defizite ein und zählte zugleich die bisherigen Erfolge beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen auf. Unter Präsident Peña Neto seien Kartelle zerschlagen und Drogenbosse an die USA ausgeliefert worden, erklärte Juan Manuel Gómez Robledo gegenüber der Presse. Außerdem sei die Anzahl der Bundespolizisten, die gut ausgebildet und bezahlt würden, von 6000 im Jahr 2006 auf 40.000 gestiegen.

Mexiko Juan Manuel Gómez Robledo (Foto: THOMAS SAMSON/AFP/Getty Images)
Menschenrechtsbeauftragter Juan Manuel Gómez Robledo musste sich in Berlin unangenehmen Fragen stellenBild: Thomas Samson/AFP/Getty Images

Die Refomen in der Strafjustiz, die Präsident Peña Nieto am 27. November ankündigte, hatte Robledo bereits gegenüber der deutschen Presse eingefordert. "Wir müssen dringend unser föderales Strafrecht vereinhaltlichen", erklärte er in Berlin. Es könne nicht sein, dass ein und derselbe Straftatbestand in den 32 mexikanischen Bundesländern jeweils unterschiedlich bewertet würde.

Blick zurück im Zorn

Politisch hat der Kampf gegen das organisierte Verbrechen eine verbale Schlammschlacht ausgelöst und vor allem der linksgerichteten Oppositionspartei der Demokratischen Revolution (PRD) geschadet. Denn nicht nur der Bürgermeister der Stadt Iguala, wo sich das Massaker an den Studenten ereignete, war Mitglied der PRD. Auch der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Guerrero gehörte zu den Vorkämpfern der "demokratischen Revolution". Beide haben wegen ihrer Verwicklungen in die Vorfälle ihre Ämter verloren.

Die wachsende Unterwanderung der Partei hat nicht nur die Glaubwürdigkeit der PRD unterminiert. Sie hat auch zum Streit mit PRD-Gründer Cuauhtémoc Cárdenas geführt, der als moralisches Gewissen der Partei gilt. Der 80jährige Politiker und ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt verkündete am 26. November seinen "unwiderruflichen" Austritt aus der Partei und machte dabei die Führungsspitze mitverantwortlich für das Verschwinden der Studenten.

Cuauhtemoc Cardenas (Foto: (AP Photo/Marco Ugarte, File)
Bitterer Abschied: Cuauhtemoc Cardenas trat aus der von ihm vor 25 Jahren gegründeten Partei PRD ausBild: picture-alliance/AP Photo/M. Ugarte

Für den mexikanischen Menschenrechtsanwalt Abel Barrera veranschaulichen die mutmaßlichen Massaker von Iguala und Cocula die Macht der Mafia: "Seit mehr als 20 Jahren finanzieren Kartelle die Wahlkampagne von Politikern", erklärte er jüngst bei einem Besuch in Berlin auf Einladung von Amnesty International gegenüber der DW. "Die Gehälter der Polizisten in Iguala sind von den 'Guerreros Unidos' bezahlt worden".