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Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes

8. Juli 2014

Im Geheimen verhandelt die EU mit den USA und anderen Staaten über die Liberalisierung von Dienstleistungen. Ein aufgedecktes Geheimpapier alarmiert die Sparkassen, die fürchten, auf Gewinnmaximierung achten zu müssen.

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Symbolbild Geheimdienst Akte Top Secret vertraulich
Bild: imago/INSADCO

Das 18 Seiten lange Dokument sieht harmlos aus, soll aber "in einem sicheren abgeschlossenem Raum oder Container aufbewahrt werden". Diese Vorschrift steht vorneweg in einem US-Verhandlungspapier von TiSA (Trades in Services Agreement) – dem Vertrag über die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes, über den die EU und 22 weitere Staaten seit einem Jahr hinter den verschlossenen Türen der australischen Botschaft in Genf verhandeln.

Seit kurzem sind einige Zwischenergebnisse auf der Enthüllungsplattform Wikileaks frei zugänglich, nachdem sie von Journalisten geprüft worden waren. Inhalte, die nach Willen der Verhandler erst fünf Jahre nach Vertragsabschluss öffentlich werden sollten, so das Papier - zu einem Zeitpunkt also, wenn sie nicht mehr verhandelbar sind.

Tisa hinter verschlossenen Türen

Der Vertrag über die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes ("Trade in Services Agreement" TiSA) besteht aus einer Sammlung von Vereinbarungen in Form eines völkerrechtlichen Vertrages. Ziel von TiSA ist die Beseitigung von Handelshindernissen im Dienstleistungsbereich. Es ist Nachfolger des GATS-Abkommens (General Agreement on Trades in Services) der Welthandelsorganisation WTO, das seit 1995 besteht.

Allerdings wird TiSA außerhalb der WTO verhandelt, da die dortigen Verhandlungen über die Liberalisierung von Dienstleistungen ins Stocken gerieten - insbesondere aufgrund der Kritik vieler Entwicklungs- und Schwellenländer. Nun verhandeln auf Initiative der USA und Australiens alle Länder, die inhaltlich mit den Liberalisierungszielen einverstanden sind. Verhandlungsführer der EU-Staaten ist die EU-Kommission. Die Verhandlungsinhalte sind intern und werden nicht in Parlamenten diskutiert. Über den ausgehandelten Vertrag stimmt das EU-Parlament ab, auch der EU-Rat muss zustimmen. Für das Abkommen gilt, dass sämtliche Vertragspartner nachträglichen Änderungen oder Ergänzungen zustimmen müssen. Bei Verstößen gegen einmal festgelegte Vertragsregeln drohen hohe Schadensersatzansprüche.

Widerstand formiert sich

"Dinge, die einmal im TiSA-Vertrag festgeschrieben werden, können all diese Gesellschaften nicht mehr rückgängig machen", warnt der Wuppertaler Politikwissenschaftler Hans Lietzmann. Dafür sei immer die Unterschrift aller Vertragspartner erforderlich, sonst drohten Schadensersatzforderungen. "Der deutsche Atomausstieg wäre mit einem solchen Regelwerk nicht möglich gewesen."

Ein EU-weiter Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen baut derzeit eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen Tisa und andere Freihandelsabkommen wie das TTIP auf. Mit einer EBI kann eine Anhörung im Europa-Parlament erzwungen werden. Sie braucht EU-weit eine Million Unterschriften, außerdem muss in sieben Mitgliedsstaaten ein Länderquorum überwunden werden, in Deutschland sind das 72.000 Unterschriften.

Sparkassen sorgen sich

Geregelt werden sollen mit TiSA die verschiedenen Dienstleistungsbereiche - im öffentlich gewordenen Papier geht es um Finanzen. "Bei TiSA geht es aber auch um Bildung, Wasser, Energie und Müll", sagt Lietzmann. Die Inhalte über die Finanzdienstleistungen sind brisant: Bestehende Monopol- und Sonderrechte sollen abgeschafft oder eingeschränkt werden, um mehr Akteuren einen freien Marktzugang zu ermöglichen - darin sind sich EU und USA laut Geheimpapier bereits einig. In Deutschland könnte das die Sparkassen betreffen. "Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau", sagt daher Stefan Marotzke vom Sparkassenverband. Grundsätzlich setze man auf die Aussage der EU-Kommission, dass öffentliche Dienstleistungen nicht zwangsweise liberalisiert werden dürfen.

Aber: Sparkassen haben in Deutschland als öffentlich-rechtliche Anstalten tatsächlich einen Sonderstatus - gekoppelt an die Pflicht, Gewinne ins Gemeinwohl zu investieren. Im vergangenen Jahr waren das mehr als eine halbe Milliarde Euro. Davon profitieren vor allem klamme Kommunen. "Mit TiSA könnten die Sparkassen jeder amerikanischen oder indischen Großbank gleichgestellt werden und müssten dann aus Überschüssen Gewinne machen", sagt Lietzmann. Sparkassen bieten zudem grundsätzlich allen Bürgern Konten an und sind damit für Sozialhilfeempfänger oft die einzige Möglichkeit. Im freien Wettbewerb sei das unhaltbar, so Lietzmann. "Der Staat müsste dann alle Banken gleichermaßen dafür subventionieren, dass sie auch Armen Konten anbieten."

Symbolbild Geld
Bald zu Ende? Gewinne ins Gemeinwohl investieren, statt in die BankBild: picture-alliance/ZB

Mehr Transparenz ist kein Thema

Besonders problematisch findet er, dass TiSA mit einer Negativliste bestimmte Bereiche vom freien Wettbewerb ausnehmen will: "Alles andere wird automatisch liberalisiert - auch Bereiche, die man heute noch gar nicht kennt."Das kritisiert auch Dierk Hirschel von der DGB-Gewerkschaft ver.di. Viele Kommunen nähmen zurzeit die Privatisierung ihrer Wassernetze zurück, da die Wasserqualität sich im freien Wettbewerb verschlechtert habe. "Mit TiSA könnte das unmöglich werden." Außerdem ist er empört, "dass die Öffentlichkeit die Inhalte der Verhandlungen gar nicht kennt. Das ist zutiefst undemokratisch", sagt Hirschel.

Mehr Transparenz ist aber offenbar kein Thema. Eine Offenlegung des Verhandlungsrahmens sei in Brüssel nicht diskutiert worden, antwortet die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. Bereiche wie Wasser und Bildung würden aber nicht liberalisiert, betont sie in der Antwort.

iw(as (epd)