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Geheimdienst-Akten bleiben unter Verschluss

Zoran Arbutina / Alexandra Scherle22. März 2012

Auch 20 Jahre nach den ersten freien Wahlen weigert sich Albanien, die Geheimdienst-Akten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur zu öffnen. Die Opfer fordern, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

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Stasi-Akten in Berlin-Lichtenberg (Foto. picture alliance)
Bild: picture-alliance/Berliner_Kurier

Gëzim Peshkëpia spricht nicht gerne über seine Jugend. Als er elf Jahre alt war, musste er zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester sein Zuhause verlassen. Die albanischen Kommunisten hatten seinen Vater unter dem Vorwand des Terrorismus exekutiert - ohne ein Gerichtsverfahren. Der Rest der Familie musste in der Verbannung ums Überleben kämpfen. Doch das war erst der Anfang des Leidenswegs von Gëzim Peshkëpia. Der ehemalige Lehrer wurde 1975 selbst zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage: Agitation und feindliche Propaganda. "Während der Ermittlungen ist unglaublicher Druck auf mich ausgeübt worden. Ich habe körperliche und psychische Folter erlitten", erinnert sich Gëzim Peshkëpia. "Ich kann nur Gott dafür danken, dass ich das alles überstanden habe."

Die Täter wurden nie bestraft

Doch die Menschen, die ihn damals gefoltert haben, wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Unzählige Gräueltaten der Diktatur in Albanien sind in der Öffentlichkeit immer noch unbekannt - weil sie weiterhin in den Akten der Geheimdienste verborgen bleiben. Denn Albanien hat immer noch kein sogenanntes Lustrationsgesetz. In fast allen anderen post-kommunistischen Staaten gibt es ein solches Gesetz schon lange. Unter anderem ermöglicht es den Zugang zu den Dokumenten der Geheimdienste. Dadurch kann überprüft werden, ob und in welcher Form die aktuellen Machthaber in die früheren Verbrechen der Diktatur verstrickt waren.

In Albanien kündigte der damals gerade gewählte Präsident Sali Berisha schon zwei Jahre nach dem Sturz des Kommunismus an, er werde die Akten niemals öffnen lassen: "An einer Diktatur ist nicht nur der Diktator schuld. Es gibt Tausende von Familien, in denen die Ehefrauen ihre Männer und die Söhne ihre Väter bespitzelten. Sollen wir all diese Familien jetzt zerstören?"

Für die Albanien-Expertin Anna Kaminsky von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist diese Argumentation völlig verfehlt. "Gerade die Opfer haben ein Anrecht darauf zu wissen, wer ihnen aus welchen Gründen etwas angetan hat. Dass es möglicherweise nach 20 Jahren schwierig ist, hier noch juristisch aktiv zu werden, steht auf einem anderen Blatt." Doch selbst wenn eine gerichtliche Verfolgung vieler Verbrechen nicht mehr möglich sei, müsse die Vergangenheit aufgearbeitet werden. "Die Gesellschaft hat das Recht zu erfahren, wer sie in öffentlichen Ämtern vertritt", sagt Anna Kaminsky.

Anna Kaminsky (Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung)
Anna KaminskyBild: Bundesstiftung Aufarbeitung
Enver Hoxha (Archivfoto: dpa)
Bis zu seinem Tod 1985 Albaniens Diktator: Enver HoxhaBild: dpa - Bildfunk

Eine Hexenjagd verhindern?

Es gab bereits mehrfach Versuche, die Öffnung der Geheimdienstakten gesetzlich zu erzwingen - zuletzt vor zwei Jahren. Sie alle scheiterten aber am albanischen Verfassungsgericht. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass ein solches Gesetz zu einer politisch motivierten Hexenjagd auf Amtsträger führen könne. Doch gerade die fehlende Aufarbeitung scheint diese Befürchtung zu bestätigen: Inzwischen tobt ein Krieg der Biografien auf der politischen Bühne Albaniens. Führende Politiker werfen ihren jeweiligen Gegnern vor, dass sie oder ihre Familienmitglieder kommunistische Verbrecher gewesen seien. Keiner kann sich wehren, denn die Akten bleiben ungeöffnet.

Allein ein Gesetz zu verabschieden reiche aber noch nicht aus, meint der albanische Historiker Artan Puto. Das Problem liege vor allem in den grundsätzlichen rechtstaatlichen Defiziten des Landes: "Damit so ein Gesetz auch wirksam wird, müssen wir eine starke Trennung der Regierung und der Justiz schaffen. Sonst droht dieser Prozess zu einem politischen Spiel auszuarten."

Deutschland als Vorbild

Für Gëzim Peshkëpia und andere Opfer der Diktatur ist ein Lustrationsgesetz längst überfällig. Der ehemalige politische Häftling engagiert sich inzwischen in dem vor kurzem gegründeten Institut zur Aufarbeitung der Folgen des Kommunismus. "Ein solches Gesetz ist für Albanien nötig, um die Gesellschaft von diesem Albtraum zu befreien, sowohl in der staatlichen Verwaltung als auch im Parlament", sagt Gëzim Peshkëpia – und nennt dabei auch sein Vorbild: Deutschland. Hier habe man mit der Stasi-Unterlagenbehörde genau den richtigen Weg gefunden, um die eigene totalitäre Vergangenheit aufzuarbeiten.