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Gedenken an den Völkermord

Bettina Marx4. April 2014

Zwanzig Jahre nach dem Beginn des Völkermords in Ruanda hat der Deutsche Bundestag der Opfer gedacht. Parlamentspräsident Norbert Lammert lobte die Qualität der Debatte. Damals habe man dagegen versagt.

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Genozid in Ruanda: gestapelte Schädel in einer Kirche in Ntarama - Foto: EPD
Bild: epd

Selten herrscht im deutschen Parlament so weitgehende Einigkeit, wie bei der Debatte am Freitag (04.04.2014) zur Erinnerung an den Massenmord in Ruanda. 800.000 Menschen waren ab April 1994 innerhalb von wenigen Wochen getötet worden, die meisten von ihnen gehörten der Volksgruppe der Tutsi an. 75 Prozent dieser Minderheit in Ruanda wurden von der Hutu-Mehrheit ermordet.

Redner aller politischen Lager beklagten anlässlich des 20. Jahrestages, dass die internationale Gemeinschaft damals versagt habe. Sie habe die Warnzeichen vor dem Völkermord nicht erkannt und sie habe auch nicht eingegriffen, um das Morden zu beenden. "Es ist schwer zu begreifen, dass die Erde sich weiterdreht nach einem solchen Grauen des Völkermordes", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). So ein Gefühl kenne jeder in Deutschland, der eines der Vernichtungslager der Nazis besucht habe. "Auch dort wächst noch Gras und jetzt im Frühling blühen sogar die Bäume."

"Niemals wieder!"

Als Deutscher sei er vorsichtig mit solchen Vergleichen, denn sie würden der Einzigartigkeit des Holocaust nicht gerecht, fügte Steinmeier hinzu. Aber: "Als Deutscher kann man von dem Völkermord in Afrika nicht sprechen, ohne an den von uns selbst verübten Völkermord zu denken."

Bundesaußenminister Steinmeier spricht in der Gedenkstunde des Bundestages zur Erinenrung an den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 - Bernd von Jutrczenka (dpa)
Bundesaußenminister Steinmeier: "Grauen des Völkermordes"Bild: picture-alliance/dpa

Die Lehre, die man aus dem Mord an den Juden, aus dem Massensterben des Ersten Weltkriegs und aus dem Völkermord in Ruanda ziehen müsse, laute: "Niemals wieder!"

Der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder sagte, der Deutsche Bundestag verneige sich vor den Opfern der Gewalt und wolle sicherstellen, dass sie nicht vergessen werden. Gleichzeitig müsse die deutsche Politik aber auch darüber nachdenken, wie man in Zukunft ähnliche Verbrechen verhindern könne. Aus dem Versagen der internationalen Staatengemeinschaft in Ruanda sei das völkerrechtliche Konzept der internationalen Schutzverantwortung ("Responsibility to protect") entstanden. Dies bedeute, dass man im Notfall auch eingreifen müsse, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Militärische Maßnahmen seien dabei das äußerste Mittel der Politik.

Persönliche Erinnerungen

Bewegend war die Rede der Grünen-Abgeordneten Kordula Schulz-Asche. Sie war im April 1994 als Entwicklungshelferin in Ruanda stationiert und erinnerte sich an den Abend des 6. April. Damals wurde das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen. In der gleichen Nacht begann der Völkermord. "Am 7. April erhielten wir den Anruf der Ehefrau eines Arbeitskollegen, beide Tutsi, die uns verzweifelt um Hilfe bat, weil Soldaten versuchten, in das Haus einzudringen. Plötzlich hörten wir Krachen im Hintergrund und kurz darauf Schreie. Dann brach das Gespräch ab. Später haben wir erfahren, dass an diesem Tag die gesamte Familie ermordet wurde."

Nach dem Völkermord sei sie nach Ruanda zurückgekehrt und habe von vielen Kollegen erfahren, die unter den Opfern waren, aber auch von solchen, die gemordet hatten. Die Frage, warum die internationale Gemeinschaft damals nicht geholfen habe, könne sie nicht beantworten. Sie sei aber seit dieser Erfahrung überzeugt, dass es eine internationale Verantwortung gebe, aus den Fehlern in Ruanda zu lernen, um eine Zivilbevölkerung wirksam zu schützen und alle Möglichkeiten der Prävention zu nutzen.

Die Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen - Foto: Laurence Chaperon (Büro Schult-Asche)
Grünen-Abgeordnete Schulz-Asche: "Aus den Fehlern in Ruanda lernen"Bild: Laurence Chaperon

Gemeinsamer Antrag ohne die Linke

Nach den Ursachen des Völkermords fragte der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich. Mit seiner Antwort ging er weit zurück in die Geschichte. "Hutu und Tutsi wurden erst von Europäern zu Feinden gemacht. Festgeschrieben wurden die angeblichen Rassenunterschiede durch die Deutschen und vor allem durch die belgischen Kolonialherren." Soziale Unterschiede zwischen den beiden Volksgruppen seien von den Europäern ethnisiert worden, um sie besser gegeneinander ausspielen zu können. "Hier liegt die Wurzel des Übels." Die "Genozidregierung" selbst sei in der französischen Botschaft in Kigali gegründet und noch während des Völkermords in Paris empfangen worden. Liebich forderte die Bundesregierung auf, in Frankreich auf Aufklärung zu dringen.

So groß die Einigkeit im Bundestag war, ein gemeinsamer Antrag zu "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord" aller Fraktionen kam nicht zustande. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Bundestag den Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie der Grünen. Der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke kritisierte, dass seine Fraktion ausgeschlossen worden sei. Man habe vielleicht nicht in allen Punkten die gleichen Antworten, sagte er. Sicher aber stelle man im Zusammenhang mit dem Völkermord von Ruanda die gleichen Fragen.