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Gauck auf Suche nach Europas Identität

Kay-Alexander Scholz22. Februar 2013

Bundespräsident Joachim Gauck widmete eine Grundsatzrede dem Zustand Europas. Vieles sei derzeit unbefriedigend. Doch Gauck gab Wege vor, dieses Unbehagen zu überwinden.

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Bundespräsident Gauck bei seiner Grundsatzrede in Schloss Bellevue (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

"Ungeduld, Erschöpfung, Frustration - die Bevölkerung ist unsicher, ob unser Weg richtig ist", sagte Joachim Gauck zur Eröffnung seiner Europarede vor 200 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur sowie Studenten und Schülern am Freitag im Schloss Bellevue. Europa werde derzeit auf vier Buchstaben, den Euro, reduziert und als Krisenfall wahrgenommen. Den Unmut dürfe man nicht ignorieren, warnte der Bundespräsident. Manche Länder fürchteten, zum Zahlmeister zu werden, in anderen gebe es Angst vor sozialem Abstieg.

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Diese Krise in der Entwicklung Europas sei auch in der Politik festzustellen. "Die Gestalter in der Politik sind zu Getriebenen der Ereignisse geworden." Die pragmatische Methode, wonach ein wirtschaftliches Zusammengehen in Europa auch automatisch mehr politische Einheit bringe, funktioniere nicht mehr. Das habe auch historische Gründe, so Gauck. Nach dem Ende des Kalten Kriegs 1989 habe es kein politisches Fundament für die Erweiterung der Europäischen Union gegeben. Und bei der Einführung des Euro sei es zu Konstruktionsfehlern gekommen, die zu einer Schieflage geführt hätten, die derzeit "mit dem Europäischen Stabilitätsmechanimus und dem Fiskalpakt notdürftig korrigiert werden."

Weitere Schritte seien nötig, um die Politik in Europa zu vereinheitlichen. Neben der Wirtschafts- und Finanzpolitik forderte Gauck auch in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine stärkere Zusammenführung.

Frieden, Freiheit - und dann?

Seinen kritischen Blick auf den Zustand Europas machte Gauck auch durch historische Erläuterungen deutlich. Nach 1945 sei die europäische Einigung ein Friedensprojekt gewesen. Nach 1989 sei dann die Idee der Freiheit gemeinschaftsstiftend gewesen.

"Aber woraus schöpft Europa heute, was ist das verbindende Band?", fragte Gauck. Europa habe keinen Gründungsmythos oder keine gemeinsame Schlacht, auf die die Bürger zurückblicken könnten. Doch besonders die Jugend brauche eine identitätsstiftende Erzählung, etwas, "was die Herzen erreicht und die Hände zum Gestalten animiert."

Europas Werte bieten Schutz

"Unser zeitloser Wertekanon als Bekenntnis und Programm verbindet uns", sagte Gauck und nannte als Beispiele Frieden, Freiheit, Toleranz, Gleichheit und Solidarität. Dies sei das "Kostbare von Europa". Die Werte seien einklagbar, wenn sie verletzt würden und böten damit einen Schutzraum und die Möglichkeit für Selbstverwirklichung und Wohlstand. Dieser Wertekanon habe Gültigkeit über alle nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinweg. "Am Beispiel der in Europa lebenden Muslime wird dies deutlich", sagte Gauck. Die europäische Identität lebe nicht von Abgrenzung, sondern durch ein Miteinander.

Schon in anderen Reden hatte Gauck die Bedeutung der europäischen Werte betont. Dieses Mal zog er eine Parallele zur Diskussion über den institutionellen Rahmen in Europa. Wenn über die Frage diskutiert werde, ob es eine Konföderation geben solle oder alles so bleiben solle, wie es ist, dann sei es wichtig, über die Zukunft des europäischen Projekts grundlegend zu reden. "Denn Europa steht vor weiteren Herausforderungen, vor einer Schwelle, vor einem Schritt, der neues von uns verlangt." Leitmotiv dabei müsse sein, "dass sich die Bürger mit Europa identifizieren können und keine Ängste davor haben." Denn ein Europa von oben könne nicht funktionieren. "Takt und Tiefe werden von den Bürgern bestimmt."

Mittler zwischen Bürgern und Politik

Der Bundespräsident, so sagte er jüngst in einem Interview, möchte Mittler zwischen den Bürgern und den Politikern sein. Für entsprechende Diskurse möchte er ein Forum bieten. Seine Rede machte einen Anfang.

Aber auch zu aktuellen politischen Ereignissen gab Gauck seine Meinung kund. Er bat Großbritannien, weiter beim europäischen Projekt mitzumachen und sich nicht zurück zu ziehen. "Wir brauchen eure Erfahrungen als älteste parlamentarische Demokratie!", so Gauck. Und vor einem starken Deutschland müsse niemand Angst in Europa haben. "Ich versichere ihnen", sagte Gauck, "ich sehe unter den politischen Gestaltern in Deutschland niemanden, der ein Diktat anstreben würde." Ein Mehr an Europa hieße nicht ein "deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland."

Auch einen ganz konkreten Vorschlag machte der Bundespräsident. Er könne sich ein "Arte für alle", also einen pan-europäischen Medienkanal vorstellen. Denn es fehle an Kommunikation in Europa, an einer gemeinsamen Öffentlichkeit ähnlich der antiken Agora.

Die Gäste und Bundespräsident Gauck bei seiner Grundsatzrede in Schloss Bellevue (Foto: Reuters)
Die Rede fand vor 200 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur sowie Botschaftern aus Europa stattBild: Reuters

Am Ende seiner Rede appelliert Gauck an die Bürger: "Seid nicht gleichgültig, seid nicht bequem und erkennt eure Gestaltungskraft!" Alle gemeinsam, so schloss der Bundespräsident seine 50-minütige Rede, sollten ihr Versprechen für Europa erneuern und nicht zaudern, sondern zupacken und gestalten.