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Kritische Stimmen in Bulgarien werden lauter

Georgi Lozanov30. April 2015

Mit Platz 106 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Bulgarien das Schlusslicht unter den EU-Staaten. Der bekannteste bulgarische Medienexperte Georgi Lozanov benennt die Ursachen.

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Symbolbild zur Pressefreiheit in Bulgarien (Foto: DW)
Bild: DW/A.Puncheva

Man kann es kaum glauben, aber nachdem Bulgarien 2007 der EU beigetreten ist, verschlechterte sich die Position des Landes in den Ranglisten zur Pressefreiheit kontinuierlich. Diese Entwicklung ist erstaunlich, aber durchaus erklärbar.

Damals dachten viele bulgarischen Medienmacher, die Freiheit sei schon "von draußen" garantiert, also haben sie das Thema einfach für sich abgehakt. Sie haben das kritische Interesse verloren. Aus der gleichen Annahme heraus haben auch Vertreter der Zivilgesellschaft ihren Kampf für Medienfreiheit eingeschränkt.

Unter dem kommunistischen Regime hatten sich die Bulgaren an ein Leben ohne freie Presse gewöhnt. Damals haben die Menschen die wichtigsten Themen nur privat und im Flüsterton besprochen. Nach dem Zusammenbruch des alten Systems hat es nicht lange gedauert, bis die Bulgaren zu dieser Einstellung zurückgekehrt sind: Wichtig seien nicht die öffentlichen Entwicklungen, sondern das Private, das Pikante hinter dem Öffentlichen. Und die Medien sind diesem Trend gefolgt. Nach der anfänglichen politischen Euphorie in den Wendejahren rutschten die Medien langsam ins Boulevardeske ab. Den Marktgesetzen folgend, konzentrieren sich heutzutage die meisten Medien auf ihre Auflagen und Quoten. Qualitätsjournalismus ist nicht ihr Ziel.

Parallel dazu hat die Wirtschaftskrise mehrere westliche Großinvestoren aus dem bulgarischen Medienmarkt vertrieben. Das Vakuum wurde mit Hilfe von einheimischem Kapital gefüllt - zum Teil aus fragwürdigen Quellen. Gleichzeitig ist der Werbe- und Anzeigemarkt um die Hälfte geschrumpft und die Auflagen sind drastisch gefallen. Die Medien wurden notgedrungen immer mehr zu einem Instrument in den korporativen Kämpfen.

Und doch: Die internationalen Ratings zur Pressefreiheit in Bulgarien spiegeln lediglich die Selbsteinschätzung der bulgarischen Medienschaffenden wider. Denn genau diese Leute sind die Experten und Interviewpartner, deren Meinungen die Ratings prägen. Die Journalisten resignieren angesichts des massiven Sympathie- und Vertrauensverlusts ihres Berufes. Einige wenige verbliebene Alltagshelden kämpfen derweil immer noch für das Berufsethos.

Porträt von Georgi Lozanov (Foto: DW)
Georgi Lozanov, Rat für elektronische Medien in BulgarienBild: BGNES

Große Erwartungen an die Öffentlich-Rechtlichen

Die öffentlich-rechtlichen Medien in Bulgarien sind bislang eine Insel des Pluralismus. Hinzu kommt die Tatsache, dass die meisten Medien ausführlich über die Massenproteste im Jahr 2013 berichtet haben. Damit haben sie auch den berechtigten Kampf gegen die Oligarchie unterstützt. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Einschränkungen der Medienfreiheit einen Gegendruck erzeugen, der sie am Ende überwinden könnte.

Um etwas wirklich haben zu wollen, muss man seine Abwesenheit schmerzhaft empfinden. Seit zwei Jahren scheint das in Bulgarien der Fall zu sein. Die Empfindlichkeit in Sachen Pressefreiheit wächst, die kritischen Stimmen werden lauter. Sollte es auch zu entsprechenden Gesetzesänderungen kommen, könnte Bulgarien wieder die Leiter hochklettern, die das Land bislang nur nach unten geführt hat.

Georgi Lozanov ist Medienfachmann, Hochschulprofessor und stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung "Kultura". Zurzeit leitet er auch den Rat für elektronische Medien in Bulgarien.