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Garteneinsichten – die Früchte einholen

20. September 2014

Die Parabel von den Arbeitern im Weinberg zeigt Gottes überschwängliche Großzügigkeit, seine Liebe zu den Menschen unabhängig von deren Leistung. Bis heute ein Affront, so Hildegard König von der katholischen Kirche.

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Deutschland Weinlese am Kaiserstuhl
Bild: DW/S. Wolfrum

Der Apfelbaum in meinem Garten ist voll von Früchten. Das war ein Obstjahr! Kirschen und Pflaumen, das sich die Äste bogen und zu brechen drohten. Reiche Ernte macht Arbeit, wenn schon in einem überschaubaren Garten, wie viel mehr auf den Obstplantagen oder den Weingärten. Glücklicherweise gibt es die Erntehelfer aus Osteuropa. Ohne sie hätte wir heutzutage kein Obst und Gemüse auf dem Tisch, hörte ich letzthin einen sagen. Kaum jemand sei bei uns bereit, die schwere Erntearbeit zu tun. Die Fremden aber kommen Saison für Saison, arbeiten im Akkord, und dann, nach getaner Arbeit, kehren sie in ihre Heimat zurück, - hoffentlich mit einem anständigen Lohn in der Tasche, der ihnen und ihren Familien ein Auskommen gibt.

Die Erntehelfer erinnern mich an jene merkwürdige Parabel (vgl. Mt 20,1-16), die vielleicht von Jesus selbst erzählt worden ist, und die wohl damals wie heute bei seiner Zuhörerschaft Unverständnis und Kopfschütteln auslöst:

Ein Weinbergbesitzer braucht Leute, die einen Tag für ihn arbeiten. Früh am Morgen findet er welche auf dem Arbeitsmarkt, vereinbart mit ihnen einen Tageslohn und schickt sie zur Arbeit. Nach drei, sechs und neun Stunden geht er wieder hin und stellt weitere ein. Und um die 11. Stunde, also kurz vor Feierabend geht er nochmals auf den Markt, wo auch jetzt noch Arbeitssuchende herumstehen; solche, die bis jetzt niemand brauchen konnte. Auch die schickt er zur Arbeit in seinen Weinberg.

Und dann ist Feierabend und es geht ans Auszahlen. Und er gibt allen den gleichen Lohn; angefangenen von den letzten bis zu den ersten: Sie alle erhalten den Tageslohn, den er mit den ersten vereinbart hat. Die zuerst Eingestellten sind darüber sauer. Sie haben einen Tag lang für den Lohn geschuftet und andere kaum eine Stunde. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit scheint hier ganz offensichtlich nicht zu gelten. Aber der Arbeitgeber weiß sich im Recht, weil er die Lohnvereinbarung eingehalten hat. Im Übrigen kann er mit seinem Geld machen, was er will. Und er will, dass alle nach diesem Tag genug zu leben haben. Er entlohnt alle gleich und tut damit Gutes. Ist es Neid, der den Empörten ihren Lohn kleinrechnet?

Jedenfalls verstößt diese Geschichte gegen unser Ideal vom Leistungsprinzip: Wer mehr leistet, soll mehr erhalten; wer mehr oder bedeutendere oder anspruchsvollere Arbeit tut, bekommt mehr als die im Billiglohnsektor. Leistung muss sich lohnen. Das ist fast ein ehernes Gesetz in unseren modernen Gesellschaften, und doch wissen wir, dass es brüchig ist wie rostiges Eisen.

In der Parabel schert sich der Arbeitgeber, nennen wir ihn GOTT, nicht ums Leistungsprinzip; ihm geht es ums Lebensprinzip und um jeden einzelnen Menschen. In seiner Güte ist ihm jeder und jede gleich viel wert, egal ob sie viel leistet oder wenig, ob er Erfolg hat oder nicht.

Ich sehe die fast reifen Früchte an meinem Apfelbaum und stelle fest, dass sie mir in den Schoss fallen, kaum dass ich etwas dafür getan habe. Ich sehe das Grün um mich herum, die Sonne, die sich in den Wassertropfen auf den Blättern spiegelt: Aufkeimen, Wachsen und Reifen liegen nicht in meinen Händen, Sonne und Regen vermögen sehr viel mehr als ich. Unendlich viel wird mir geschenkt. Und nur ein ganz kleines Bisschen trage ich selbst dazu bei.

Diese merkwürdige Geschichte, die wir am heutigen Sonntag vorgelesen bekommen, die sagt mir, wenn ich genau hinhöre, etwas ganz ähnliches wie mein Garten: Gott tickt anders als wir: Ist reine Güte, schenkt verschwenderisch, ist unberechenbar großzügig und maßlos, hält sich nicht an unsere Konventionen, feiert das Leben. Und will, dass wir das begreifen, mehr noch: mitfeiern, heute und morgen und die ganze Woche hindurch.

Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard KönigBild: Hildegard König

Zur Autorin: Prof. Dr. Hildegard König hat in Tübingen katholische Theologie und Germanistik studiert. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Bereich „Alte Kirchengeschichte und Patristik“. Nach einem Studienaufenthalt in Rom lehrte sie an den Universitäten Luzern, Frankfurt, Tübingen und an der RWTH Aachen. Nach einer Gastprofessur an der LMU München arbeitet sie seit 2011 als Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.