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Friedenspartei im Dilemma

Nina Werkhäuser (Hamburg)23. November 2014

Die Wurzeln der Grünen liegen in der Friedensbewegung, der Pazifismus war lange Programm. Heute sind nur noch Reste davon übrig. Das gefällt nicht allen in der Partei.

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Symbolbild Pazifismus (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Jens Büttner

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir war kürzlich in den Kurdengebieten im Nordirak. Dort traf er einen gebrochenen Mann, der ihm von den Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" berichtete: Jungen ab 10 Jahren würden von "IS"-Anhängern erschossen, die Jüngeren in Koranschulen "umerzogen". Seine vier Söhne, so erzählte der Mann dem Politiker aus Deutschland, seien von dem IS ermordet, seine Frau und Töchter verschleppt worden.

Mit Betroffenheit berichtete Özdemir vom schrecklichen Schicksal der Jesiden und anderer Minderheiten im Nordirak. Sein Fazit: Nur mit Waffen könnten die Kurden die "bestialischen Terroristen" des IS stoppen - und "nicht mit der Yogamatte unterm Arm". Humanitäre Hilfe allein reiche nicht gegen Völkermord, sagte er auf dem Bundesparteitag der Grünen und bat die Delegierten "um Respekt dafür, dass ich für Waffenlieferungen bin". Denn damit vertritt er bei den Grünen, die vor 35 Jahren aus der Umwelt- und Friedensbewegung entstanden sind, eine Minderheiten-Position.

Bild eines Luftangriffs auf Kobane (Foto: Reuters)
Grünen-Forderung: Kampf gegen IS ohne deutsche WaffenBild: Reuters/O. Orsal

"Keine grüne Politik"

Die Gegenrede führte Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestags. "Es ist nicht grüne Politik, dem Tabubruch der Bundesregierung zu folgen, die Waffenlieferungen beschlossen hat", rief sie unter dem Beifall der Delegierten. Die gesamte Region sei jetzt schon "ein gigantisches Waffenlager". Um den Vormarsch des IS zu stoppen, brauche es eine Gesamtstrategie, und die sehe sie nicht, sagte Roth. Viele andere Redner schlossen sich an: Die Grünen dürften eine solche Politik nicht mittragen. Die Bundestagsfraktion hat mehrheitlich einen Beschluss gegen Waffenlieferungen gefasst.

Allerdings gibt es auch einige Grüne, bei denen die Haltung Özdemirs auf Verständnis stößt: Ohne Waffen sei der IS nicht zurückzuschlagen und den bedrohten Menschen nicht zu helfen, daher seien Waffenlieferungen das kleinere Übel. Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, geht noch weiter: Sollte es ein UN-Mandat für einen Einsatz gegen den IS geben, argumentiert sie, dann könne sich auch die Bundeswehr einer Beteiligung nicht entziehen.

Bildergalerie 30 Jahre Die Grünen Farbbeutelattacke Joschka Fischer
Quittung von radikalen Pazifisten: Farbbeutel-Anschlag auf Joschka Fischer in Bielefeld (1999)Bild: picture-alliance/dpa

Der Kosovo-Krieg als Zäsur

Die Zeit des kompromisslosen Pazifismus endete bei den Grünen 1999, also fast 20 Jahre nach ihrer Gründung. Es war ein schmerzhafter Prozess, ausgelöst durch den Kosovo-Krieg und den Militäreinsatz der Nato gegen das Milosevic-Regime in Belgrad. Die Bundesregierung wollte sich beteiligen - und mit ihr der erste grüne Außenminister Joschka Fischer. Auf einem turbulenten Sonderparteitag in Bielefeld beschimpften Parteifreunde Fischer als Kriegstreiber. Das Blatt wendete sich erst, als Fischer einen Farbbeutel gegen den Kopf bekam und in einer fulminanten Rede um Unterstützung warb. Später stürzte der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr die Grünen in eine ähnliche Krise.

Pazifismus ade?

Aus Protest gegen die Zustimmung der Grünen zu den Bundeswehreinsätzen im Kosovo und in Afghanistan traten viele Mitglieder aus der Partei aus. Jüngere traten ein, die einen pragmatischeren Ansatz verfolgen: Ein kategorisches Nein zu allem Militärischen sei nicht angebracht, sondern eine Entscheidung von Fall zu Fall. "Eine Friedenspartei muss nicht pazifistisch sein", findet der 21-jährige Joschka Knuth, der seit zwei Jahren Mitglied der Grünen ist. "Die oberste Devise ist die Vermeidung von Militäreinsätzen", sagt der junge Grüne aus Schleswig-Holstein, "aber Kompromisse gehören zum politischen Geschäft dazu."

Hamburg Bundesparteitag Die Grünen Delegierte
Im Ausnahmefall auch Waffengewalt: Grünen-Delegierte Knuth (li.) und SchönauBild: DW/Nina Werkhäuser

Ähnlich sieht es Nele Schönau aus Tübingen. Die 35-Jährige war dabei, als Joschka Fischer den Farbbeutel abbekam. Seither hält sie eine fundamentale Ablehnung von Militäreinsätzen für falsch: Jeder Einzelfall müsse differenziert betrachtet werden. "Das unterscheidet uns von der Linkspartei", sagt Schönau. Die Linke lehnt sogar Einsätze von unbewaffneten Blauhelmen unter UN-Mandat ab. Bei den Grünen werde jedes militärische Eingreifen an der Basis intensiv und kontrovers diskutiert, so Schönau. Es sei Konsens, dass zunächst eine friedliche Lösung gesucht werden müsse.

Axel Vogel, der Fraktionsvorsitzende der Grünen in Brandenburg, drückt es so aus: Seine Partei sei keine pazifistische Partei mehr, vertrete aber "grundsätzlich einen Ethos der Gewaltfreiheit". Auf dem Parteitag in Hamburg diskutierten die Delegierten drei Stunden lang über das Pro und Contra von Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak - kein anderes Thema löste eine so große Kontroverse aus. Am Ende sprach sich eine deutliche Mehrheit gegen Waffenlieferungen an die Kurden aus. Der Parteitag respektierte zugleich ausdrücklich "die Gewissensfreiheit der Abgeordneten, die zu einer anderen Einschätzung gelangt sind".