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Fremd im eigenen Land

1. Februar 2012

Wer einen Migrationshintergrund hat, kann sich noch so vorbildlich in die deutsche Gesellschaft integrieren - und dem Alltagsrassismus dennoch nicht entkommen. Denn darüber bestimmen vor allem Aussehen und Name.

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Frauen mit Kopftüchern (AP:Foto)
Bild: AP

Bei Christian Keller hat es bis kurz vor Ende seines Studiums gedauert, bis er wusste, wie das ist, wenn man einfach nur einer von vielen ist. Das war, während er auf den Philippinen für seine Diplomarbeit im Fach Betriebswirtschaftslehre forschte. Keller saß in einem dieser typischen philippinischen Kleinbusse - einem Jeepney - und die Leute um ihn herum nahmen kaum Notiz von ihm. "Das war richtig rührend, dieses Gefühl: Ich falle nicht auf", erinnert er sich. Aber es habe sich auch Trauer in dieses Gefühl gemischt. Denn es wurde ihm klar, mit welcher Last er die letzten 30 Jahre als Deutscher mit philippinischen Vorfahren in Deutschland gelebt hatte.

Christian Keller macht den Eindruck, als komme er mit den irritierenden und eigentlich verletzenden Verhaltensweisen seiner Umwelt durchaus zurecht. Der 42-jährige Berliner lacht meistens darüber. Zum Beispiel, als er in einer süddeutschen Stadt mit seiner Tochter auf dem Marktplatz steht und eine ältere Frau ihren Partner, ganz schamlos drei Schritte neben Keller, fragt, ob das denn sein könne, dass der Mann mit den kräftigen schwarzen Haaren und dem dunklen Teint wirklich der Vater des rotblonden Mädchens sei. Schon drollig diese Leute.

Aber der Spaß hat für den Berliner Grenzen. "In der sächsischen Provinz hat mir ein Skinhead zugerufen: 'Schau mal der Fidschi!' Da fahre ich natürlich nicht mit meiner Frau und den Kindern hin." Für sich persönlich sieht er wenig Gefahr: Er ist ein Schrank von einem Mann, ein ehemaliger Football-Spieler und Kampfsportler. Er tritt sicher auf, zeigt, dass man besser nicht daran denken sollte, sich mit ihm anzulegen. Aber er sagt auch, dass sein "Radar" immer läuft und er genau registriert, was um ihn herum passiert, "besonders wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin." Das ist eine dauernde Anstrengung. Das nervt ihn.

Gleichbehandlung und Grundgesetz

Die CDU-Politikerin Aygül Özkan ist Sozial- und Integrationsministerin in Niedersachsen (Foto: picturer-alliance/dpa)
Aygül Özkan (CDU), Sozial- und Integrationsministerin in NiedersachsenBild: picture-alliance/dpa

Deutscher wird man - so will es das Grundgesetz - entweder durch Geburt oder durch Einbürgerung. Und da alle Bürger gleich sind, dürften Aussehen und Herkunft - auch der Eltern oder Großeltern - keine Rolle spielen. Es gibt Erfolgsgeschichten in Deutschland, die zeigen, dass ein vietnamesisches Kind, das von einem deutschen Ehepaar adoptiert wird, später Vizekanzler in der Bundesregierung werden kann - so wie es bei dem FDP-Politiker Philipp Rösler geschehen ist. Oder dass eine in Hamburg geborene, türkischstämmige Frau im Bundesland Niedersachsen zur Familien- und Integrationsministerin ernannt werden kann, so wie Aygül Özkan. Es sind Menschen, denen viel Respekt entgegengebracht wird - weil sie es trotz allem geschafft haben.

Probleme auf dem Arbeitsmarkt

Es ist schon viel gewonnen, wenn der Name "stimmt", wenn es ein deutscher Name ist. Christian Keller hatte nie ernsthafte Probleme mit Rassismus, wenn er wegen eines Wohnungsbesichtigungstermins telefoniert oder Bewerbungsunterlagen eingeschickt hat. "Wenn Sie einen ausländischen Namen haben", beobachtet Nuran Yigit vom Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB), "kann es ganz schnell passieren, dass Ihre Unterlagen ganz unten im Stapel landen und Sie nie zu einem Gespräch eingeladen werden." Das Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) bekräftigt diese Feststellung mit einer Studie. Dafür wurden Bewerbungen für studienbegleitende Praktika mit vergleichbarem Inhalt verschickt. Stand ein deutscher Name darauf, war die Rate positiver Rückmeldungen um 14 Prozent höher als bei türkischen Namen.

Nuran Yigit, Leiterin Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (Foto: DW/Heiner Kiesel)
Nuran Yigit, Leiterin des AntidiskriminierungsnetzwerksBild: DW

"Es gibt da dieses unausgesprochene Versprechen der deutschen Gesellschaft, dass du dazugehörst, wenn du dich anstrengst, alles richtig machst und die richtigen Abschlüsse hast", sagt Yigit, die sich seit acht Jahren professionell mit Diskriminierungsfällen beschäftigt. "Aber das ist eine Lüge." Yigits Kollege Serdar Yazar hat Diskotheken in der Hauptstadt getestet und bei einer Reihe von Clubs rassistische Zugangsbeschränkungen festgestellt. "Wir haben eine Gruppe von südländisch aussehenden jungen Männern hingeschickt und da war die Disko laut Türsteher voll", sagt Yazar. "Als die Vergleichsgruppe mit eher mitteleuropäischen Leuten dran war, gab es kein Problem mehr."

"Diskriminierung mit einem Lächeln", nennen es Fachleute, wenn Menschen ganz freundlich, aber mit fadenscheinigen Ausreden abgespeist werden, nur weil sie nicht so wirken, als ob ihre Familien seit vielen Generationen festverwurzelt in Deutschland leben. Dann ist die annoncierte Wohnung "leider schon weg", im Restaurant "eine geschlossene Gesellschaft" und das Hotel "unglücklicherweise ausgebucht". Wer sich in Deutschland diskriminiert fühlt, kann Beschwerde bei einer Beratungsstelle wie dem ADNB einreichen, das ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 geregelt. Der Verursacher der Ungleichbehandlung kann zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Das spricht sich aber erst langsam herum.

Gut gemeint aber peinlich

Es gibt aber auch eine freundlich gemeinte Art der Diskriminierung, die den Deutschen mit nichtdeutschen Vorfahren auf Schritt und Tritt begegnet. Das häufig gehörte "Sie sprechen aber gut deutsch", ist für einen voll integrierten und im Inland aufgewachsenen Deutschen nicht gerade ein Lob, sondern eher beleidigend. Michel Favres Eltern stammen von der französischen Karibikinsel Martinique. Er ist ein hochgewachsener sportlicher Typ mit einem Hang zu ausgefallenen Pluderhosen. "Ich kann es einfach nicht mehr hören, wie toll 'wir Schwarzen' uns bewegen können", ärgert er sich. "Das hat mir kürzlich wieder einer gesagt und ich habe mich bloß zwischen zwei Regalen bei uns im Lager durchgequetscht."

Autor: Heiner Kiesel

Redaktion: Dеnnis Stutе