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"Widerstand war möglich"

Marc von Lüpke18. Februar 2013

Franz J. Müller gehörte der Widerstandsgruppe Weiße Rose an. Im Gespräch mit der DW erzählt er, was damals geschah und warum die Weiße Rose uns heute noch vieles zu sagen hat.

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Franz J. Müller (Archivfoto: picture-alliance/dpa)
Zeitzeuge Franz J. MüllerBild: picture-alliance/dpa

DW: Wie wurden Sie als junger Schüler Mitglied der Weißen Rose?

Franz J. Müller: Also Mitglied kann man nicht sagen. Ich war ein Teilnehmer, wir waren schließlich kein Verein. Ich bin durch Hans Hirzel zur Weißen Rose gekommen. Hans war mein Klassenkamerad und der Sohn des Stadtpfarrers an der Martin-Luther-Kirche in Ulm. Wir waren eng befreundet und haben auch ein wenig die Schule unsicher gemacht. Die Familien Hirzel und Scholl waren ebenfalls miteinander befreundet und so hat Hans Hirzel die Geschwister Scholl in München besucht. Dabei hat Hans Scholl dann Hans Hirzel das II. Flugblatt der Weißen Rose gezeigt und gefragt, ob er Freunde hätte, mit denen er weitere Flugblätter in Ulm verteilen könne. Hans Hirzel hat es dem engsten Freundeskreis gezeigt und gefragt, wer beim Verteilen helfen wolle. Nur ich erklärte mich schließlich bereit.

Was hat Sie dazu gebracht, die Flugblätter der Weißen Rose zu verbreiten?

Der "Führer" bestimmte, ob wir zu leben oder zu sterben hatten. Und dann all dieser pseudomilitärische Kram. Wir durften auch nicht lesen, was wir wollten. Zum Glück hatten wir die Gelegenheit, den Schweizer Rundfunk zu hören. Das war zwar nicht die Stimme der Freiheit, aber da gab es immerhin Informationen, die man in Deutschland nicht hatte. Das wurde dann bei uns natürlich auch beredet. Wir wussten, wenn Deutschland den Krieg nicht verliert, würden die Nazis in ganz Europa herrschen. Das wollten wir keinesfalls! Wir waren der Meinung, dass Deutschland den Krieg verlieren MUSS! Denn sonst würde die Freiheit in unserer Lebenszeit nicht wieder erscheinen.

Was haben Sie genau für die Weiße Rose getan?

Ich habe mit Hans Hirzel das V. Flugblatt verschickt. Dafür mussten wir zunächst einmal Briefumschläge besorgen: Ich habe frühmorgens den Büroschlüssel meines Vaters genommen. Er war Beamter im Reichsnährstand. Ich schlich ins Büro und habe einen ganzen Karton geklaut, wahrscheinlich tausend Stück.

Hans Scholl *1918-1943+ Medizinstudent, D Mitglied der Widerstandsgruppe 'Weisse Rose' - v.l.: Hans Scholl, Sophie Scholl, Christoph Probst am Münchener Verladebahnhof. Das Foto entstand unmittelbar vor dem Abtransport der Studentenkompanie an die Ostfront. - 22.07.1942
Der "Kern" der Weißen Rose: Die Geschwister Scholl und Christop Probst (r.) 1942Bild: ullstein bild/AKG/George J. Wittenstein

Wie haben Sie Hans und Sophie erlebt?

Ich habe Hans und Sophie leider nicht persönlich gekannt. Hans Scholl war der bekannteste Hitlerjugend-Führer in Ulm und Umgebung. Das hatte er seinem Aussehen zu verdanken und vor allem seiner besonderen Art, den Dienst zu gestalten. Jeder, auch ich, wollte in seine Gruppe. Wenn man von Hans Scholl angeredet wurde, war das bereits eine Art von Ehre. Mein Freund Hans Hirzel war ein bisschen in Sophie Scholl verliebt. Sie war eine attraktive junge Frau, und wir waren gehemmte Oberschüler. Ich hätte nie gewagt, sie anzusprechen und wäre rot geworden, wenn sie es getan hätte.

Sie selbst sind vor der Hinrichtung der Scholls zur Wehrmacht eingezogen worden. Wie haben Sie vom Schicksal der Geschwister erfahren?

Meine Mutter hat mir den Zeitungsausschnitt aus der Ulmer Zeitung geschickt: "Volksverräter hingerichtet". Und so wusste ich, dass Hans und Sophie nicht mehr lebten.

Was ist mit Ihnen passiert?

Ich wurde in Frankreich verhaftet. Eines Abends Anfang März 1943, als wir von Übungen zurück in die Kaserne kamen, hieß es: "Kanonier Müller, auf die Schreibstube!" Da wusste ich Bescheid. Der Kommandeur sagte: "Ich habe Befehl aus Berlin erhalten, Sie zu verhaften und nach München verbringen zu lassen." Im Zug wurde ich nach München zur Gestapo gebracht.

Schließlich klagte man Sie wie die Scholls vor dem Volksgerichtshof unter seinem Vorsitzenden Roland Freisler an. Sie kamen aber mit dem Leben davon?

Das haben wir wohl Suse Hirzel, der mitangeklagten Schwester von Hans, zu verdanken. Blond, blauäugig mit Zopf-Haarkranz, für Freisler "das Urbild eines germanischen Mädchens, das von dem Schmutz gegen den Führer doch nichts gewusst haben konnte". Er verurteilte sie zu einem Jahr Gefängnis. Da konnte er uns Jüngere, auch blond und blauäugig, trotz der gravierenden Anklagepunkte nicht zum Tode verurteilen. Und so erhielten wir "als unreife Burschen von Staatsfeinden verführt" fünf Jahre Gefängnis.

Bekannt wurden Sie in der Nachkriegszeit vor allem durch die Weiße Rose-Stiftung, die Sie mitgegründet haben. Was möchten Sie mit dieser Stiftung erreichen?

Meine Überlegungen waren: Wir mussten den Alliierten und allen, die Deutsche nur negativ als Täter und Mitläufer sahen, klar machen, dass es unter Hitler auch andere Deutsche gegeben hatte. Die für ein anderes Deutschland gekämpft, ihr Leben riskiert und leider auch oft gegeben hatten. Auf sie konnten wir stolz sein. Ihre Ideen sollten unsere Zukunft prägen.

Franz J. Müller, Vorsitzender der Weiße Rose Stiftung (l) und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (r) betrachten in der Walhalla bei Donaustauf (Landkreis Regensburg) die Büste von Sophie Scholl. 60 Jahre nach ihrer Hinrichtung durch die NS- Diktatur ist die Widerstandskämpferin Sophie Scholl mit einer Büste in der Walhalla geehrt worden.
Franz J. Müller und der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber begutachten 2003 die Büste von S. SchollBild: picture-alliance/dpa

In diesem Sinne sehe ich es als das Verdienst meines Lebens, die Weiße Rose Stiftung initiiert und mit überlebenden Teilnehmern sowie Angehörigen der Hingerichteten gegründet zu haben. Um für die Zukunft das Andenken an die Menschen in der Weißen Rose zu bewahren, haben wir die Wanderausstellung "Die Weiße Rose" erarbeitet. Es gibt sie inzwischen in vielen Sprachen und sie sind viel unterwegs z.B. in Italien, Frankreich, Spanien, Russland, USA, Japan und so weiter. Dazu hilft natürlich auch, dass die Weiße Rose fest im Geschichts-Lehrplan verankert ist.

Wie erklären Sie sich das internationale Interesse an der Weißen Rose?

Die Weiße Rose gilt als das große Zeichen, dass in Deutschland Widerstand möglich war, das man etwas machen konnte. Natürlich wirkt auch, dass es junge Menschen waren und das Geschwisterpaar hingerichtet wurde.

Was ist Ihre Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen und Schülern? Was soll das Beispiel der Weißen Rose vermitteln?

Sie neigen zu Bewunderung für das, was wir gemacht haben. Ich versuche, zu vermitteln: Hans und Sophie wollten keine Helden sein. Freundschaft und Freiheit waren ihnen wichtige Werte. Die Schüler sollten sich möglichst vielseitig informieren und mit Freunden diskutieren, um nicht so leicht von Propagandasprüchen beeinflussbar zu sein und Zivilcourage zeigen, wenn Freiheiten gefährdet sind.

Herr Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Marc von Lüpke.