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Frankreich steht mit dem Rücken zur Wand

Zhang Danhong28. November 2012

Der Chor ist einstimmig: Ob IWF, OECD, EU-Kommission oder die Bundesregierung - sie alle mahnen Paris zu Wirtschaftsreformen. Ist Frankreich mit Präsident Hollande wirklich das nächste Sorgenkind in der Eurozone?

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Ein Geschäftsmann schaut auf das Bankenviertel in Paris (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die neueste Warnung kam von der Ratingagentur Moody's. Sie entzog Frankreich die beste Bonitätsnote und senkte den Ausblick auf negativ. Die Finanzmärkte zeigten sich unbeeindruckt. "Erst einmal haben viele Länder ihr dreifaches A-Rating verloren. Selbst die USA haben es nicht mehr und können sich auch noch refinanzieren", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Dann stehe die Europäische Zentralbank bereit, die im Fall der Fälle alles tun werde, um die Währungsunion zusammenzuhalten. "Das alles erklärt, warum die Anleger nicht so besorgt sind", so Krämer im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Bisher gehört Frankreich, ähnlich wie Deutschland, zu den Gewinnern in der Eurokrise und kann sich zu historisch niedrigen Zinsen verschulden. Dennoch sende diese Herabstufung eine klare Botschaft, meint Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Dass François Hollande jetzt mit dem Rücken zur Wand steht, dass er keine andere Wahl hat, als das Land zu reformieren."

Kurze Arbeitszeit und hohe Arbeitslosigkeit

Seit mehr als 20 Jahren ist es keiner französischen Regierung gelungen, Strukturreformen anzupacken, die das Land wettbewerbsfähiger gemacht hätten. Im Gegenteil: Auf Pump wurden soziale Wohltaten finanziert, die in der Einführung der 35-Stunden-Woche vor zwölf Jahren gipfelten. Nach Zahlen des französischen Wirtschaftsforschungsinstituts Coe-Rexecode arbeiten Vollbeschäftigte in Frankreich jährlich 1679 Stunden, ihre deutschen Kollegen 1904 - also 225 Stunden oder rund sechs Wochen mehr.

Zu der kurzen Arbeitszeit kommt ein starrer Arbeitsmarkt. "Der Mindestlohn beträgt fast 50 Prozent des Durchschnittslohns, so dass er im großen Umfang Arbeitsplätze vernichtet. Das erklärt zum Teil die sehr hohe Arbeitslosigkeit", sagt Krämer. In der Tat kämpft das Nachbarland mit einer Arbeitslosenquote von rund elf Prozent, doppelt so hoch wie in Deutschland. Jeder vierte Franzose unter 25 Jahren ist ohne Arbeit.

Porträt Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank (Foto: Commerzbank AG)
Sieht großen Reformbedarfin Frankreich: Jörg Krämer von der CommerzbankBild: Commerzbank AG

Vor allem in der Industrie wurden Jobs gestrichen. Laut EU-Kommission gingen in den letzten zehn Jahren mehr als 750.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren. Als Folge sinkt der Anteil der Industrie an der gesamten Wirtschaftsleistung kontinuierlich. Mit 12,5 Prozent ist er momentan nur halb so hoch wie in Deutschland.

Zu kleine Firmen und  zu große Banken

Neidisch blicken die Franzosen auf den deutschen Mittelstand, der für Innovation und Marktführerschaft bekannt ist. Außer ein paar Weltkonzernen wimmelt es in Frankreich von kleinen Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Denn ab dieser Marke greifen viele Regularien am Arbeitsmarkt, beispielsweise der strenge Kündigungsschutz.

Während die Unternehmen zu klein sind, sind die Finanzinstitute wiederum gefährlich groß. Die Bilanzsumme der größten Bank BNP Paribas machte Ende 2011 gut 90 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts aus. Zudem sind sie viel stärker in südeuropäische Krisenländer investiert als die deutschen Geldhäuser. Das macht Frankreich anfälliger für Turbulenzen an den Finanzmärkten, sollte zum Beispiel Griechenland den Euro verlassen.

Nur ein Sorgenkind von vielen

Auch in puncto Verschuldung muss sich Paris im Vergleich mit Berlin geschlagen geben. Während die Schuldenquote in Frankreich 90 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten hat, ist sie hierzulande auf 80 Prozent gesunken; während das Budgetdefizit von Paris auch 2013 nicht unter drei Prozent des BIP fallen wird, winkt der Bundesregierung die Aussicht auf einen ausgeglichenen Haushalt.

Porträt Francois Hollande, Präsident Frankreichs (Foto: AFP)
Hält am Defizitziel von drei Prozent für 2013 fest: Präsident Francois HollandeBild: AFP/Getty Images

Auch wenn die französische Bilanz im direkten Vergleich zu Deutschland relativ schwach ausfällt, weigert sich Jörg Krämer, Frankreich als das nächste Sorgenkind der Eurozone auszurufen: "Frankreich ist eine Quelle der Unsicherheit. Aber ich denke, größere Probleme kommen aus Spanien, insbesondere aus Italien."

Stärken a la France

Auch die Eckdaten des Landes werden dem Namen der Grande Nation immer noch gerecht. So war Frankreich in der ersten Hälfte des Jahres das viertgrößte Zielland für ausländische Investitionen. Es ist die fünftgrößte Volkswirtschaft und der sechsgrößte Exporteur auf der Welt.

"Frankreich verfügt immer noch über eine starke Industrie und vor allem über große Unternehmen, die weltweit präsent sind. Außerdem ist die demographische Lage ein Vorteil für die Wirtschaft", zählt Claire Demesmay die Stärken Frankreichs auf. Und man dürfe nicht vergessen, dass die Energiekosten in Frankreich durch das Kernenergiesystem niedriger seien als in anderen europäischen Ländern, unter anderem Deutschland, so Demesmay zu DW.

Porträt Dr. Claire Demesmay, Leiterin des Programms Frankreich und deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Foto: DGAP)
Traut Hollande die Trendwende zu: Claire DemesmayBild: DGAP

Zwar hat Präsident Hollande seit seinem Amtsantritt vor sechs Monaten vor allem mit der Millionärssteuer von 75 Prozent und der Rückkehr zur Rente mit 60 im Ausland für Unverständnis gesorgt. "Allerdings muss man wissen, dass die Steuer nach zwei Jahren entfällt und weniger als 20 Prozent der Rentner mit 60 in Ruhestand gehen können", schreibt François Villeroy de Galhau, Geschäftsführer von BNP Paribas, im "Handelsblatt".

Hollande habe die Probleme des Landes erkannt und bereits erste Maßnahmen eingeleitet, bescheinigt auch Frankreich-Expertin Demesmay: "Seine Methode ist, diesen Weg zu gehen, ohne die französische Bevölkerung zu brüskieren." Das bedeute, dass er sich für diese Reformen mehr Zeit nehmen werde als sein Vorgänger Nicolas Sarkozy. "Er wettet, dass die Finanzmärkte ruhig und die Zinsen für Frankreich niedrig bleiben", so Demesmay. Es könnte eine riskante Wette werden.