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Angstfrei fliegen

Carla Bleiker27. März 2015

Nach der jüngsten Flugzeugtragödie steigen viele Passagiere mit gemischten Gefühlen in die Maschine. Ist die Angst vor dem Fliegen gerechtfertigt? Und lässt sie sich überwinden? Ein Experten-Interview.

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Eurowings-Piloten legen Arbeit nieder
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Dr. Stoll, was haben Sie beruflich mit Flugangst zu tun?

Dr. Keith Stoll: Ich bin klinischer Psychologe und leite seit 25 Jahren Flugangst-Kurse der British Airways. Ich gebe dort den psychologischen Input. In diesen Kursen sprechen vormittags Piloten und erklären die Hintergründe, warum ein Flugzeug überhaupt fliegt und warum sie ihre Arbeit so tun, wie sie es tun.

Ich bin dann für das Programm am Nachmittag zuständig und erkläre, warum Menschen überhaupt Ängste aufbauen und was man dagegen tun kann. Danach gehen wir in die Luft und fliegen mit einer Maschine der British Airways.

Das Programm ist sehr erfolgreich. Vor allem, denke ich, weil sich in diesem Kurs so viele Individuen mit dem gleichen Problem treffen. Es ist wirklich eine Freude: Diese Menschen kommen am Vormittag und sehen sehr besorgt und traurig aus. Und dann, am Ende des Tages fühlen sie sich viel wohler. Viele von ihnen verlieren wirklich komplett ihre Angst. Die meisten entwickeln sich ein ganzes Stück in diese Richtung.

Gibt es nach einem Absturz mehr Menschen mit Flugangst?

Nach jeder Flugzeugkatstrophe machen sich die Menschen verständlicherweise mehr Sorgen. Vor allem, weil sie sich mit der Thematik ihrer Ängste durch den Absturz plötzlich vermehrt auseinandersetzen müssen. Es gibt Menschen, die in so einem Moment über mehr Schwierigkeiten klagen. Nach einer Weile pendelt sich das aber wieder auf dem vorherigen Level ein. Das ist genauso wie wir immer wieder Boot fahren oder in Züge steigen oder mit dem Auto auf der Autobahn fahren, auch wenn es zu Unfällen gekommen ist, genauso ist es mit der Flugangst: Menschen fliegen wieder mit der gleichen Ruhe, die sie zuvor besessen haben. Aber es dauert eben eine Zeit.

19.04.2013 DW Deutschland heute Flugangst
Auch deutsche Fluggesellschaften bieten Kurse gegen Flugangst an

Was erzählen Sie Menschen, die Angst vorm Fliegen haben, sei es nach einer Flugzeugkatastrophe wie jetzt bei Germanwings oder ganz generell? Die meisten Menschen mit Flugangst lassen sich von einem "Machen Sie sich keine Sorge, es ist alles sicher" wahrscheinlich nicht beruhigen.

In gewisser Weise müssen wir damit leben, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt - und sei es eine Straße zu überqueren. Wir denken nur nicht darüber nach, auch wenn Autos außer Kontrolle geraten und Fußgänger überfahren oder über eine rote Ampel düsen. Wir tendieren dazu, dass irgendwie nicht an uns ranzulassen.

Das ist beim Fliegen anders. Weil wir uns plötzlich weit von dem entfernen, was wir normalerweise gewohnt sind. Auf Ungewohntes schauen wir mit anderen Augen. Es gibt über 1.200 Individuen, die in den letzten Jahren bei Airline-Unfällen ums Leben kamen. Es existieren viel mehr Menschen, die einen Stromschlag durch ihren Toaster bekommen oder die Hinfallen und in der Folge sterben. Aber Menschen sehen das eben nicht in dieser Deutlichkeit und das kann man auch nicht von ihnen erwarten.

Es gibt außerdem auch einen Unterschied zwischen Angst und Phobie. Eine gewisse Angst hat jeder von uns. Die Phobie erreicht einen Punkt, an dem wir Dinge vermeiden. Eine Phobie macht uns Panik. Das ist eine ganz andere Sache.

Fliegen ist für uns keine natürliche Verhaltensweise. Ein großer Teil des Vogelgehirns ist mit dem Erlebnis des Fliegens beschäftigt. Hätte der Vogel Angst zu fliegen, hätte er nur eine sehr kurze Lebenserwartung. Aber das menschliche Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, das Fliegen zu verstehen. Und wenn das Gehirn etwas nicht versteht, führt das erstmal dazu, dass versucht wird, die Handlung zu vermeiden. Unser Gehirn sagt: Wenn du es nicht verstehst, dann geh da gar nicht erst hin.

So etwas hat einen unverhältnismäßigen Effekt und die Vorstellungskraft ist ebenfalls sehr stark. Wenn ein Flugzeugunglück stattgefunden hat, sind die Bilder sehr prägend und bleiben in unserem Gedächtnis.

Flugzeug Kabine Passagiere Flug
Wo der beste Platz ist? - Das hängt vom eigenen Bauchgefühl abBild: D. Ott - Fotolia.com

Ich würde nicht sagen, dass ich eine Phobie habe, aber ich fühle mich beim Fliegen definitiv nicht wohl. Ich versuche deshalb immer einen Platz im Gang zu bekommen. Auch wenn ich weiß, dass es irrational ist habe ich so das Gefühl, dass ich weglaufen kann, wenn irgendwas passiert. Es macht keinen Sinn, aber ich fühle mich dadurch besser. Berichten Ihre Patienten ebenfalls solche Verhaltensweisen?

Solche Dinge helfen uns. Es ist fast Aberglaube. Wir denken immer Aberglaube ist auf eine gewisse Weise verrückt, aber wir alle richten uns danach und wir fühlen uns dadurch sicherer. Wenn Sie in ein Flugzeug steigen und den Gang-Platz nehmen, fühlen Sie sich besser. Die Tatsache, dass es eigentlich überhaupt keinen Grund dafür gibt ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass es ihnen Angst nimmt.

Einige Menschen fliegen nur bei Sonnenschein. Andere nur mit ihrem Glücksbringer. Es ist menschlich, dass wir nach soviel Sicherheit wie möglich streben. Wir fühlen uns besser. Die Realität ist aber, dass wir keine Kontrolle haben und das macht es so schwierig.

Wenn man Auto fährt, sieht man die Straße und man erkennt, dass sie nach rechts führt und kann ihr folgen. Wir sehen, was los ist. Wenn wir fliegen, verstehen wir die Ereignisse erst, wenn sie bereits passiert sind. Das Flugzeug dreht und wir bemerken: Ah, das Flugzeug hat gedreht. Also klammern wir uns an alles was möglich ist - und wenn es der Gang-Platz ist, dann prima. Nehmen Sie ihn!

Können Sie Atemtechniken für Passagiere empfehlen, die beim Fliegen sehr nervös werden?

Das Wichtigste ist erst auszuatmen und dann einzuatmen. Dabei sollte man sicherstellen, dass die Atmung eher ins Zwerchfell geht und nicht sehr flach ist. Der Körper reagiert auf Angst mit einer sehr speziellen Atmung.

Was ich den Leuten dann rate, ist dazwischen zu gehen mit einer ruhigen Atemtechnik und verschiedene Muskeln zu kneten. Es gibt da auch noch andere Techniken, z.B. Akupressur.

Menschen können eine ganze Reihe von Dingen ausprobieren, um ihre Angst in den Griff zu bekommen. Wenn das Gehirn lernt, dass man die Angst im Zaun halten kann, überkommt sie einen immer seltener.

Dr.Keith Stoll ist klinischer Psychologe und praktiziert in London. Er leitet außerdem die Kurse der British Airways "Flying with Convidence", die Menschen mit Flugangst helfen sollen, ihre Phobie zu überwinden.

Das Interview führte Carla Bleiker