1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Einwanderungsland Deutschland

Heiner Kiesel4. Dezember 2014

Deutschland versteht sich inzwischen als Einwanderungsland. Damit muss auch auf die Frage, wer eigentlich ein Deutscher ist, eine neue Antwort gesucht werden. Wichtig ist: Er muss deutsch sprechen, so eine Studie.

https://p.dw.com/p/1DyoH
Kind mit deutscher Fahne (Foto: Peter Steffen/dpa)
Hohe Identifikation: 65 Prozent fühlen sich positiv berührt wenn sie die deutsche Nationalhymne hörenBild: picture-alliance/dpa

Anfang der Woche hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Integrationsgipfel darüber gefreut, wie attraktiv Ausländer Deutschland finden und das mit den steigenden Zuwandererzahlen belegt. Die Studie "Deutschland postmigrantisch" des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) zeigt, dass diese Wertschätzung auch im Inland besteht. Die Menschen in der Bundesrepublik lieben ihr Land: Über 80 Prozent der rund 8000 Befragten sagten das in den Telefoninterviews der Forscher. Da hat es auch keine Rolle gespielt, ob sie auf viele Generationen von hier geborenen Vorfahren zurückblicken oder ob sie oder ihre Familie erst vor relativ kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind. Und jeweils rund 80 Prozent in beiden Gruppen fühlten sich "deutsch".

"Wir wollten herausfinden, was nach der Einwanderung hier passiert ist und wer inzwischen zum nationalen Kollektiv gehört", erklärt die Soziologin Naika Foroutan, Direktorin des BIM, den Hintergrund der Studie. Die Arbeitshypothese der Forscher: Wenn wir wissen, wer dazugehört, dann lässt sich auch sagen, wer ausgegrenzt wird. "Da ist ein Wandel eingetreten", sagt Foroutan, denn dass die vielen Migranten der zweiten und dritten Generation jetzt auch dabei mitreden, was deutsch ist, führt zu einer Verschiebung der Definitionen.

Bärtiger Mann vor Deutschlandfahne (Foto: dpa)
Ein Drittel der Befragten gab ausgrenzende Antworten, um zu erklären, wer "wir" sindBild: picture-alliance/dpa

Tatsächlich, so der Eindruck der Autoren der Studie, sei es heute einfacher als früher, die Kriterien des Deutschseins zu erfüllen. Es lässt sich erlernen. Fast alle meinen, dass dazugehört, Deutsch sprechen zu können (97 Prozent). Das zweitstärkste Kriterium ist schlichtweg, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen - das meinen 79 Prozent der Befragten. Dann gehöre noch dazu, fleißig, zuverlässig und pünktlich zu sein. Das sind alles Voraussetzungen, die eigentlich machbar sind. Aber in Teilen der Bevölkerung hält sich noch immer die Ansicht, dass ein Deutscher Eigenschaften hat, die er als Einzelner kaum oder gar nicht beeinflussen kann: Noch immer ist es für mehr als ein Drittel der Bevölkerung grundlegend, dass Deutsche keinen ausländischen Akzent haben, als Frau doch bitte kein religiös motiviertes Kopftuch tragen und deutsche Vorfahren haben.

Ein Schwerpunkt der Auswertung der Datensätze durch das BIM ist es, herauszustellen, wie sehr sich viele in Deutschland dagegen stemmen, Muslime auch als Deutsche anzuerkennen. Die Feststellung im Fragenkatalog "Muslime sind aggressiver als wir" lehnten zwar fast zwei Drittel der Interviewten ab. Sie waren damit den Forschern allerdings schon in die Falle gegangen, denn wenn die Muslime die "Anderen" sind, wer sind dann "wir"? "Es sind erstaunlich wenige über diese Fragestellung gestolpert und haben sie als absurd abgelehnt ", stellt die Mitautorin der Studie, Dorin Kalkum, fest. Sehr viele hätten angegeben, dass sie bei "wir" an "Deutsche", oder "Deutschland" gedacht hätten. Und dass, obwohl viele der drei Millionen Muslime in Deutschland de facto Deutsche sind.

Forscher hoffen auf Bildungsarbeit

Es gibt scheinbar noch große Wissensdefizite in der Bevölkerung, legen die Befragungen nahe. "Das ist ein klarer Auftrag an die Medien, besonders an das Fernsehen", fordert Studienleiterin Foroutan. 52 Prozent der Interviewten fanden, dass sie "eher wenig" über Muslime wissen und die meisten (44 Prozent) nannten das Fernsehen als ihre Hauptinformationsquelle. Je uninformierter die Befragten sind, desto größer sind die Ängste vor den als "die Anderen" wahrgenommenen Mitbürgern. Erschreckend hoch fiel die Zahl derer aus, die den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung überschätzten. Derzeit sind das etwa vier bis fünf Prozent. In den Telefoninterviews lagen jedoch 70 Prozent mit ihrer Schätzung daneben. 22 Prozent vermuteten sogar einen Anteil zwischen elf und 20 Prozent. Ein Viertel der Teilnehmer an der Studie schoß sogar noch darüber hinaus.