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Fix: "In der Ukraine läuft uns die Zeit davon"

Klaus Jansen21. April 2014

Im Ukraine-Konflikt müssen endlich die Fakten auf den Tisch. Sonst sind alle Drohungen in Richtung Russland wirkungslos, meint Osteuropa-Expertin Liana Fix. Deshalb fordert sie mehr Beobachter für die Ostukraine.

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Liana Fix, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin (Foto: Peter Himsel)
Bild: Peter Himsel

Deutsche Welle: Es scheint sich gerade nichts zu entspannen in der Ostukraine, im Gegenteil. Glauben Sie, dass der Konflikt dort eskalieren wird?

Liana Fix: Die Chancen stehen 50:50. Die Genfer Vereinbarung ist trotz aller Hoffnung kein erster Schritt zur Deeskalation. Die Vereinbarung wird von beiden Seiten so unterschiedlich interpretiert, dass es kein gemeinsames Verständnis darüber gibt, wer die dort vereinbarten Schritte wann umsetzen muss und wer verantwortlich dafür ist, die Maßnahmen zu überwachen.

Welche Gruppierungen - offizielle wie inoffizielle - spielen mittlerweile im Ukraine-Konflikt eine Rolle?

Im Osten des Landes gibt es tatsächlich organisierte Bürger. Die wollen die Ostukraine stärker in Richtung Russland orientieren. Das sind aber nicht so viele wie im Krim-Konflikt. Dann gibt es die bewaffneten Einheiten in der Ostukraine. Sie selbst bezeichnen sich als unabhängige ostukrainische Milizia. Es ist aber wahrscheinlich, dass sie von Moskau unterstützt werden. In Kiew gibt es die nationalistischen Gruppen: Einerseits die seit Jahren etablierte Swoboda-Partei. Deren Beliebtheit ist Umfragen zufolge aber deutlich gefallen. Auf der extremen Seite gibt es noch den rechten Sektor, der von russischer Seite sehr hervorgehoben wird. Den Einfluss dieses Sektors sollte man aber nicht überschätzen. Sie sind nicht tief verwurzelt und haben keine lange Tradition.

OSZE-Beobachter in der Ukraine (Foto: AFP PHOTO / ALEXANDER NEMENOV)
OSZE-Beobachter in der UkraineBild: AFP/Getty Images

Verhandelt man im Konflikt denn mit den richtigen Gruppierungen?

In Prinzip ja, weil Russland einen massiven Einfluss ausübt. Aber solange Russland das nicht zugibt, sind Verhandlungen über die Separatisten in der Ostukraine mit Russland natürlich fruchtlos. Julia Timoschenko hat in Kiew einen Runden Tisch vorgeschlagen, an dem auch die Separatisten sitzen sollen. Dagegen gibt es aber große Bedenken. Damit würde man die Separatisten als Verhandlungspartner anerkennen. Es ist aber nicht klar, inwiefern sie die Meinung der Ostukrainer vertreten. Es könnte auch nur eine kleine radikale Einheit sein, die provozieren will und an einer langfristigen stabilen Lösung nicht interessiert ist.

Welche Hebel könnte der Westen jetzt noch ansetzen? Was kann jetzt noch getan werden?

Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland stehen noch im Raum. Diese dritte Sanktionsstufe sollte ja nur zur Anwendung kommen, wenn es ganz klar eine russische Intervention in der Ostukraine gibt. Das lässt sich aber ganz offensichtlich noch nicht belegen. Ich persönlich finde es wichtig, weitere Beobachter in die Ostukraine zu schicken. Dann könnte man wirklich klären, wer vor Ort was tut und wie groß der Rückhalt in der Bevölkerung dafür ist. Und die Gretchen-Frage ist: Woher bekommen sie ihre Unterstützung? Der eine durchschlagende Beweis für eine russische Unterstützung fehlt immer noch.

Welche Rolle werden die anstehenden Wahlen spielen?

Die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai sind ganz entscheidend für die Stabilisierung der Ukraine. Bisher wird der Regierung in Kiew vorgeworfen, dass sie nicht legitimiert ist. Wenn man einen legitimierten Präsidenten hätte, müsste man ihn auch als Verhandlungspartner anerkennen. Die Frage ist jetzt, ob die Separatisten in der Ostukraine und ob Russland ein Interesse daran haben, diese Wahlen friedlich durchzuführen und überhaupt zuzulassen. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht besonders hoch, dass sich ein pro-russischer Kandidat durchsetzen kann.

Welche Rolle müsste Deutschland spielen bei den europäisch-russischen Beziehungen?

Die Bundesregierung hat bisher sehr überlegt gehandelt. Ich frage mich aber, ob es weise ist, den letzten Trumpf, den man gegenüber Russland hat, die Wirtschaftssanktionen, jetzt schon aus der Hand zu geben und anzukündigen, dass man eigentlich zögert, diese einzusetzen. Man hat schon so wenige Hebel, die man ansetzen kann. Deswegen sollte gerade Deutschland diesen Trumpf noch länger im Ärmel behalten.

Ist das Hauptproblem im Ukraine-Konflikt tatsächlich, dass die Faktenlage immer noch sehr dünn ist?

Es gibt schon viele Fakten, aber diese Fakten sind nicht autorisiert. Wir haben keine Instanz, die sagt, dass die Truppen in Slowjansk zum Beispiel eindeutig russische Staatsbürger sind. Journalisten tragen viel zur Aufklärung der Situation bei, aber das reicht nicht für Verhandlungen. Je länger wir Zurückhaltung üben und uns nicht sicher sind, desto einfacher ist es, vor Ort Fakten zu schaffen. Das haben wir schon in der Krim-Krise gesehen. Je länger man überlegt, ob es russische Soldaten sind, desto mehr Spielraum haben die Akteure vor Ort. Das ist das berühmte Spiel auf Zeit. Wir sollten uns nicht zu viel Zeit lassen, weil wir sonst irgendwann vor vollendeten Tatsachen in der Ostukraine stehen, die wir dann möglicherweise - ähnlich wie in der Krim - nicht mehr rückgängig machen können.

Liana Fix ist Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Sie promoviert zur Rolle Deutschlands in den europäisch-russischen Beziehungen und arbeitet für das Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung.