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'Feministischer Frühling'

Lisa Bryant, Paris / ng23. Juli 2013

Die halbnackten Mitglieder der feministischen Femen-Bewegung kämpfen gegen das Patriarchat. Ihr neueste Aktion ist der "feministische Frühling" in arabischen Ländern - eine Idee, die polarisiert.

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Femen-Aktivistinnen halten Banner in Tunis (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Pauline Hillier sieht müde aus, als sie in der Femen-Zentrale Besuch empfängt. Verständlich, denn gerade wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen. Vergeblich hatte sie versucht, vor dem Elysée-Palast zu demonstrieren. Die 26-Jährige trägt nichts außer einer dünnen, leicht durchsichtigen Tunika, einer Hose im Armeestil, für die Femen bekannt ist, und Unterwäsche.

"Es hat mich doch sehr überrascht. Kaum stiegen wir mit unseren Blumenkränzen aus dem Auto kamen die Polizeibeamten auf uns zugerannt, um uns zu verhaften", so Hillier. "Es ging alles so schnell. Wir wollten natürlich nicht aufgeben, wir hatten ja eine Botschaft zu vermitteln. Also haben wir weiter gekämpft und weiter protestiert - so, wie wir es immer tun."

Gewalt und Empörung

Verglichen mit anderen Aktionen war dieser letzte Zwischenfall eher harmlos. Kürzlich verbrachte sie einen Monat in einem Gefängnis in Tunesien. Sie hatte gegen die Inhaftierung ihrer Femen-Mitstreiterin Amina Soubi demonstriert. Im Internet kursieren Videos von der Aktion: Hillier zusammen mit einer deutschen und einer französischen Kollegin vor dem Gerichtsgebäude in Tunis - natürlich oben ohne. Um sie herum stehen Fotografen und sichtlich aufgebrachte Leute.

Pauline Hillier bei der Freilassung in Tunesien (Foto: AP)
Pauline Hillier bei der Freilassung in TunesienBild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Einer versucht, den Femen-Aktivistinnen, die ihre Brust mit Graffiti besprüht haben, einen Mantel überzuwerfen. Ein paar Sekunden später werden sie von der Polizei abgeführt. "Sie haben uns mit heißem Kaffee übergossen. Wir dachten erst, es sei Säure. Wir hatten Angst, aber wir haben weiter gemacht", so Hillier. "Dann haben sie versucht, uns zu verstecken, weil sie natürlich Brüste in der Öffentlichkeit nicht ausstehen können. Sie haben uns beschimpft, mit Pistolen bedroht und dann in einen dunklen Raum gesperrt." Eine Frau mit einem Gesichtsschleier habe ihr sogar ins Gesicht geschlagen", sagt Hillier.

Brandstiftung bei Femen?

Die barbusigen Aktionen haben Femen schnell bekannt gemacht. Ob Sextourismus, Religion, autokratische Regierungen oder Chauvinismus - die Aktivistinnen protestieren immer oben ohne. Manche finden das lobenswert oder zumindest amüsant, andere sind empört. Letztes Jahr hat Femen in Paris ein Trainingslager eröffnet, um eine neue Generation von Feministinnen zu schulen. "Normalerweise sind wir so etwa 20 Leute. Wir joggen, machen Liegestützen, damit wir fit sind. Aber wir üben auch, wie man sich blitzschnell auszieht, wie man einen Politiker angreift oder auf ein Auto springt."

Das Hauptquartier von Femen in Paris (Foto: dpa)
In der Pariser Femen-Zentrale brannte es - ein Unfall?Bild: picture-alliance/dpa

Vergangenen Sonntag (21.07.2013) brannte es in der Zentrale. Bisher geht die Polizei von einem Unfall aus. Bei Femen ist man sich nicht so sicher, da man wenige Tage zuvor einen Drohanruf bekommen hatte. "Brennen" sollten sie, wie "Hexen" lautete die anonyme Nachricht. Hillier ballt die Hände zu Fäusten und boxt in die Luft, als sie vom Trainingslager erzählt.

Der 'feministische Frühling'

Femens nächstes Ziel ist der Islam. Inna Schewtschenko, die Femen in der Ukraine leitet und kürzlich in Frankreich Asyl erhielt, nennt es einen "neuen arabischen Frühling" der Frauen. "Die Länder des arabischen Frühlings haben die Gesellschaft schwer enttäuscht und die islamistischen Parteien, die jetzt regieren, so wie in Tunesien, verstärken die Unterdrückung noch", so Schewtschenko. Tunesien sei nur der Anfang einer größeren Kampagne für Frauenrechte in muslimischen Ländern.

Das Land, das auch der Ausgangspunkt des arabischen Frühlings 2011 war, gilt in der Region schon lange als Vorreiter für Frauenrechte. Der wachsende Einfluss der Islamisten drohe aber, diese Rechte und auch generell die freie Meinungsäußerung zu unterwandern, fürchtet Menschenrechtsaktivistin Chadija Cherif.

Richtige Botschaft - falsche Methoden?

Die raue Abfertigung der Femen-Aktivistin Amina Sboui ist ein Beispiel für diese Entwicklung, glaubt Cherif. "Was hier passiert, ist sehr ernst", sagt sie. "Weil diese junge Frau oben ohne demonstriert und Graffiti sprüht, wird sie weggesperrt. Ich halte ihre Methoden zur Bekämpfung der Unterdrückung der Frau nicht für optimal, aber eine Gefahr stellt sie nicht dar."

Für Femen sei klar gewesen, dass sie Sboui helfen mussten, so Hillier. Auch wenn sie selbst dafür in Tunesien im Gefängnis landete. "Wir mussten uns ein Zimmer teilen, es war heiß, überall Ungeziefer, Kakerlaken. Essen gab's nur einmal am Tag, duschen durften wir nur einmal im Monat. Es gab nicht mal für jede von uns ein Bett. Man wollte uns erniedrigen", so Hillier.

Muslima gegen Femen

Die Anti-Islamkampagne der Femen-Frauen hat in muslimischen Ländern für viel Unmut gesorgt - auch bei Frauen. Auf Facebook bezichtigt die Gruppe "Muslimische Frauen gegen Femen" Femen der Islamophobie. Die stellvertretende parlamentarische Sprecherin Mehrezia Labidi, die der moderaten islamistischen Ennahda-Partei angehört, glaubt nicht, dass Femen-Aktivistinnen ins Gefängnis gehören. Sie glaubt aber auch nicht, dass ihr Protest Frauen hilft. "Ich denke nicht, dass so eine Provokation in irgendeiner Weise den Stand der Frauen, ihre Freiheit verbessern kann."

Auch in Paris gibt es Zweifel: Femen hat seine Zentrale dort in einem sehr gemischten Arbeiterviertel. In einem Café um die Ecke gibt es kritische Stimmen. "Ich bin für die freie Meinungsäußerung, aber es gibt Grenzen. Man kann sich eben nicht überall ausziehen", sagt der Algerier Said Kana. Ganz in der Nähe ist ein Eisenwarenladen. Der Verkäufer, der sich nur Momo nennt, meint, die Frauen von Femen hätten "keinen Anstand".

Protest gegen Inhaftierung von Femen-Aktivistin Aminia vor tunesischer Botschaft in Paris (Foto: picture alliance)
Oben-Ohne-Protest von Femen - der richtige Weg?Bild: picture-alliance/AP

Gegen das Patriarchat

Pauline Hillier von Femen ist diese Kritik egal. Sie sagt, dass sie mehr und mehr Unterstützung bekämen, sowohl in Paris als auch anderswo. Viele junge Menschen in Tunesien interessierten sich für Femen auf Facebook. Die Frauen im Gefängnis in Tunis hätten sich ebenfalls solidarisch gezeigt. "Wir haben uns mit ihnen unterhalten, und obwohl sie sehr religiös waren, haben sie trotzdem ihre Regierung kritisiert und sich über die Behandlung von Frauen beschwert, über die Unterdrückung in Tunesien. Sie sagen laut: 'Wir haben die Schnauze voll'", so Hillier.

Ende Juni wurden sie und ihre Mitstreiterinnen entlassen, aber die Tunesierin Sboui ist noch immer in Haft. Sie muss sich vor Gericht verantworten - wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Sittlichkeitsvergehen. Und so geht Femens Kampf weiter, nicht nur in Tunesien. "Es geht voran. Viele Mädchen und Frauen wollen uns beitreten, wir machen neue Filialen auf. Und das nicht nur in muslimischen Ländern, sondern auch in Spanien, Kanada, Polen und nordafrikanischen Ländern", so Hillier. Es sei nur der Anfang, sagt sie entschlossen. Femen wird es geben, bis zum Ende des Patriarchats - daran glauben Hillier und ihre Mitstreiterinnen fest.