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FBI-Haaranalyse

Gabriel Borrud20. April 2015

Die US-amerikanische Kripo hat zugegeben, dass Forensiker des FBI seit Jahrzehnten fehlerhafte Haaranalysen durchgeführt haben. Doch das könnte unbewusst passiert sein, sagt Neurowissenschaftler Itiel Dror.

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Abgesperrter Stadtteil (Foto: Katrin Gänsler Abuja, Nigeria).
Bild: DW/K. Gänsler

Deutsche Welle: Wie verlässlich ist die Haaranalyse im Vergleich zu einfachen Fingerabdrücken am Tatort oder dem genetischen Fingerabdruck?

Itiel Dror: Das Problem im Zusammenhang mit dem FBI hat erst mal nichts mit der Haaranalyse zu tun. Jede forensische Methode - auch die Analyse von Fingerabdrücken und DNA - ist subjektiv beeinflusst. Weil alle einen Interpretationsspielraum lassen, sind sie nicht zu 100 Prozent objektiv. Der Mensch spielt beim endgültigen Urteil eine entscheidende Rolle. Ich denke, dass das Problem auch in anderen forensischen Disziplinen auftritt, wo Beweismittel von Experten überbewertet werden, um einen Verdächtigen zu überführen. In einem solchen Fall werden sie einfach vom Kontext der Tat beeinflusst. Zurzeit versuchen wir, forensische Entscheidungen zu verbessern, indem wir sicherstellen, dass sich Experten auf die wissenschaftlichen Beweise konzentrieren - sie wissen also wenig über die begleitenden Umstände, die ihr Urteil beeinflussen könnten.

Das war meiner Meinung nach ein Problem der Haaranalyse, aber es besteht genauso bei der Analyse von Fingerabdrücken, DNA, Handschriften…Wenn sich die Experten nicht auf die wissenschaftlich gesicherten Daten verlassen, sondern sich von irrelevanten Informationen über den Fall ablenken lässt, dann verändert sich ihre Einschätzung und sie sprechen Beweismitteln eine zu große Rolle zu.

Lassen Sie uns genauer darauf eingehen: In welchem Maß ist die Haaranalyse subjektiv?

Wie subjektiv sie ist, bestimmt immer der Fall: In einigen Fällen ist die Analyse sehr eindeutig. In diesen Fällen ist die Subjektivität und Interpretation minimal. In anderen, schwierigeren Fällen ist die Beweislage nicht so eindeutig und dann ist mehr Subjektivität und Interpretation im Spiel. Dann werden die Ermittler vom Kontext beeinflusst, weil es kein objektives Gerät gibt, das eindeutiges Urteil erlaubt.

Porträt - Dr. Itiel Dror (Foto: privat).
Itiel Dror: Kontextinformationen beeinflussen Wahrnehmung und BeurteilungBild: privat

Peter Neufeld vom "Innocence Project" hat gesagt, dass diese Überbewertung von Ähnlichkeiten in Haarproben "den Geschworenen den falschen Eindruck [gibt], dass Haare am Tatort vom Angeklagten stammen müssen". Er sagt also, dass das FBI absichtlich gehandelt hat. Was ist Ihre Einschätzung?

Ich würde sagen, dass die meisten Forensiker nicht mit Absicht Beweise überbewerten. Wir reden hier von kognitiven Gehirnprozessen. Weil sie in den Fall involviert sind, weil sie viele Hintergrundinformationen über den Fall haben, sehen sie Ähnlichkeiten dort, wo es keine Ähnlichkeiten gibt. Es beeinflusst ihre Wahrnehmung und ihr Urteil. Ich glaube nicht, dass das Problem eine willentlich falsche Entscheidung der Forensiker ist. Das wäre ein sehr seltener Fall.

Das Problem ist größer, und es ist überall, weil es unbewusst geschieht. Es beeinflusst jeden Forensiker in jedem möglichen Fall, wenn er oder sie irrelevante Hintergrundinformationen erfährt. Es ist eine Art Wunschdenken des Forensikers oder eine selbsterfüllende Prophezeiung, wenn die Forensiker den Fall schon lange kennen, bevor sie zum ersten Mal die Beweismittel sehen. Sie wissen schon, was sie erwartet, weil sie Hintergrundinformationen haben, weil sie schon diese Informationen haben. Fast alle forensischen Bereiche beinhalten ein subjektives Element.

Wie können wir menschliches Versagen ausschließen?

Ich bin nicht sicher, ob wir das komplett können. Aber wir können es minimieren, auf eine recht einfache Art und Weise. Dafür bräuchte es einen Prozess, den man "linear sequential unmasking" nennt. Dieser Prozess tut etwas sehr einfaches. Er sagt den Forensikern: "Setze dich nicht irrelevanten Informationen aus." Es gibt keinen Grund, warum sie wissen sollten, ob ein Augenzeuge den Verdächtigen identifiziert hat, ob andere Beweismittel den Verdächtigen belasten, oder was der Ermittler denkt - und noch sehr viel mehr Informationen, die für den Forensiker nicht von Bedeutung sind. Egal, ob bei einer Haaranalyse, bei der Untersuchung von DNA, Fingerabdrücken oder Handschrift - die Forensiker von irrelevanten Informationen fernzuhalten ist sehr einfach und wäre ein großer Schritt, um menschliche Fehler und Befangenheit zu minimieren.

Doktor Itiel Dror ist Neurowissenschaftler am University College London. Er untersucht, wie das Gehirn und das kognitive System Informationen verarbeiten und interpretieren.

Das Interview führte Gabriel Borrud.