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Kleinster gemeinsamer Nenner

Daphne Grathwohl8. Februar 2013

Nach 24 Stunden Verhandlungs-Marathon haben sich Europas Staats- und Regierungschefs auf einen Haushalt für die nächsten sieben Jahre geeinigt. Doch der Kompromiss ist faul, kritisieren EU-Parlamentarier.

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Frankreichs Präsident François Hollande am Tisch mit dem italienischen Premierminister Mario Monti und Mariano Rajoy aus Spanien Foto: Michel Euler (AFP)
Bild: Getty Images

Wenn man zum Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel gelangen will, in dem der Haushaltsgipfel stattfindet, muss man derzeit über wackelige Metallabdeckungen und an Bauzäunen vorbei laufen. Überall dröhnt Baulärm. Die Wege zwischen den Absperrungen sind nicht ausgeschildert, sodass man sich leicht verläuft, bis man ans Ziel gelangt. Ein Sinnbild für die lange Verhandlungsnacht der 27 Staats- und Regierungschefs: Ein schwieriger Weg mit vielen Stolperfallen, Umwegen und Hindernissen.

Das Ergebnis: Ein Haushalt in Höhe von 960 Milliarden Euro, also drei Prozent weniger als beim vorangegangenen Finanzrahmen. So viel haben die Staats- und Regierungschefs in sogenannten Verpflichtungsermächtigungen rechtlich verbindlich zugesagt. Die EU-Kommission hatte in ihrem ursprünglichen Vorschlag 1,04 Billionen Euro für die sieben Haushaltsjahre von 2014 bis 2020 gefordert.

Der Haken: Die Staaten zahlen tatsächlich nur 908 Milliarden ein. So hoch sind nämlich die wirklich zugesagten Zahlungen. Diese Diskrepanz zwischen Verpflichtung und tatsächlicher Zahlung gab es auch in der Vergangenheit, da manche geplanten Ausgaben letztendlich nicht stattfinden.

Kleinster gemeinsamer Nenner

EU-Ratspräsident Herman van Rompuy fasste die Marathonverhandlungen gewollt munter folgendermaßen zusammen: "Rückblickend bin ich zufrieden, dass wir während der gesamten Verhandlungen das große Ganze im Blick behalten haben. Sogar unter so schwierigen wirtschaftlichen Umständen haben wir es geschafft, grundlegende Faktoren von Stabilität und Wachstum zu erhalten."

Schlafender Journalist im EU-Ratsgebäude Foto: François Lenoir
Zähe Verhandlungen: Journalisten warten auf das ErgebnisBild: Reuters

Die gemeinsamen Verhandlungen hatten schon mit vielen Stunden Verspätung begonnen. Anstatt am Donnerstagnachmittag (07.02.2013) sofort miteinander zu beraten, zog man sich zunächst zu bilateralen Gesprächen zurück. Die Positionen waren noch zu weit auseinander, als dass man schon in großer Runde hätte sprechen können. Doch kaum war die große Runde am Abend zusammengetreten, trennte man sich schon wieder, um separat die Spielräume auszuloten. Es war ein Verhandlungspoker von Donnerstagabend bis in den Freitagnachmittag hinein.

Am Mittag legte Ratspräsident Herman van Rompuy dann wieder einen neuen Haushaltsvorschlag vor. Die Staats- und Regierungschefs zogen sich für zwei Stunden zurück, um sich auszuruhen. Mit grauen, müden Gesichtern warteten sie, dass eine der zahllosen, vorfahrenden Limousinen sie ins Hotel brachte. Nicht ein Wort war ihnen zu entlocken. Erst am Nachmittag war die Vereinbarung schließlich spruchreif.

Tiefe Gräben

Es war vor allem ein Konflikt zwischen den Nehmerländern und den Geberstaaten im Hinblick darauf, wer wie viel einzahlt - und ob die Finanzmittel in die eher traditionellen Ausgabentöpfe fließen oder in neue, zukunftsweisende Bereiche. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sah in der erzielten Einigung einen Kompromiss aus beidem: "Die Einigung ist wichtig, weil wir damit Handlungsfähigkeit in Europa in den nächsten Jahren haben und Planbarkeit für wichtige Projekte.“ Das sei im Blick auf Wachstum und Beschäftigung entscheidend, schließlich bräuchten Investoren Planungssicherheit.

Bundeskanzerlin Angela Merkel in der Verhandlungspause Foto: Thierry Roge (EPA)
Bundeskanzlerin Angela Merkel: Mühevolles Lächeln in der PauseBild: picture-alliance/dpa

Die von der Kommission in den Haushaltsvorschlag aufgenommen Fonds für Forschung und Infrastruktur, Horizon 2020 und die Connecting Europe Facility (CEF), wurden zwar angenommen, aber gekürzt. Trotzdem sei das eine wichtige Schwerpunktsetzung für Forschung und Innovation, meinte Bundeskanzlerin Merkel. Die Vereinbarung sei auch sehr flexibel, so Merkel: "Wir haben - auch im Blick auf die Verhandlungen mit dem Parlament - eine so genannte Review-Klausel, also eine Überprüfungsklausel, mitverhandelt.“ So kann das Budget in zwei Jahren noch einmal überprüft werden, was in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wichtig sei.

Obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel verhandlungserfahren ist - 24 Stunden schienen auch für sie zu lang und kommentierungswürdig: "Es ist auch für alle, die uns - außerhalb Europas - gefolgt sind in den letzten Stunden, wichtig zu sehen: Die Ergebnisse lassen manchmal auf sich warten, aber Europa und die EU sind in der Lage, Ergebnisse zu erzielen.“

Den Umständen entsprechend gut

Auch nach den jetzt beschlossenen Kürzungen sind Argarsubventionen und Strukturhilfen für die schwächeren Staaten im Süden und Osten Europas - wie in der Vergangenheit - der größte Haushaltsposten. Spanien, Italien und Frankreich verteidigten diese Posten vehement. Frankreichs Präsident François Hollande reklamierte den Erfolg für sich: "Ich wollte die Gemeinschaftspolitik erhalten, die Agrarpolitik, die Kohäsionspolitik. Sie wissen, dass die Agrarpolitik für Frankreich enorm wichtig ist.“ Nicht nur, weil Frankreich ein Interesse daran hat, sondern weil er glaube, dass die Landwirtschaft eine Chance für Europa ist.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht in Mikrofone von Journalisten Foto: Michel Euler (EP)
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: Scharfe Kritik am KompromissBild: picture-alliance/dpa

Und Hollande ließ es sich in seiner ausgesprochen langen Rede nach der Einigung nicht nehmen, auf einen seiner größten Widersacher, nämlich den britischen Premier David Cameron, einzugehen: "Großbritannien wollte weniger als 900 Milliarden, während Frankreich - nicht als einziges Land - dachte, dass man mit einem Volumen von 913 Milliarden ausreichend verfügbare Ressourcen hat. Und der Kompromiss beträgt 908,4." Unter den gegebenen Umständen, erklärte François Hollande, sei das ein guter Kompromiss.

Die faktischen Ausgaben - im Gegensatz zu den höheren Verpflichtungsermächtigungen - wollte gerade der britische Premier David Cameron drücken. Weil sie den Bürgern leichter zu vermitteln seien oder aus kosmetischen Gründen, sei dahingestellt. Jedenfalls konnte er einen Erfolg verkünden: "Die britische Öffentlichkeit kann stolz darauf sein, dass wir den Sieben-Jahres-Finanzrahmen zum ersten Mal überhaupt gekürzt haben."

Nachdem die EU-Partner in vielen Sitzungen den Rabatt auf die britischen Einzahlungen in die gemeinsame EU-Kasse in Frage gestellt hatten, war Cameron sichtlich stolz, sich diesen Wünschen widersetzt zu haben: "Ich habe diese Versuche bekämpft: Der Britenrabatt ist sicher."

Der britische Premierminister David Cameron Foto: Yves Herman
Jeder hat gewonnen, jeder hat verloren: Großbritanniens Premier David CameronBild: Reuters

Widerstand aus dem EU-Parlament

Das Gipfel-Ergebnis stieß schon auf Widerstand, bevor es offiziell verkündet worden war. Viele EU-Parlamentsabgeordnete kündigten an, den Vorschlag abzulehnen. Erstmals nämlich muss das Europäische Parlament dem Mehrjährigen Finanzrahmen zustimmen, das besagt der Lissabonner Vertrag. Der Chef der Liberalen im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt, erklärte im Interview mit der Deutschen Welle, er glaube nicht, dass eine Mehrheit der EU-Parlamentarier diesem Finanzrahmen zustimmen werde. Es entstünde schließlich ein riesiges Defizit durch die Diskrepanz zwischen Verpflichtungen und tatsächlichen Zahlungen. Zudem würde zulasten der zukunftsorientierten Bereiche Forschung, Innovation und Infrastruktur gespart.

Auch Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, äußerte sich im Zweiten Deutschen Fernsehen zum Kompromiss: "Was hier gerade läuft, ist ein ziemliches Täuschungsmanöver", so Schulz. Es sei unseriöse Politik, denn man habe einen 960-Milliarden-Haushalt beschlossen, stelle aber nur 908 Milliarden zur Verfügung. "Wir beschließen gerade einen Defizithaushalt und das ist in der EU juristisch verboten." Dem werde das Europäische Parlament nicht zustimmen.

Neue Deals programmiert?

Beobachter glauben, dass das Parlament eine mögliche Zustimmung mit der Durchsetzung von Elementen verbinden könnte, die es für besonders wichtig hält. Stichwort Finanztransaktionsteuer oder die Vergemeinschaftung von Schulden. "Das Europäische Parlament hat jenseits des Budgets viele Dinge auf der Agenda. Da kann man einen Kompromiss finden", meint Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Think Tank European Policy Center. Man könnte also dem gekürzten Haushalt zustimmen, um diese umstrittenen Instrumente durchzusetzen. Sollte das Parlament aber nicht zustimmen, müsste die Europäische Union auf der Basis von Jahreshaushalten arbeiten.

Zwei Prozent Wachstum und zwei Millionen Jobs wollen die EU-Staats- und Regierungschefs durch Freihandelsabkommen unter anderem mit den USA schaffen. Auch das wurde auf dem Marathon-Gipfel beschlossen. Doch diese Botschaft ging in den Haushaltsquerelen nahezu unter.