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Kritische Stimme

7. Oktober 2011

Fahim Dashty hat keine Angst davor, kritisch zu sein. Der Zeitungsherausgeber hat sich mit seinem Engagement gegen die Taliban und für die Pressefreiheit einen Namen in Afghanistan gemacht.

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Porträt von Fahim Dashty (Foto: DW / M. Gerner)
Bild: DW / M. Gerner

Für viele Afghanen war zunächst nicht der 11. September, sondern der 9. September 2001 ein denkwürdiges Datum. Denn an diesem Tag verübten Al-Kaida-Terroristen einen Anschlag auf einen der bekanntesten Widerstandsführer Afghanistans, Ahmad Shah Massud. Er verteidigte als strategischer Kopf der Nordallianz den letzten Teil des Landes, den die Taliban noch nicht erobert hatten. In den Anschlag verwickelt war damals auch Fahim Dashty. "Ich saß am nächsten bei denen, die den Sprengstoff bei sich trugen", erinnert sich der 38-Jährige. Um Massud herum ein Kreis von Zuhörern, darunter Dashty und zwei Journalisten. Verkappte Terroristen, wie sich Sekunden später herausstellt. "Ich saß hinter den beiden, während die Sprengladung nach vorne losging."

Schicksalstag im September

Aus einem Fotoapparat zünden die Journalisten, die im Auftrag von Al Kaida handeln, ihre Sprengladung. Einige in der Runde sind sofort tot. Auch Ahmad Shah Massud, der charismatische Führer im Kampf gegen die Taliban und die russische Besatzung. "Eigentlich hätte es mich als Ersten treffen müssen", meint Dashty rückblickend. "Ich saß nur einen halben Meter hinter den beiden. Massud und die anderen waren dagegen zwei bis drei Meter weg." Dashty aber überlebt das Attentat. Sein Körper ist übersät mit Brandwunden. Das Haar verkohlt. Die körperlichen Wunden verheilen mit der Zeit, aber der Tod von Massud hinterlässt eine tiefe Lücke in seinem Leben.

Dashty vor einem Foto seines großen Vorbilds Massud (Foto: DW/Martin Gerner)
Dashty vor einem Foto seines großen Vorbilds MassudBild: DW/Martin Gerner

Mit Massud verbindet Dashty die gemeinsame Heimat. Beide kommen aus dem Pandschir-Tal, dem legendären Hort des afghanischen Widerstandes gegen die russischen Besatzer. Die sowjetische Armee biss sich hier die Zähne aus. Noch heute säumen Panzerwracks die Ufer des Tals. "Sieben Mal griff die rote Armee aus der Luft und am Boden an. Aber nie konnte sie das Tal ganz einnehmen. Das war sein Verdienst", sagt Dashty über sein großes Vorbild Massud.

In der Oberstufe will er sich Massuds Kämpfern anschließen. Der aber schickt ihn zurück nach Kabul. Dashty solle erst die Schule beenden. Als er den Abschluss in der Tasche hat, begleitet er die Mudschaheddin als Reporter eines kleinen Film-Teams, das Massuds Wirken dokumentiert. Damals, 1993, wird auch "Kabul Weekly" gegründet, eine Wochenzeitung der Massud-Partei. Dashty erinnert sich an seine journalistischen Anfänge: "Immerzu Krieg. Explosionen. Menschen, die vor meinen Augen starben. Aber ich war jung. Für mich war es meine Arbeit, darüber zu berichten."

Der Preis der Medienfreiheit

2002 begründet Dashty "Kabul Weekly" neu. In der Taliban-Zeit hatte das Blatt kriegsbedingt nicht erscheinen können. Anfangs fließen ausländische Hilfsgelder. Dashty ist von Beginn an ein Kritiker der Karsai-Regierung. Karsai, so findet er, handle zu stark nach den Spielregeln der afghanischen Stammesgesellschaft und zu wenig nach demokratischen Prinzipien. Die Kritik bleibt nicht ohne Folgen. "Eines Tages ließ mir ein wichtiger Mann in der Regierung einen Hinweis zukommen. Er sagte: 'Es kann sein, dass du einen Autounfall hast'." Auf die Pläne, ihn umzubringen, reagiert Dashty mit ironischer Gelassenheit.

Dann kommt das Wahljahr 2009. Es gibt mehr als eine Million gefälschte Stimmen. Auch "Kabul Weekly" kritisiert die Wahlmanipulationen. Eine Haltung, die zu Konsequenzen führt. "Einige Unternehmen, die Karsais Kampagne unterstützten, schalteten Annoncen bei uns. Als sie sahen, wie kritisch wir berichteten, zogen sie ihre Aufträge zurück." Trotz des Verlusts im Anzeigengeschäft gelingt es ihm bis März 2011, die Zeitung am Leben zu halten. Dann muss er sie einstellen. Die neue Medienlandschaft ist voller Fallstricke. Dashty fühlt sich als Opfer der neoliberalen Marktwirtschaft am Hindukusch.

Ungewisse Zukunft nach Truppenabzug

Der Mission des Westens in Afghanistan kann er dennoch viel Gutes abgewinnen. "Es ist das erste Mal in unserer 5000-jährigen Geschichte, dass die Afghanen eine ausländische Präsenz auf ihrem Boden akzeptieren." In Micorayon wohnt Dashty mit Frau und drei Kindern in einer Plattenbausiedlung aus Sowjetzeiten. Die Siedlung ist beliebt, weil es Heizungen gibt. Er hat Fotos herausgesucht. Bilder von Massud, seinem Helden, von dem er geradezu ehrfurchtsvoll spricht. Doch für einen Teil der Menschen in Kabul ist Massud mitverantwortlich für die Bombardements und zahlreichen Toten Anfang der 90er-Jahre, als sich verschiedene Mudschaheddin-Gruppen in der afghanischen Hauptstadt bekämpften.

Fahim Dashty mit seinem zweijährigen Sohn Yousuf (Foto: DW/Martin Gerner)
Fahim Dashty mit seinem zweijährigen Sohn YousufBild: DW/Martin Gerner
Britische Truppen in Kabul (Foto: picture alliance/dpa)
Dashty warnt vor einem verfrühten Abzug der NATO-TruppenBild: picture-alliance / dpa

Die aktuelle Lage sieht Dashty skeptisch. Man könne mit den Taliban nicht verhandeln, meint er. Auch den Abzug der NATO bis 2014 sieht er kritisch: "Wenn es nur nach einem vorgegebenen Zeitplan geht, begehen wir einen Fehler." Seine Warnung vor einem verfrühten Abzug klingt fast ein wenig zynisch: "Wir Afghanen zahlen keinen hohen Preis. Weil wir außer ein paar Schulen und Krankenhäusern kaum etwas zu verlieren haben. Nur ein paar Schulen und Krankenhäuser. Und ein paar Leben." Mehr als zwei Millionen Menschenleben in den vergangenen 30 Jahren habe es das Land gekostet. "Aber wenn dieser Krieg in Afghanistan nicht erfolgreich beendet wird, dann werdet ihr ihn morgen in Berlin führen müssen. In Paris, London, Madrid und in Amerika."

Autor: Martin Gerner
Redaktion: Ratbil Shamel / Daniel Scheschkewitz