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Fage: "Anschläge mit neuer Dimension"

Stefanie Duckstein24. Juli 2014

Neue Anschläge erschüttern die zentralnigerianische Stadt Kaduna. Im Visier offenbar: ein Politiker und ein Imam. Attentate auf so hochrangige Persönlichkeiten sind neu, sagt der Politologe Kamilu Sani Fage.

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Bombenanschlag in Kaduna, Nigeria
Bild: -/AFP/Getty Images

DW: Herr Fage, am Mittwoch (23.07.2014) wurden bei zwei Anschlägen in Kaduna mehr als 40 Menschen getötet. Die nigerianische Polizei geht davon aus, dass die Angriffe dem liberalen islamischen Geistlichen Dahiru Bauchi und Oppositionsführer Muhammadu Buhari galten. Was wissen Sie über die Hintergründe der Tat?

Kamilu Sani Fage: Es hat ja immer wieder Anschläge gegeben, aber keine, die sich gegen so hochrangige religiöse und politische Persönlichkeiten richten. Es soll sich um einen Selbstmordattentäter handeln, auch das ist neu. Seit dem Erstarken von Boko Haram in den vergangenen vier Jahren gab es keine Selbstmordanschläge. Menschen sind durch Heckenschützen umgebracht worden. Aber das jetzt ist eine neue Erscheinung in der Geschichte Nigerias.

Warum, glauben Sie, haben es die Täter auf Oppositionsführer Muhammadu Buhari abgesehen?

Der genaue Hergang ist noch nicht geklärt, aber wir können einige Indizien interpretieren: Erstens, der Anschlag kam keine drei Tage nachdem Buhari den Präsidenten nachdrücklich vor den Folgen der politischen Krise gewarnt hat. Einige behaupten, es könnte eine Verbindung geben zwischen dieser Kritik der Opposition am Krisenmanagement des Präsidenten und den Anschlägen. Man könnte auch sagen, es handelt sich um einen Versuch, die Opposition zum Schweigen zu bringen.

Bislang hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder der Terrorsekte Boko Haram handelt. Was vermuten Sie?

Boko Haram hat bereits eine Menge Unheil in unserem Land angerichtet. Aber es gibt auch Menschen, die sich und ihre eigene Kriminalität hinter Boko Haram verstecken. Auch in diesem Fall wird es wahrscheinlich so ablaufen: Über die tatsächlichen Täter wird man wohl nichts erfahren, auch in Anbetracht der Umstände, wie hier in Nigeria mit solchen Ereignissen umgegangen wird. Vielleicht werden ein paar Leute behaupten, die Attentäter gehörten zu Boko Haram, und später wird sich herausstellen, dass das stimmt - oder auch nicht. Aber wahrscheinlich werden wir über die tatsächlichen Täter nichts erfahren.

Nigeria Autobombe in Maiduguri 01.07.2014
"Zu viele Dinge ungeklärt": Bombenanschlag in Maiduguri Juli 2014Bild: picture-alliance/AP Photo

Die Anschläge haben sich aus dem Nordosten des Landes ins Zentrum verlagert, auch die Hauptstadt Abuja ist betroffen. Inwiefern ist das eine neue Entwicklung?

Es gab ja eine Reihe von Anschlägen hier in Kano, andere im Bundesstaat Niger und auch in Abuja. Die Situation eskaliert. Menschen nutzen die Boko-Haram-Krise, ihre eigenen Verbrechen auszuüben. Ich will nicht bestreiten, dass es sich um einen Anschlag von Boko Haram handeln könnte. Aber es könnte sich auch um Menschen mit anderen Interessen handeln. Es wurde ja nicht nur der Politiker Buhari angegriffen, sondern auch der sehr prominente Imam Dahiru Bauchi - das dürfen Sie nicht übersehen. Verschiedenen Anführer von Boko Haram hatten Bauchi eigentlich geschätzt und ihn zu einem Zeitpunkt sogar als Vermittler in Betracht gezogen. Ich kann mir nicht erklären, warum sie nun eine 180-Grad-Wende machen und ihn attackieren sollten. Wer auch immer das getan hat, er kümmert sich nicht um die Belange der Nation. Es geht nur darum, das Land in eine noch größere Krise zu stürzen.

Was müsste Ihrer Meinung nach jetzt geschehen?

Die Regierung müsste endlich gründliche Untersuchungen anstellen und klären, wer hier welche Rolle spielt. Die Regierung verliert an Glaubwürdigkeit, die Menschen vertrauen ihr nicht mehr. Es sind einfach zu viele Dinge ungeklärt. Ich erinnere nur an den Fall der entführten Mädchen aus Chibok. Die Regierung sagt die ganze Zeit, sie löse die Probleme, doch dann verstreicht die Zeit und nichts passiert. Bei diesem Fall muss es eine völlige Aufklärung geben und die Täter müssen identifiziert werden. Es muss auch geklärt werden, ob es einen politischen oder religiösen Hintergrund gibt. Und die Täter müssen bestraft werden, damit die Menschen auch wieder Vertrauen in die Polizei gewinnen.

Angesichts der Vielzahl an Anschlägen, wie sieht ihr Alltag aus, haben Sie Angst?

Man wird misstrauisch. Sie ja wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben. Das ist eine Art städtischer Guerilla. Sie können nicht absehen, ob sie morgen schon zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Die Menschen, die in Kaduna gestorben sind, sind unschuldige Leute. Da ist es normal, dass man Angst um sein Leben hat.

Kamilu Sani Fage ist Politologe und lehrt an der Bayero University im nordnigerianischen Kano.

Das Interview führt Stefanie Duckstein.