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Everest - Boykott oder weitermachen?

Stefan Nestler23. April 2014

Nach dem Lawinenunglück am Mount Everest mit 16 Toten ist die Lage auf der nepalesischen Seite des Bergs unklar. Trauer und Wut eint die Sherpas, doch über die Konsequenzen aus der Tragödie wird heftig diskutiert.

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Bergsteiger Mount Everest Gipfel Himalaya
Bild: STR/AFP/GettyImages

Ein Krisentreffen jagt das andere, sowohl im Basislager auf 5300 Meter Höhe, zu Füßen des Mount Everest, als auch am Sitz der nepalesischen Regierung in Kathmandu. Noch ist unklar, ob es in diesem Frühjahr überhaupt Versuche geben wird, über die nepalesische Südseite den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Einige Sherpas haben das Basislager bereits verlassen, die meisten warten jedoch mit den Expeditionsteams ab, wie sich die Lage entwickelt. "Die Sherpas treffen sich täglich, um zu entscheiden, ob sie kollektiv wünschen, dass in dieser Saison weiter geklettert wird", schreibt Phil Crampton vom Expeditionsveranstalter "Altitude Junkies" aus dem Basislager. Seit dem Lawinenunglück auf 5800 Metern im gefährlichen Khumbu-Eisbruch am vergangenen Freitag, bei dem 16 Nepalesen ums Leben kamen, ruhen alle Aktivitäten am Berg.

Mount Everest Lawine. Foto: RAI/AFP/Getty Images
Eine Lawine auf 5800 Metern Höhe kostete 16 Nepalesen das Leben.Bild: Buddhabir RAI/AFP/Getty Images

Unter den Sherpas wird heftig diskutiert. "Die Mehrheit würde lieber nicht zum Berg zurückkehren, weil eine überwältigende Trauer über den Verlust so vieler Mitglieder ihrer eng verbundenen Gemeinschaft herrscht. Das ist das Gefühl, dass die jüngeren Sherpas bei den Versammlungen lautstark zum Ausdruck bringen", beschreibt David Hamilton, Expeditionsleiter des britischen "Jagged Globe"-Teams die Atmosphäre. "Die älteren Sherpas sind sich jedoch bewusst, dass viele der 'Climbing Sherpas' [Anm.: Jene Sherpas, die auch in die höheren Regionen des Everest vordringen oder sogar bis zum Gipfel aufsteigen] ohne die Löhne der Frühjahrssaison im kommenden Jahr in finanzielle Not geraten."

Kleines Vermögen

Hochträger können in einer Klettersaison am Mount Everest rund 5000 US-Dollar verdienen, Climbing Sherpas, die zahlende Kunden bis auf den 8850 Meter hohen Gipfel führen und dafür Extraprämien kassieren, sogar bis zu 10.000 Dollar. Ein kleines Vermögen, verglichen mit dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Nepal, das bei nur 692 Dollar liegt. Das Land gehört zu den 20 ärmsten der Welt. In diesem Frühjahr hat die Regierung in Kathmandu mehr als 30 Expeditionen mit über 300 Bergsteigern die Genehmigung erteilt, den Everest zu besteigen. Rund 400 Nepalesen arbeiten für die internationalen Teams, ob als Bergführer, Hochträger oder Basislager-Personal. Die meisten kommen aus dem Khumbu, der Region um den höchsten Berg der Erde. Ihre Familien sind dringend auf die Einnahmen aus dem Bergsteiger-Tourismus angewiesen.

Angehörige der Verunglückten trauern. Foto: REUTERS/Navesh Chitrakar
Trauernde Angehörige der VerunglücktenBild: Reuters

Am Tropf des Everest

Das gilt auch für die Regierung Nepals. Im letzten Jahr beliefen sich die Einnahmen aus den Besteigungsgebühren für die hohen Berge des Landes auf 3,91 Millionen US-Dollar. 80 Prozent der Gebühren entfielen auf den Everest, die Regierung hängt also gewissermaßen am Tropf des höchsten aller Berge. "In ein oder zwei Tagen werden die Kletteraktivitäten sicher wieder aufgenommen", versucht Madhu Sudhan Burlakoti vom nepalesischen Tourismusministerium, Optimismus zu verbreiten. Die Regierung steht unter hohem öffentlichen Druck. Ihre Ankündigung, den Familien der Lawinenopfer eine Soforthilfe von 40.000 Rupien (umgerechnet knapp 300 Euro) zu zahlen, erwies sich als Bumerang.

Versicherungssumme erhöht

Die Sherpas am Everest reagierten empört. Sie stellten einen umfangreichen Forderungskatalog auf und drohten mit einem Boykott aller Expeditionen, sollte die Regierung nicht innerhalb einer Woche darauf eingehen. Unter anderem verlangten die Sherpas einen Hilfsfond für Opfer von Bergunfällen und deren Familien, in den die Regierung 30 Prozent ihrer Einnahmen aus den Besteigungsgebühren einzahlen soll. Zu einem derartigen Fond haben sich die Verantwortlichen in Kathmandu inzwischen bereit erklärt. Außerdem kündigten sie an, dass die Versicherungssumme für Sherpas, die im Todesfall ausgezahlt wird, von einer Million auf 1,5 Million Rupien (rund 11.000 Euro) erhöht werde.

Rettungsaktion am Mount Everest Lawine. Foto: EPA/BUDDHABIR RAI / RSS
Rettungsaktion am Mount Everest.Bild: picture-alliance/dpa

Transportflüge mit dem Hubschrauber?

Das reicht den Sherpas im Basislager offenbar noch nicht. Die Regierung kündigte an, eine hochrangige Delegation zum Everest zu schicken, um am Donnerstag vor Ort weiter zu verhandeln. Das Tourismusministerium überdenkt nach eigenen Angaben auch sein Verbot von Hubschrauber-Transportflügen oberhalb des Basislagers. Bisher sind nur Rettungsflüge erlaubt. Die Nepalesen, die von der Lawine verschüttet worden waren, hatten Material und Lebensmittel in die Hochlager bringen sollen. Doch auch ohne schwere Last hätten sie wahrscheinlich kaum eine Chance gehabt, den tödlichen Eismassen zu entkommen. In den vergangenen Jahren hatten hohe Temperaturen die Lawinengefahr im ohnehin gefährlichen Khumbu-Eisbruch noch erhöht, möglicherweise eine Folge des Klimawandels.

Zwei Veranstalter brechen ihre Zelte ab

Die Veranstalter Alpine Ascents International (AAI) aus den USA und Adventure Consultants aus Neuseeland haben inzwischen ihre Everest-Expeditionen abgeblasen. "Wir waren uns einig, dass es am besten ist, den Aufstieg in dieser Saison nicht fortzusetzen, damit alle den Verlust von Angehörigen, Freunden und Gefährten in dieser beispiellosen Tragödie betrauern können", teilte AAI mit. Fünf der Lawinenopfer hatten zu diesem Team gehört, drei zur Mannschaft von Adventure Consultants. Selbst wenn alle anderen Expeditionen auf der Südseite des Mount Everest diesem Beispiel folgen sollten, wird der Gipfel in diesem Jahr nicht verwaist bleiben. Die Vorbereitungen auf der tibetischen Nordseite gehen ungeachtet der Ereignisse in Nepal planmäßig weiter.