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Neue Technologien zur EU-Grenzsicherung

Martin Koch1. März 2013

Das jüngste Projekt der Europäischen Union zur Sicherung des Schengen-Raumes durch Hochtechnologie trägt den klingenden Titel "Smart Borders". Kritiker bezeichnen die Pläne dagegen als "Big-Brother-System".

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Metallgatter mit Schild "Schengen" (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance/Romain Fellens

Offen und attraktiv - so möchte sich die EU der Welt präsentieren. Deshalb solle die Einreise für Nicht-EU-Bürger so einfach und komfortabel sein wie möglich, sagt die europäische Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström aus Schweden. Bei der Vorstellung des "Smart Borders"-Projekts im Namen der EU-Kommission betont sie den Nutzen für Vielreisende, für die Grenzkontrollbehörden in den Mitgliedsstaaten und für die Wirtschaft im EU-Raum.

"Laut Erhebungen der Europäischen Statistikbehörde EuroStat haben Nicht-EU-Bürger im Jahr 2011 der Wirtschaft einen Umsatz von 271 Milliarden Euro beschert. Deshalb müssen wir es Touristen, Geschäftsleuten, Studenten und Wissenschaftlern so leicht wie möglich machen, in die EU zu kommen." Außerdem sei es angesichts des technischen Fortschritts bei Smartphones und digitaler Datentechnik nicht mehr zeitgemäß, dass bei Grenzkontrollen immer noch per Hand Stempel in Reisepässe gedrückt würden, so Malmström.

Großprojekt mit gigantischen Kosten

Zu dem "Smart-Borders"-Paket gehören zwei Bestandteile, die bis 2017/18 in allen EU-Ländern eingeführt werden sollen: Das "Registered Travellers Programme" (RTP) und das "Entry-Exit System" (EES). Insgesamt müssen knapp zweitausend Grenzkontrollpunkte damit ausgestattet werden. Zusätzlich alle internationalen Flughäfen und Häfen. Die Kosten dafür belaufen sich auf umgerechnet mindestens 1,1 Milliarden Euro.

RTP soll Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürgern, die häufig in Mitgliedsstaaten zu tun haben, die Ein- und Ausreise erleichtern. Sie können sich registrieren, überprüfen lassen - und erhalten gegen eine Gebühr eine Art Chip, mit dem sie an automatisierten Schaltern an den Grenzen ohne weitere Kontrolle ins Land ein- und nach ihrem Besuch wieder ausreisen können.

Alptraum für Datenschützer

Das EES dagegen registriert die biometrischen Daten aller Nicht-EU-Bürger und wie lange sie laut ihres Visums in der EU bleiben dürfen. Diese Informationen gibt es an die jeweiligen Mitgliedsländer weiter. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass legal in die EU eingereiste Bürger aus Drittländern unerlaubt lange in der EU bleiben. Die Daten sollen für sechs Monate gespeichert werden - außer für Nicht-EU-Bürger, die ihren Aufenthalt überziehen. Ihre Daten können unbegrenzt aufbewahrt werden.

Gerade gegen das EES regt sich heftiger Widerspruch. Die von offizieller Seite angeführte Begründung, mit "Smart Borders" wolle sich die Europäische Union gegen einen zu starken Zustrom von Flüchtlingen aus Ländern des Arabischen Frühlings oder aus anderen Krisengebieten wehren, sei vorgeschoben, sagt die grüne EU-Abgeordnete Ska Keller aus Brandenburg. "Prinzipiell sehen wir die Tendenz, Migration als Sicherheitsthema zu betrachten und alle Migrantinnen und Migranten als Sicherheitsrisiko zu definieren, was sehr abwegig ist." Es sei nicht zulässig, mit dem EES alle Nicht-EU-Bürger gewissermaßen unter Generalverdacht zu stellen. Auch die Pläne, die erhobenen Daten den Polizeibehörden in den Mitgliedsländern zur Verfügung zu stellen, damit sie bei Ermittlungen in Kriminalfällen verwendet werden können, sorgen bei der Grünen-Politikerin für Empörung: "Wir können nicht nachvollziehen, warum alle EU-Ausländerinnen mit Fingerabdrücken registriert und dann sofort als generalverdächtig erklärt werden, sofort in eine Ecke mit Schwerverbrechern gestellt werden, während es in Deutschland verboten ist, von Deutschen die Fingerabdrücke allgemein zu speichern."

Kontrollsystem nicht praxistauglich

Ska Keller hat gemeinsam mit der Böll-Stiftung eine Studie über die von der EU geplanten Grenzkontrollkonzepte erstellt. Sie kommt zum Ergebnis, dass das System nicht praxistauglich sei und nicht den erhofften Nutzen bringen werde. Denn ähnlich wie bei dem in den USA bereits installierten Einreise-Ausreise-System werde auch das EES keine genauen Angaben zum Aufenthaltsort des jeweiligen Nicht-EU-Bürgers innerhalb der EU geben. Außerdem sei daraus nicht ersichtlich, warum jemand länger als im Visum vermerkt bleibe. Wer einen Asylantrag stellt oder während seines Aufenthalts krank wird, werde automatisch wie ein Illegaler behandelt, kritisiert die Studie.

Angesichts der aktuellen Diskussionen über den EU-Haushalt, der massive Kürzungen in nahezu allen Bereichen vorsieht, ist es vorhersehbar, dass dem Milliarden-Projekt wenig Begeisterung entgegenschlagen wird. Trotzdem ist EU-Kommissarin Malmström zuversichtlich. Zum einen seien schon Gelder für "Smart Borders" in den Haushalt eingerechnet, zum andern werde es den Mitgliedsländern helfen, die steigende Zahl von Reisenden - im Jahr 2030 rechnet die EU mit mehr als 700 Millionen Grenzübertritten pro Jahr - zu bewältigen, ohne neues Personal einstellen zu müssen. Auch müssten die dadurch entstehenden Mehreinnahmen für die Länder berücksichtigt werden.
Jetzt müssen der EU-Rat und das EU-Parlament über den Vorschlag der Kommission beraten. Ein Selbstläufer ist "Smart Borders" mit Sicherheit nicht.

EU-Abgeordnete Ska Keller (Foto: privat)
EU-Abgeordnete Ska KellerBild: ska-keller.de
Beamte der Bundespolizei kontrollieren Reisende am Flughafen Frankfurt/Main (Foto: dpa)
Kritiker warnen: Nicht-EU-Bürger geraten durch "Smart Borders" unter GeneralverdachtBild: picture alliance/dpa
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström (Foto: picture-alliance/dpa)
EU-Innenkommissarin Cecilia MalmströmBild: picture-alliance/dpa