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"Europa verliert seine Führungsrolle in der Klimadebatte"

Irene Quaile4. Juni 2014

Vom 4. bis zum 15. Juni laufen in Bonn die UN-Klimagespräche. Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch warnt vor dem schwindenden Interesse der europäischen Politik an Klimathemen.

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Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch (Foto: DW/H. Jeppesen)
Bild: DW/H. Jeppesen

DW: Herr Bals, was erwarten Sie von diesen Bonner UN-Klimagesprächen?

Christoph Bals: Wir haben dieses Mal sogar ein Ministersegment. Minister aus den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern werden hier sein. Von den Industrieländern wird erwartet, dass sie hier erklären, wie sie ihre 2009 in Kopenhagen angekündigten und unzureichenden Klimaziele aufstocken. Außerdem, wie sie ihre Versprechen von Kopenhagen bezüglich der Klimafinanzierung umsetzen wollen. Im Moment sieht es düster aus, weil nur wenige der Industrieländer von Fortschritten berichten können. Die Schwellenländer machen deutlich größere Fortschritte, darüber wollen sie hier aber gar nicht sprechen. Sie fragen vielmehr: 'Wenn die Industrieländer ihre Hausaufgaben nicht machen, warum sollen wir dann über unser Tun sprechen?' Deshalb wird es eine sehr spannungsreiche Sitzung werden.

Sind Sie zuversichtlich, dass Fortschritte erzielt werden?

Ich bin im Moment froh, wenn Rückschritte verhindert werden. Es herrscht eine absurde Spannung: In der realen Welt sehen wir eine ganze Menge Fortschritte: Da ist die Ankündigung des US-Präsidenten, Kohlekraftwerke stark zurückzufahren. In China sind die Ziele für die Erneuerbaren Energien bis 2017 verdoppelt worden. Auch Mexico und die Philippinen haben in den letzten Wochen die Ziele für die Erneuerbaren massiv nach oben korrigiert. Das sind die Konsequenzen daraus, dass erneuerbare Energien tatsächlich wettbewerbsfähig geworden sind, wo genug Wind bläst oder Sonne scheint. Es gibt in der realen Welt also durchaus eine ganze Menge positiver Entwicklungen, aber bei den Verhandlungen klemmt es.

Ist es nicht wichtiger, dass sich in der Realität etwas verändert?

Die wirkliche Dynamik können wir bei den Verhandlungen nur sehen, wenn sich die Staaten dazu bekennen, diese Entwicklung auch in Zukunft voranzutreiben. Wenn sie dem Ganzen einen Rahmen geben, der für Sicherheit sorgt: für die Investoren, für die Unternehmen, die dann neue Geschäftsmodelle entwickeln können, und für die Menschen, die von den Risiken des Klimawandels betroffen sind. Im Moment gibt es viele Fortschritte, aber wir sehen auch, dass Kräfte, die stark in Kohle oder Teersand investiert sind, die Wende massiv bekämpfen. Deshalb traut sich die Politik nicht zu handeln und die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen.

Germanwatch hat eine Analyse zum neuesten Bericht des Weltklimarates herausgegeben. Wo steht der Weltklimaprozess zurzeit?

Wenn es keine weiteren zusätzlichen Maßnahmen durch die Politik gibt, werden wir bis Ende dieses Jahrhunderts auf ungefähr 3,5 bis 4,5 Grad Temperaturerhöhung zusteuern. Das birgt enorme Risiken für die Ernährungssicherheit, für die Wasserversorgung, für die ganze Meereswelt, weil durch den Anstieg des Meeresspiegels eine enorme Versauerung entsteht. Dabei sagt der Weltklimarat auch, dass es noch möglich ist, den Temperaturanstieg auf zwei oder 1,5 Grad zu begrenzen. Aber das bedeutet, dass jetzt massiv gehandelt werden muss. Für Energieeffizienz, für erneuerbare Energien, für eine Veränderung des Verkehrssystems und gegen Kohle und Teer.

Wie sehen Sie die Position der deutschen Regierung?

Barbara Hendricks, die deutsche Umweltministerin, hat ihren ersten Auftritt in der internationalen Klimadiplomatie. Es wird spannend, ob Deutschland sein angekündigtes Reduktionsziel bis 2020 tatsächlich erreichen wird, wo doch momentan die Emissionen gegen den Trend wieder steigen. Und ob Hendricks den Druck auf die EU erhöhen wird, damit sie bis Oktober wirklich ambitionierte Ziele für den Klimaschutz festlegt. Und ob sie ankündigen wird, dass Deutschland für den großen Green Climate Fund bis November eine erste große Einzahlung leisten wird, der Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern unterstützen soll. Damit könnte sie sich gut in die internationale Klimagemeinschaft einführen.

Werden die Maßnahmen, die der US-Präsident ankündigt, die anderen motivieren, ebenfalls Maßnahmen zu ergreifen?

In Europa ist das Thema von der politischen Topagenda gerutscht. Anders sieht es in China oder den USA aus. Dort ist die Klimadebatte relevant wie nie. Wir Europäer werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir unsere Führungsrolle in der internationalen Klimadebatte verlieren. Wir können nur darauf hoffen, dass andere die Kraftzentren die Entwicklung weiter treiben und die EU wieder zum Mitmachen gezwungen wird.

Wie sieht es mit der Öffentlichkeit aus? Hat die das Interesse am Thema verloren?

Das glaube ich nicht. Es gab kürzlich eine repräsentative Meinungsumfrage, was die Prioritäten der deutschen Außenpolitik sein sollten. An erster Stelle stand die Eindämmung des Klimawandels. Viele Menschen sehen das als Ziel und beteiligen sich lokal an der Energiewende. Andererseits gibt es Ernüchterung darüber, wie wenig die Politik national und international tut.

Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer bei Germanwatch, einer Entwicklungs- und Umweltorganisation mit Sitz in Bonn, die sich für globale Gerechtigkeit udn den Erhalt von Lebensgrundlagen engagiert.

Das Gespräch führte Irene Quaile.