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Homosexualität als Asylgrund

Christoph Hasselbach2. Dezember 2014

Wer aufgrund seiner Homosexualität Asyl beantragt, muss sich Nachfragen stellen. Die haben allerdings Grenzen, entschied der Europäische Gerichtshof. Die Fragen sollen sorgfältig und vorurteilsfrei sein.

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Homosexuelle Demonstration in Uganda (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Grundsätzlich kann Verfolgung wegen Homosexualität ein Asylgrund in einem Staat der Europäischen Union sein. Die Frage ist nur: Wie können die Behörden nachprüfen, ob ein Asylsuchender nur behauptet, homosexuell zu sein, um in der EU aufgenommen zu werden, oder ob der Antrag glaubwürdig ist.

Es geht bei dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um einen Fall aus den Niederlanden: Drei Männer aus Sierra Leone, Uganda und Senegal hatten dort um Asyl nachgesucht und gesagt, sie befürchteten, in ihren Heimatländern wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt zu werden. Die niederländischen Behörden lehnten die Anträge jedoch mit der Begründung ab, die sexuelle Ausrichtung sei nicht glaubhaft. Die Niederlande wollten nun vom Europäischen Gerichtshof geklärt haben, welche Grenzen den Behörden bei der Prüfung solcher Fälle gesetzt werden.

Keine unwürdige Befragung

Die Grenze ist nach dem Urteil dann überschritten, wenn die Würde des Asylbewerbers oder sein Grundrecht auf Privatsphäre verletzt werden. Die Prüfung des Asylgrundes ist aber ausdrücklich zulässig. Es kommt auf das Wie an. Individuell, sorgfältig und vorurteilsfrei soll die Befragung nach dem EuGH-Urteil sein. Wenn ein Flüchtling zum Beispiel im Gespräch zögert, Einzelheiten über sein Sexualleben preiszugeben, darf die zuständige Behörde allein daraus nicht schließen, dass der Antrag unglaubwürdig ist.

Infografik Strafrechtliche Verfolgung von Schwulen und Lesben in Afrika (Grafik: DW)
Homosexualität ist in vielen Ländern Afrikas strafbar

Der Rechtswissenschaftler Klaus-Dieter Sohn vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg fasst das Urteil so zusammen: "Der EuGH hat die Möglichkeiten der Überprüfung zu Recht auf bloße Befragungen beschränkt und betont, dass weder Fragen zu sexuellen Praktiken erlaubt sind, noch die Befragung auf stereotypen Vorstellungen über Homosexualität beruhen darf."

Auch Asylsuchende haben "Nachweise" vorgeschlagen

Bernd Mesovic von der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl meint, in einer ganzen Reihe von EU-Staaten seien pseudomedizinische Tests angewendet worden: "Den Vogel abgeschossen hat Tschechien, wo man phallometrische Messungen durchgeführt hat. Das heißt, man hat den Antragsstellern pornographisches Material vorgelegt und dann am Phallus gemessen, ob sich da was regt." Einige Asylbewerber selbst haben vorgeschlagen, die Behörden sollten "Nachweise" wie Videoaufnahmen intimer Handlungen als Nachweise akzeptieren.

Dem schiebt der Gerichtshof jetzt einen Riegel vor. Abgesehen davon, dass der EuGH solche "Tests" nicht für zwangsläufige Beweise hält, sieht er darin auch eine Verletzung der Menschenwürde. Außerdem würde ein solches Verfahren nach Meinung des Gerichts schnell darauf hinauslaufen, dass in Zukunft alle Antragsteller solche "Nachweise" liefern müssten. Für das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine solche Praxis ohnehin tabu, doch auch "sexualpsychologische Gutachten zum Vorliegen einer besonderen sexuellen Ausrichtung werden vom Bundesamt weder in Auftrag gegeben noch gefordert, da deren Aussagekraft in der Wissenschaft umstritten ist und eine Begutachtung zudem als diskriminierend empfunden werden kann", so Sindy Hoppe von der Pressestelle des Bundesamts.

Entscheidend ist der Gesamteindruck

Die Möglichkeit eines Missbrauchs, also dass der Antragsteller nur vorgibt, homosexuell zu sein, schließt Bernd Mesovic von Pro Asyl ebensowenig aus wie der Rechtswissenschaftler Klaus-Dieter Sohn. Es komme bei den Befragungen, sagt Sohn, "auf den Gesamteindruck an". Am Ende stehe immer die individuelle Überzeugung eines Behördenmitarbeiters oder, bei Beschwerden, eines Richters.

Messingschild: "Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende" Foto: picture-alliance/dpa
Laut Pro Asyl hat sich in Deutschland viel zum Guten verändertBild: picture-alliance/dpa

Und wie findet man in Deutschland heraus, ob ein Antrag glaubwürdig ist? Sindy Hoppe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet einen "schlüssigen Sachvortrag" des Asylbewerbers. "Hierzu gehört die lückenlose Schilderung der in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere der persönlichen Erlebnisse. Die wahrheitsgemäße Schilderung eines realen Vorganges ist dabei erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum." Wichtig ist: Jeder Fall wird individuell behandelt. Es reicht demnach in Deutschland nicht, sich allein auf seine sexuelle Orientierung zu berufen, selbst wenn man aus einem Land wie dem Iran kommt, in dem Homosexualität sogar mit dem Tode bestraft werden kann. Er oder sie muss die "individuelle Betroffenheit" glaubhaft machen, so Hoppe.

Behörden dürfen keine Verheimlichung empfehlen

In den Niederlanden waren die Asylanträge der drei Männer in erster Instanz abgelehnt worden. Die Behörden hatten ihnen damals geraten, sie sollten ihre Homosexualität in ihren Heimatländern verheimlichen, um nicht verfolgt zu werden. Dazu hat sich der Gerichtshof bereits 2013 geäußert und solche Empfehlungen für unzulässig erklärt. Vom deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge heißt es dazu lapidar und eindeutig: "Es erfolgt kein Verweis auf gefahrvermeidendes, diskretes Verhalten."

Bernd Mesovic von Pro Asyl lobt allgemein die Prüfungspraxis in Deutschland, nicht zuletzt, "weil die Schwulenverbände eine sehr effektive Arbeit machen und viele Asylbewerber bei ihnen Rat suchen". Das sei nicht immer so gewesen. Bis vor wenigen Jahren habe man sich Homosexualität "als eine Art gesellschaftlich halbwegs akzeptierte Krankheit vorgestellt, und da hat sich sehr viel getan". Die Auseinandersetzungen in der EU um Homosexualität als Asylgrund würden zwar auch nach dem Gerichtsurteil weitergehen, sagt Mesovic voraus, "aber das Urteil ist eine klare Leitplanke".