1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU verstärkt Anti-Terror-Kampf

Bernd Riegert30. Januar 2015

Die EU-Justizminister wollen im Prinzip härter gegen Terroristen vorgehen, aber bis neue Gesetze greifen, können Jahre vergehen. In der Praxis drohen viele Hürden. Vom EU-Treffen in Riga berichtet Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/1ETQ1
EU Strafverfolgung Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa

Die Bedrohung durch islamistischen Terror und durch sogenannte "foreign fighters", also radikalisierte Europäer, die in Syrien kämpfen, ist in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich. Während Frankreich, Belgien, Deutschland, Schweden, Dänemark und Großbritannien mit relativ hohen Zahlen an reisenden Terroristen zu tun haben, ist deren Zahl in Osteuropa oder im Baltikum gering. In Lettland, das zur Zeit die Präsidentschaft der EU innehat, leben unter zwei Millionen Einwohnern nur 6000 friedliche Muslime. Als radikal ist bislang keiner von ihnen aufgefallen. Wenn Lettland ein Problem mit dem Phänomen "foreign fighter" hat, dann geht das in eine ganz andere Richtung, berichtet die Zeitung "Baltic Times" in Riga. Lettische Staatsbürger oder Angehörige der russischen Minderheit brechen, so das Blatt, eher in Richtung Ukraine auf, um sich den prorussischen Rebellen anzuschließen. Der Ukraine-Konflikt liegt vielen EU-Mitgliedern im Osten mehr am Herzen als das Problem der Islamisten.

Trotzdem, so der lettische Innenminister Rihards Kozlovskis, werde Lettland als Ratspräsident in den kommenden fünf Monaten natürlich alles tun, um die Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors zu fördern. Drei Wochen nach den Attentaten von Paris trafen sich die Innen- und Justizminister der EU in der lettischen Hauptstadt Riga, um zu beraten, wie reisende Terroristen, der "Terrorexport" aus Europa nach Syrien, aufgehalten werden kann. Die Minister verständigten sich erneut auf eine bessere Überwachung der Außengrenzen der EU. Das Schengen-Informationssystem soll erweitert werden, damit jeder Grenzbeamte potenzielle "foreign fighters" bei der Ein- und Ausreise erkennen kann. Bis zur praktischen Umsetzung soll es nur noch einige Monate dauern, so der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.

Wer ist "foreign fighter"?

Bei der Tagung der Innen- und Justizminister wurden einige Problemfelder und mögliche Sicherheitslücken sichtbar, die jetzt zügig angepackt werden sollen, versprach die lettische EU-Präsidentschaft. So gibt es keine EU-weite Definition, wer eigentlich ein "foreign fighter" ist. Welche Kriterien müssen erfüllt sind, damit ein radikalisierter junger Mann, der eine Reise nach Syrien antritt, als gefährlich eingestuft wird? Diese Frage wird von den einzelnen Justizbehörden in der EU unterschiedlich beantwortet, bemängelte der EU-Beauftragte für die Terrorbekämpfung, Gilles de Kerchove, in Riga. Die EU-Mitgliedsstaaten sind erst nach und nach dabei, die entsprechende Resolution der Vereinten Nationen (2178) zu "foreign fighters" in nationales Recht zu übertragen. Es kann noch zwei bis drei Jahre dauern, bis in der gesamten EU die Ausreise zum Zwecke der Terrorausbildung oder die Finanzierung von Terroraktivitäten überall einheitlich strafbar sei, sagte de Kerchove. Deutschlands Justizminister Heiko Maas kündigte in Riga an, das Bundeskabinett werde nächste Woche entsprechende Anti-Terror-Gesetze auf den Weg bringen.

Heiko Maas in Riga 30.01.2015
Justizminister Maas (li.), rumänischer Minister Cazanciuc in RigaBild: AFP/Getty Images/I. Znotins

Wie können Reisen mit terroristischem Hintergrund unterbunden werden?

Entscheidend sei, dass Informationen, wer gefährlich sein könnte, dann auch an das Schengen-Informationssystem für bessere Grenzkontrollen weitergegeben werden. Hier sieht der Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kerchove jeden einzelnen der in Riga versammelten Minister in der Pflicht: "Das kann man nicht gemeinsam verordnen. Jeder einzelne Minister muss, wenn er wieder nach Hause fährt, seinen Geheimdiensten und Justizbehörden die richtigen Anweisungen geben. Es ist eine Frage des Handelns. Es geht nicht nur um neue Maßnahmen." Die Europäische Union will die Zusammenarbeit mit der Türkei verbessern, die als Haupttransitland für die islamistischen Söldner aus Europa gilt. EU-Diplomaten sagten in Riga, es sei klar, dass die lange Grenze zwischen Syrien und der Türkei "porös" sei, aber die türkischen Behörden müssten auch mehr Informationen aus Europa bekommen, damit sie wüssten, nach wem sie suchen sollten. Der EU-Anti-Terror-Beauftragte de Kerchove plädiert dafür, die Zusammenarbeit mit allen möglichen Ziel- und Transitländern zu verstärken. "Ich glaube, es ist wichtig, dass sich Eurojust, unsere Behörde für die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften, viel stärker in Nordafrika und im Nahen Osten engagiert."

Heiko Maas in Riga 30.01.2015
Justizminister Maas (li.), rumänischer Minister Cazanciuc in RigaBild: AFP/Getty Images/I. Znotins

Bundesjustizminister Heiko Maas geht davon aus, dass es möglich ist, mehr und mehr Dschihadisten bereits in Deutschland aufzuspüren und an der Ausreise zu hindern. "Wir haben bei den vielen Ermittlungsverfahren, die wir jetzt schon haben - es sind über 300 beim Generalbundesanwalt oder bei den Bundesländern - immer Hinweise bekommen, teilweise sogar aus dem familiären Umfeld dieser gewaltbereiten Dschihadisten", sagte Maas in Riga. "Eltern haben Behörden darüber informiert, was ihre Kinder vorhaben, und sie gebeten zu helfen. Das liegt daran, dass sich diejenigen, die sich auf den Weg machen, dies nicht heimlich tun, sondern dies ganz öffentlich tun. Es gibt für uns viele Möglichkeiten, dies auch aufzudecken."

"Rückkehrer" sind ein wachsendes Problem

Nach Schätzungen der EU-Kommission sind etwa 3000 bis 5000 "foreign fighters" aus Europa nach Syrien oder den Irak gereist. "Ihre Zahl nimmt immer noch zu", warnte Bundesinnenminister Thomas de Maizière erneut in Riga. Eine besonders hohe Gefahr geht von zurückkehrenden Dschihadisten aus, die in Terrorcamps im Nahen Osten ausgebildet wurden und in Europa Anschläge verüben könnten, wie die jüngsten Terroranschläge in Paris erneut bewiesen haben. Den Rückkehrern kann aus rechtlichen Gründen die Wiedereinreise in die EU nicht verwehrt werden, wenn sie Bürger eines EU-Landes sind. Wohl aber könnten sie bei der Einreise verhaftet werden, wenn man sie denn erkennt. Dann könnte Ihnen in Europa der Prozess gemacht werden, auchwegen möglicher terroristischer Aktivitäten in Syrien. De Kerchove weist aber auf juristische Probleme hin. "Anders als in Afghanistan, haben wir in Syrien keine Truppen vor Ort, und wir kooperieren natürlich auch nicht mit dem Assad-Regime. Wie sammelt man also Beweise, dass ein deutscher oder belgischer Dschihadist für den "Islamischen Staat" kämpft und nicht etwa für die freie syrische Oppositions-Armee?", fragte de Kerchove in Riga bei der Tagung der Justizminister. "So lange diese Leute keine elektronischen Spuren hinterlassen und man zum Beispiel eine E-mail abfängt, ist es sehr schwierig, überhaupt Beweise zu bekommen. Das ist der Grund dafür, dass wir bei 3000 bis 5000 europäischen Kämpfern in Syrien nur einige Hundert wirklich in Ermittlungsverfahren haben."

Gilles de Kerchove Riga Lettland
De Kerchove: Zu wenige VerfahrenBild: DW/B. Riegert

Viele potenziell gefährliche Ex-Söldner des "Islamischen Staates" müssten also in Europa beobachtet und überwacht werden. Wichtig sei, diesen Menschen eine Alternative und einen Ausweg aus der Radikalisierung anzubieten, fordert de Kerchove. "Wir müssen Aussteigerprogramme entwickeln. Es wäre ein großer Fehler, alle Rückkehrer vor Gericht zustellen und anschließend zu inhaftieren. Gefängnisse sind wahre Brutstätten für Radikalisierung. Die meisten, die zurückkehren, sind sehr radikal und würden andere Häftlinge radikalisieren", so der ehemalige belgische Staatsanwalt de Kerchove. Nach einigen Jahren würden die radikalisierten Islamisten entlassen und seien dann immer noch gefährlich. Deshalb brauche man Programme innerhalb und außerhalb der Gefängnisse.

Gilles de Kerchove Riga Lettland
De Kerchove: Zu wenige VerfahrenBild: DW/B. Riegert