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Energiesparvorgaben verwässert

Christoph Hasselbach19. Juni 2012

Die Europäische Union ist weit von den selbstgesteckten Sparzielen entfernt. Mit der neuen Energieeffizienzrichtlinie soll das besser werden. Doch Industrielobbyisten haben die Regeln entschärft.

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Energiepass für Wohnhäuser Foto: Stauke (Fotolia)
Bild: Fotolia/Stauke

EU-Energiekommissar Günther Oettinger sah sich gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Hätte er nichts unternommen, drohte die Europäische Union ein wichtiges Ziel weit zu verfehlen. Drei Klimaziele hat sich die EU gesetzt: Bis 2020 will sie einen Anteil von erneuerbaren Energien von 20 Prozent an der Gesamtenergieerzeugung haben, den Kohlendioxidausstoß um 20 Prozent gegenüber 1990 senken und 20 Prozent weniger Energie verbrauchen (verglichen mit dem Wert, der erreicht wird, wenn man nicht spart). Die ersten beiden Ziele dürften erreicht werden, so Oettinger vergangene Woche. Aber "die Energieeffizienz ist seit Jahren der schwächste Punkt in unserer europäischen Energieagenda. Energieeffizienz war bisher nicht wirklich erfolgreich."

Brüsseler Sparzwang

"Nicht wirklich erfolgreich" ist noch untertrieben. Statt 20 würde die EU wohl nur auf zehn Prozent Energieeinsparung kommen, wenn es so weitergegangen wäre wie bisher. Doch die jetzt ausgehandelte Energieeffizienzrichtlinie will den Mitgliedsstaaten auf die Sprünge helfen. Sie ist bindend. Das heißt, mit ihr kann die Kommission die Staaten zum Sparen zwingen.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger Foto: Yves Logghe (AP)
Energiekommissar Oettinger: "Effizienz nicht wirklich erfolgreich"Bild: dapd

Claude Turmes ist ein luxemburgischer Europaabgeordneter von den Grünen. Er hat die Verhandlungen für das Parlament geführt und ist froh, dass die EU beim Erdgipfel in Rio de Janeiro dieses wichtige Ergebnis vorweisen kann. "Stellen Sie sich vor, diese Richtlinie wäre von gewissen Ländern wie Deutschland und Großbritannien noch mehr untergraben worden. Was wäre dann aus der Glaubwürdigkeit der Staats- und Regierungschefs in Rio geworden?"

Turmes deutet dabei schon an, dass die Richtlinie verwässert worden ist. Ihr zentraler Punkt ist, dass Stromversorger jährlich 1,5 Prozent weniger Elektrizität verkaufen sollen. Durch Ausnahmen haben einige Staaten dies aber so weit abgeschwächt, dass nach Einschätzung von Umweltschützern wohl eher ein Prozent herauskommen wird. Entscheidende Abstriche gibt es auch bei der energetischen Sanierung von öffentlichen Gebäuden.

Verwässerte Richtlinie

Hier haben vor allem deutsche Lobbyisten ganze Arbeit geleistet. Die Kommission wollte alle Gebäude im Staatsbesitz in ein Dämmprogramm einbeziehen. Jetzt sollen es nur Immobilien zentraler staatlicher Einrichtungen sein, also keine Landes-, Regional- oder Kommunalbehörden. Im Bundesbesitz befinden sich in Deutschland aber ganze 2,5 Prozent aller öffentlichen Gebäude. Dieser Punkt ist auch deshalb wichtig, weil sich bei der Gebäudedämmung besonders viel Energie einsparen lässt.

Die Gegner schärferer Bestimmungen haben vor allem mit Kostengründen argumentiert. Doch Claude Turmes von den Grünen weist das mit einer Gegenfrage zurück. "Was sind die Kosten, nicht in Effizienz zu investieren in einer Welt, in der der Ölpreis fast verrückt spielt und der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist? Können wir uns eine Wirtschaft in Europa leisten, bei der wir jedes Jahr 500 Milliarden Euro an Herrn Putin und andere verlieren?" Das sind die von der Kommission geschätzten Kosten, die die EU-Staaten jährlich für die Einfuhr fossiler Energieträger aufwenden müssen. Turmes nennt die notwendigen Investitionen "Vorfinanzierung", "um dann geringere Kosten und einen Mehrwert und mehr Arbeitsplätze zu haben."

Europa-Abgeordnter Claude Turmes Foto: Wolf von Dewitz (dpa)
Grünenpolitiker Turmes: Es gibt auch Kosten, wenn man nichts tutBild: picture-alliance/dpa

Der Europa-Abgeordnete schlägt auch einen Bogen zur Euro-Krise. Energieeffizienz, energiesparende Technik und erneuerbare Energien entlasteten längerfristig die angespannten Haushalte. Und die europäischen Wachstumsprogramme, die gerade diskutiert werden, sollten genau diesen Wandel fördern. Doch das geschehe bisher viel zu wenig. Sollen EU-Fördermittel in den Bau von Stadien fließen oder in die Gebäudesanierung, fragt Turmes rhetorisch.

500 Millionen Europäer als Entscheidungsträger

Energieeffizienz wird auch deshalb in der EU gerade großgeschrieben, weil die laufende dänische Ratspräsidentschaft besonders darauf drängt. Dänemark ist damit weiter als die meisten anderen Länder. Aber Anne Hojer Simonsen vom dänischen Energieministerium warnt die EU davor, bei dem Thema nur an die große Politik zu denken. "Die Entscheidungsträger sind nicht nur die Kommission, das Europaparlament und die Regierungen. Entscheidungsträger sind alle 500 Millionen Menschen in Europa, die einen neuen Kühlschrank kaufen, ein neues Auto, eine neue Heizung." Deshalb sei es so wichtig, das Thema gut zu vermitteln. "Wir können das nicht erzwingen. Jeder muss einsehen, warum es für ihn wichtig ist."

Windräder auf See Photo: Heribert Pröpper
Dänemark ist Vorreiter in Sachen EnergiewendeBild: AP

Wegen der Verwässerung wird die EU wohl auch mit der Effizienzrichtlinie das 20-Prozent-Ziel verfehlen. Nach Kommissionsangaben werden so wohl 17 Prozent Einsparung erreicht. Rechnet man den Verkehr heraus, wo in letzter Zeit besonders große Effizienzgewinne erzielt wurden, kommt man sogar nur auf 15 Prozent. Kommission und Parlament würden die Lücke bis 20 Prozent gern vollständig schließen. Die Kommission kann 2014 und 2016 den bis dahin erzielten Fortschritt prüfen und eventuell noch einmal neue Anstrengungen vorschlagen. Wer weiß, vielleicht denken bis dahin die Mitgliedsstaaten auch anders über das Thema und stimmen dann schärferen Maßnahmen zu.