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Wer darf bleiben?

Bernd Riegert12. Juni 2013

Die EU renoviert nach zähen Verhandlungen ihr Asylrecht. Die Verfahren auch für Bootsflüchtlinge wie hier vor Lampedusa sollen kürzer und einheitlicher werden. Zweifel, ob es gerecht zugehen wird, bleiben.

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Boot mit Flüchtlingen aus Nordafrika nähert sich der süditalienischen Insel Lampedusa (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

14 Jahre lang haben die Innenminister der Europäischen Union und zuletzt auch das Europäische Parlament verhandelt. Jetzt liegt ein ganzes Bündel von neuen und überarbeiteten Gesetzen auf dem Tisch, die die Asylverfahren in der EU vereinheitlichen und beschleunigen sollen. Künftig soll über einen Antrag auf Asyl bereits nach sechs Monaten entschieden werden, bislang waren es bis zu 24 Monate. Jedes Jahr stellen nach Angaben der EU-Kommission rund 330.000 Personen einen Asylantrag. Anerkannt werden nur diejenigen, die Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen glaubhaft machen können. Erstmals wird in der ganzen EU gelten, dass auch Transsexuelle, Schwule, Lesben und Menschen, den eine Genitalverstümmelung droht, Asyl erhalten können. Für Menschen, die aus wirtschaftlicher Not ihr Heimatland verlassen, gelten die Asylbestimmungen ausdrücklich nicht. In der EU wird jährlich um die 70.000 mal Asyl gewährt. Die Erfolgsaussichten liegen also bei rund 25 Prozent für einen Asylbewerber.

"Verbesserungen für Asylbewerber"

Bisher waren die Chancen je nach EU-Mitgliedsland sehr unterschiedlich, auch das soll nach und nach angeglichen werden. Für die Asylbewerber, die in den Mittelmeerstaaten der EU ankommen, seien konkrete Verbesserungen zu erwarten, glaubt die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel, die sich um Asylfragen kümmert.

"Das betrifft die konkrete Wohnsituation, die besondere Unterbringung und rechtliche Lage der minderjährigen Asylsuchenden. Es gibt auch klare Bestimmungen für Asylbewerber, die einen rechtlichen Beistand brauchen. Ihnen muss ihre aktuelle Lage erklärt werden, in einer Sprache, die sie verstehen", sagte Birgit Sippel der Deutschen Welle.

Birgit Sippel (Foto: dpa)
Abgeordnete Sippel: Mehr Rechte für AsylbewerberBild: picture-alliance/dpa

"Jeder, der in die EU einreist, egal wo, hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen und Anspruch darauf, menschenwürdig behandelt zu werden", sagt der Sprecher der EU-Kommission für innere Angelegenheiten, Michele Cercone. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen künftig Mindeststandards in ihren Sammelunterkünften für Asylbewerber erfüllen. In vielen Staaten werden die Bewerber in Haft genommen und in speziellen Lagern festgehalten. Die Gründe für diese Inhaftierung werden nach den neuen Regeln ausgeweitet. Droht der Asylbewerber in die Illegalität abzutauchen, kann seine Identität oder sein Herkunftsland nicht festgestellt werden, dann kann er inhaftiert werden. Auch Minderjährige dürfen weiter in Sammelunterkünften festgehalten werden.

"Schäbige Inhaftierungspraxis"

Die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" kritisiert, jetzt könnten noch mehr Asylbewerber als bislang inhaftiert werden. "Europa normiert die schäbige Inhaftierungspraxis und erweitert dieses Drama", sagte Karl Kopp von "Pro Asyl" der Deutschen Welle bereits im März, als sich die Innenminister auf das Verfahren verständigt hatten. Besonders problematisch waren die Zustände in griechischen Asyl-Gefängnissen, wie auch der Sprecher der EU-Kommission, Michele Cercone, einräumt: "Die größten Sorgen bereitet uns immer noch Griechenland, wo wir den nationalen Behörden helfen, die Situation für Asylbewerber zu verbessern. Griechenland hatte über viele Jahre überhaupt kein funktionierendes Asylsystem."

Das Prinzip, dass Asylbewerber in dem EU-Staat, den sie zuerst betreten, auch ihren Asylantrag stellen müssen, bleibt erhalten. Diese nach der irischen Hauptstadt Dublin genannte Regel wird als "Dublin III" neu gefasst. Die Asylbewerber werden nicht nach einem Schlüssel auf alle EU-Staaten verteilt. Allerdings kann sich ein Asylbewerber jetzt rechtlich dagegen wehren, zum Beispiel von Deutschland nach Griechenland verschoben zu werden. In Staaten, die von Asylverfahren überlastet sind oder keine menschenwürdige Behandlung bieten können, muss der Asylbewerber künftig nicht zurück, auch wenn er über dieses Land ursprünglich eingereist ist.

Aufnahmelager für Flüchtlinge in Griechenland. Foto: dpa)
Bald Vergangenheit? Bedenkliche Zustände in Asylbewerber-Lagern in GriechenlandBild: picture-alliance/dpa

Südländer in der EU stärker belastet

Die Mittelmeeranrainer, in die viele Bewerber auf dem See- oder Landweg kommen, hatten von den Nordländern eine Quotenregelung verlangt, konnten sich aber nicht durchsetzen. Birgit Sippel, Asylexpertin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, findet das ungerecht. Deutschland und die nördlichen Staaten der EU könnten im neuen Asylverfahren mehr tun, glaubt Birgit Sippel. "Das Problem der Randstaaten der EU ist, dass große Flüchtlingswellen immer im Mittelmeerraum und an der türkisch-griechischen Grenze ankommen. Wir in Deutschland bekommen die Flüchtlinge, die jenseits der großen Flüchtlingsströme regelmäßig kommen." Man müsse die Zahl der Flüchtlinge immer in Relation sehen zur Größe eines Landes, zur Bevölkerungszahl und zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sagte Birgit Sippel der DW. "So gesehen ist es nicht so, dass wir da deutlich überfordert sind. Die hohen Zahlen, die wir Mitte der 90er Jahre hatten, sind ja lange noch nicht erreicht in Deutschland."

Die höchsten absoluten Bewerberzahlen verzeichnen nach Angaben der Statistikbehörde "Eurostat" derzeit Deutschland, Frankreich, Schweden, Großbritannien und Belgien. Nach Deutschland reisen viele Asylbewerber mit dem Flugzeug ein. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat deshalb durchgesetzt, dass das so genannte Flughafen-Verfahren erhalten bleibt. Offensichtlich unbegründete Asylanträge können noch im Transitbereich des Flughafens abgelehnt werden. Die Asylbewerber sollen so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückgeschoben werben. Sie können sich aber jetzt erstmals vor Gericht gegen das Flughafen-Verfahren wehren. Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich entschieden, dass unbegleitete Kinder nicht nur im Einreiseland, sondern überall in der EU Asyl beantragen können. Für sie gilt die "Dublin III"-Regel also nicht.

epa03252423 French Home Affairs Minister, Manuel Valls (L), chats with German Minister of Interior, Hans-Peter Friedrich (R), prior to an EU Justice and Home Affairs Council meeting at the Council of the European Union in Luxembourg, 07 June 2012. EPA/NICOLAS BOUVY +++(c) dpa - Bildfunk+++
Minister Friedrich: Schnellverfahren am FlughafenBild: picture-alliance/dpa

Asylbewerber können früher Arbeit aufnehmen

Künftig dürfen Asylbewerber bereits nach neun Monaten in ihrem Aufnahmeland arbeiten, bislang lag die Frist bei 12 Monaten. Viele Asylbewerber sind nach Ansicht der EU-Innenminister in der Lage und willig, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu arbeiten. Ansonsten sollen Asylbewerber künftig die gleichen Sozialleistungen erhalten wie EU-Bürger, allerdings haben sie keinen Anspruch auf Bargeld, sondern können auch Gutscheine für Lebensmittel oder Kleidung bekommen. Asylbewerber haben ein Anrecht auf medizinische und psychologische Grundversorgung, wenn sie zum Beispiel durch Folter oder Verfolgung traumatisiert sind.

Seit dem Jahr 2000 werden die Fingerabdrücke sämtlicher Asylbewerber in einer speziellen Datenbank erfasst. So soll die doppelte Antragstellung oder die Wiedereinreise von abgelehnten Asylbewerbern verhindert werden. Die "Eurodac" genannte Datei soll künftig auch von der Polizei bei der Suche nach Straftätern genutzt werden. Anerkannte Asylbewerber werden drei Jahre lang, abgelehnte Asylbewerber zehn Jahre lang gespeichert.

Kritik an der "Festung Europa"

Die Menschenrechts-Organisation "amnesty international" hatte im Mai die europäische Asly- und Flüchtlingspolitik erneut scharf kritisiert. Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty sagte in London, die EU habe mehr Interesse am Schutz ihrer eigenen Grenzen, als am Schicksal der Flüchtlinge. Europäische Regierungen riskierten das Leben von Hilfesuchenden. Diese Kritik weist der Sprecher der EU-Kommission, Michele Cercone, zurück. "Diese pauschale Kritik am Asylsystem ist nicht gerechtfertigt." Das heiße nicht, dass die Mitgliedsstaaten nicht mehr tun könnten, so Cercone. "Wir wissen, dass nur neun EU-Mitgliedsstaaten 90 Prozent aller Asylbewerber aufnehmen. 17 andere Mitgliedsstaaten könnten also mehr tun. Die neuen Regeln werden uns dabei helfen." Weltweit gesehen nehme die EU rund 30 Prozent aller Asylbewerber auf, so Cercone.

Jung und gut vernetzt - Asylbewerber in Europa

Asylbehörde auf Malta gegründet

Den Beamten, die über die Asylgewährung entscheiden müssen, will die EU künftig mit einer eigenen Behörde zur Seite stehen. Das "Büro zur Unterstützung der Asylverfahren" (EASO) erstellt Länderberichte, die eine Beurteilung von vorgebrachten Asylgründen, wie poltischer Verfolgung oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit, ermöglichen sollen. So sollen die Kriterien zur Vergabe von Asyl in der EU vereinheitlicht werden, sagt Behördenleiter Rob Visser. "Die Qualität der Information über die Herkunftsländer der Asylsuchenden, ist entscheidend für die Entscheidung im Asylverfahren. Deshalb erstellen wir diese Berichte." Seit 2011 arbeitet EASO, übrigens ausgerechnet auf Malta. Die kleine Mittelmeerinsel beherbergt in Relation zu ihren 419.000 Einwohnern die meisten Asyl-Bewerber in der gesamten EU.

Ganz einheitlich werden die Asyl-Verfahren in der Europäischen Union aber dennoch nicht. Großbritannien, Irland und Dänemark haben sich in den EU-Verträgen das Recht vorbehalten, innenpolitische Gesetze aus Brüssel zuhause nicht anzuwenden. Genau das wollten die drei Länder in den allermeisten Asyl-Bestimmungen tun, kündigte der irische Innenminister und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Alan Schatter vergangene Woche in Luxemburg an. Zur Umsetzung des gemeinsamen Asylrechts haben die übrigen EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre, bis Mitte 2015, Zeit.