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EU sucht Rezepte gegen Jugendarbeitslosigkeit

Bernd Riegert27. Mai 2013

Die Wirtschaftskrise hat die Arbeitslosenquote für Jugendliche in Europa verdoppelt. Die EU sucht dringend nach Rezepten, handeln müssen aber die Mitgliedsstaaten. Die Kanzlerin lädt zum Gipfel im Juli.

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Archiv: Symbolbild Arbeitssuche Foto: Volker Hartmann/dapd
Arbeitslosigkeit DeutschlandBild: dapd

Die junge Spanierin Araceli Rubio Perera hatte in ihrer Heimat noch keinen Job gefunden und schaute sich deshalb im Februar bei einer europäischen Beschäftigungsbörse in Brüssel die Angebote von Unternehmen an. "Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich bisher gesehen habe, weil es hier eine Menge Firmen gibt, nicht nur aus Belgien, sondern auch aus Großbritannien und Frankreich. Es gibt viele Möglichkeiten nicht nur für Leute mit Berufserfahrung, sondern auch für Menschen wie mich, die gerade erst loslegen." Ausgerichtet werden die Beschäftigungsbörsen in Brüssel und vielen Städten Europas von der Europäischen Kommission. Unterstützt wird die Arbeitssuche im Ausland vom Vermittlungssystem EURES, das Angebote aus ganz Europa im Internet vorhält. Das, was die EU-Kommission anbieten kann, ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die grenzüberschreitende Beschäftigungssuche ist nach wie vor die Ausnahme. Nur drei Prozent aller EU-Bürger arbeiten laut der Statistikbehörde Eurostat dauerhaft im Ausland.

Strukturelle Reformen sind nötig, nicht erst seit der Krise

Durchgreifende Erfolge im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit gebe es nur mit strukturellen Reformen in den Mitgliedsstaaten, glaubt der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Karl Brenke. Schon vor der Finanz- und Wirtschaftskrise war die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren in Teilen Europas doppelt so hoch wie die der Erwachsenen. Das liege vor allem an einer zu theoretischen Ausbildung, die nur in der Schule, aber nicht im Betrieb stattfinde, sagt Volkswirt Brenke: "Ich glaube, die Lösung der Probleme liegt darin, dass wir in den Krisenländern, aber auch in Osteuropa und Teilen Skandinaviens die Berufsausbildung verändern müssen, um dieses strukturelle Problem der Jugendlichen in den Griff zu bekommen. Die Jugendlichen müssen stärker eine praktische Ausbildung erleben." Spanien hat bereits damit begonnen, das duale Ausbildungssystem, also die parallele Ausbildung in Betrieb und Berufsschule, einzuführen. Andere Länder wie Italien, Portugal oder Griechenland müssten folgen, sagt Karl Brenke im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse für die Jugendlichen leichter werden. Teilweise behindere sie auch ein zu starres Arbeitsrecht wie in Italien.

Bild: Anna Blancke, DIW Berlin Karl Brenke, wiss. Referent im DIW
Volkswirt Brenke: Ausbildung braucht ReformenBild: Anna Blancke, DIW Berlin

Job-Garantie und Aktionismus

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat erst vergangene Woche wieder an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union appelliert, mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Die EU will eine "Job-Garantie" für alle Jugendlichen durchsetzen. Spätestens vier Monate nach dem Abschluss in der Schule oder an der Universität soll jeder Jugendliche einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz haben. Vorgeschlagen hatte die EU-Kommission diese Job-Garantie bereits im Februar. Doch die praktische Umsetzung läuft schleppend an. Es sei vor allem politischer Wille zu Reformen in den betroffenen Staaten notwendig, glaubt der Wirtschaftsforscher Karl Brenke: "Man kann natürlich versuchen, jetzt über verschiedene Qualifizierungsprogramme die Jugendlichen stärker an die Praxis heranzuführen, aber das sind nicht die großen Lösungen. Ich glaube, da ist auch politischer Aktionismus dahinter."

Gipfeltreffen in Berlin: Deutsches Modell für Europa?

In den kommenden Jahren will die Europäische Union sechs Milliarden Euro für spezielle Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit bereitstellen, um Initiativen und Investitionen in den Mitgliedsstaaten auszulösen. Wie das Geld ausgegeben werden soll, das will Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli bei einem Treffen mit allen Arbeitsministern und Arbeitsagenturen der Europäischen Union beraten. "Damit wir am Ende des Jahres, wenn wir das Geld verfügbar haben, nicht einfach dasitzen und sagen, jeder probiert mal selber, was er damit macht. Deshalb ist es mir und vielen anderen auch ein Anliegen, dass das koordiniert erfolgt", sagte die Bundeskanzlerin beim jüngsten EU-Gipfel. Es sei wichtig, "dass man darüber spricht, wie man dies auch schnell operativ umsetzen kann. Wie kann man von Ländern, die heute eine recht gute Situation haben, lernen?" Nach der Wende habe man in Ostdeutschland Anfang der 1990er Jahre ähnlich hohe Arbeitslosenquoten gehabt, so Merkel. Die Erfahrungen wolle man jetzt weitergeben.

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Duale Ausbildung: Lernen in Betrieb und SchuleBild: Fotolia/Robert Kneschke

"Soziales Gewebe wird zerstört"

In der Europäischen Union sind nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat knapp sechs Millionen Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote für junge Erwachsene und Jugendliche lag im Februar bei 23,5 Prozent und ist damit doppelt so hoch wie die für Erwachsene, die bei 10,9 Prozent lag. Die höchste Jugendarbeitslosigkeit wird aus Griechenland gemeldet. Dort lag sie bei 59 Prozent. In Spanien ist jeder zweite Jugendliche arbeitslos. In 12 der 27 Mitgliedsstaaten der EU liegt die Quote über 25 Prozent. Der Präsident des Europäischen Parlaments, der Sozialdemokrat Martin Schulz, sieht ein "dramatisches" Problem in Europa. "In einigen Ländern der EU hat sie Formen angenommen, die dazu geeignet sind, das soziale Gewebe der Gesellschaft zu zerstören. Bei 50 Prozent Arbeitslosigkeit in einigen Ländern unter jungen Leuten, zum Teil hoch qualifiziert, die mit ihren Zukunftschancen für eine Krise bezahlen, die sie nicht verursacht haben, ist das schon ein Problem, das wir nicht langfristig, sondern jetzt lösen müssen", forderte Schulz in einer Pressekonferenz in Brüssel. Nicht nur die Banken in Europa seien "systemrelevant", so Schulz. Auch die Generation der Jugendlichen sei "systemrelevant" für Europa.

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht die Gefahr, dass dauerhaft hohe Jugendarbeitslosigkeit zu Resignation bei den jungen Menschen führen könnte. "Die Nachwachsenden könnten in den gleichen Trott kommen, dass sie keine Chancen sehen und bei der Bildung nachlassen. Was natürlich auch sein kann: Die jungen Leute wandern ab."

Hauptproblem ist die schrumpfende Wirtschaft

Der Volkswirt weist aber darauf hin, dass das Grundproblem natürlich die schwere Wirtschaftskrise in weiten Teilen Europas sei. Erst wenn die überwunden wird, würden wieder mehr Arbeitsplätze und dann auch Ausbildungsplätze geschaffen. "Die Krise ist das Problem Nummer eins." Diese Analyse teilt offenbar auch der Präsident der EU-Kommission, José Barroso. Er sprach sich seit März wiederholt dafür aus, die Konjunktur stärker als bisher durch staatliche Eingriffe, eventuell finanziert durch neue Schulden, anzukurbeln. Barroso sagte im Europäischen Parlament: "Lassen Sie uns ehrlich sein: Wir brauchen kurzfristige Maßnahmen, um das Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Der Wachstumspakt wird nur ungenügend und zu langsam in die Tat umgesetzt. Soziale Fragen wurden bislang nicht ausreichend angepackt. Da müssen wir aufpassen." Bereits vor fast einem Jahr hatten die Staats- und Regierungschefs einen Wachstumspakt mit einem gedachten Volumen von 120 Milliarden Euro geschlossen, passiert ist konkret relativ wenig.

Archiv: EU-Kommissionspräsident Jose Barroso spricht im Europäischen Parlament May 21, 2013. REUTERS/Vincent Kessler (FRANCE - Tags: POLITICS)
Barroso: Europäische Staaten müssen handelnBild: Reuters

EU-Kommissionspräsident José Barroso forderte die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten auf, wenigstens die sechs Milliarden Euro für Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit schnell freizugeben. "Die EU-Kommission hat sehr schnell Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit vorgeschlagen. Das schließt sechs Milliarden Euro aus dem Februar-Gipfel ein. Jetzt müssen der Rat und das Parlament schnell entscheiden, damit wir Ergebnisse schnell liefern können. Ich hoffe, wir können so auf nationaler und europäischer Ebene neue Dinge starten, um der Jugend Hoffnung zu geben."