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Vorgeschmack auf Europawahlkampf

Bernd Riegert15. Januar 2014

Das Europäische Parlament steht mehrheitlich zur freien Arbeits- und Wohnsitzwahl in der EU. In der Debatte gab es aber auch heftige Angriffe - ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf für die Europawahl im Mai.

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Europaparlament in Straßburg (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die Vertreterin der EU-Kommission Viviane Reding gab sich in der Debatte in Straßburg alle Mühe, die Arbeitnehmer-Freizügigkeit als einen der Grundpfeiler der Europäischen Union zu verteidigen. Die Justiz-Kommissarin sagte, dieses Recht jedes EU-Bürgers in jedem EU-Land zu leben, zu arbeiten und zu wohnen, werde nicht angetastet, auch wenn es in Großbritannien oder Deutschland in einigen Gemeinden Probleme geben könnte. Die Zahlen aus den Mitgliedsstaaten zeigten, dass die Freizügigkeit viel mehr wirtschaftlichen Nutzen als eventuellen Schaden bringe. "Die bestehenden Bestimmungen zur Freizügigkeit und über den Zugang zu Sozialleistungen bieten genügend Schutz vor Missbrauch. Sie sorgen dafür, dass Zuwanderer nicht zu einer großen Belastung der Sozialsysteme des Gastlandes werden", sagte Viviane Reding auch an die Adresse der Bundesregierung und der deutschen Behörden. Man müsse die Bestimmungen eben richtig anwenden.

Justiz-Kommissarin Reding im Europaparlament (Foto: Getty Images/Afp/Frederick Florin)
Justiz-Kommissarin Reding: Sorgen Ernst nehmenBild: Getty Images/Afp/Frederick Florin

Radikale fordern Abschaffung der freien Arbeitsplatzwahl

Der britische Abgeordnete Gerard Batten von der europa-skeptischen "Unabhängigkeitspartei" griff dagegen tief in die Kiste der Vorurteile: "Wir bekommen Alkoholiker, Drogensüchtige, Kriminelle und Bettler und Sozialtouristen. Ehrbare Briten sehen wie ihr Lebensstandard sinkt, während Menschen soziale Leistungen und Sozialwohnungen bekommen, die nie einen Penny Steuern gezahlt haben. Das hat uns die EU eingebrockt und im nächsten Mai werden die Wähler in Großbritannien ihr Urteil sprechen", drohte Gerard Batten von der "United Kingdom Independence Party" (UKIP). Da die UKIP in Großbritannien außerordentlich erfolgreich ist, hat sich auch der britische Premierminister David Cameron von der konservativen Partei die Kritik an der Freizügigkeit zum Teil zu eigen gemacht. Er forderte kürzlich, in Zukunft Quoten für Einwanderer aus der EU einzuführen, was klar heutigem EU-Recht widerspricht.

"Populisten auf Stimmenfang"

Abgeordnete aus Rumänien und Bulgarien, deren Bürger seit Anfang des Jahres ohne Beschränkungen Arbeit suchen und ihren Wohnsitz wählen können, wehrten sich gegen die simplen Argumente der Euro-Skeptiker. Marian-Jean Marinescu aus Rumänien sprach für die Mehrheitsfraktion der Konservativen: "Die Defizite in der Verwaltung der Nationalstaaten oder wirtschaftliche Nachteile können nicht dem Prinzip der Freizügigkeit angelastet werden. Diese Art der Verknüpfung der Argumente dient nur den Populisten dazu, auf Stimmenfang zu gehen." Monika Panayotova aus Bulgarien sagte, die angebliche Welle der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien gäbe es überhaupt nicht. Renate Weber, liberale Abgeordnete aus Rumänien, verbat sich die Diskriminierung ihrer Landsleute. Mit seiner Forderung, die Fingerabdrücke von Einwanderern zu erfassen, schüre der deutsche CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Auch der britische Premierminister Cameron gieße ständig Öl ins Feuer der Fremdenfeindlichkeit, so Renate Weber aus Rumänien.

Ein Bus mit dem Schild Bukarest-Dortmund im Fenster (Foto: picture-alliance/dpa)
Keine Zunahme: Buslinie von Bukarest nach DortmundBild: picture-alliance/dpa

Wo ist die CSU?

Die deutsche Freidemokratin Nadja Hirsch, die aus Bayern stammt, warf der konservativen CSU vor, sie missbrauche das Thema Arbeitnehmer-Freizügigkeit um billig Wahlkampf zu machen. Die CSU hatte in Deutschland eine Debatte über den Zuzug von Rumänen und Bulgaren ausgelöst. Nadja Hirsch mutmaßte, dass der konservativen Partei im Europäischen Parlament wohl die Argumente fehlten, denn in der Debatte ergriff kein Europa-Abgeordneter der CSU das Wort. "Und ich wundere mich, ehrlich gesagt, wo denn jetzt die Kolleginnen und Kollegen von der CSU sind. Hier könnten sie das Thema anbringen. Hier sind sie aber heute leider nicht. Daran sieht man, dass das ganze Thema als reiner Wahlkampf missbraucht worden ist", sagte Nadja Hirsch (FDP).

Radikale Abgeordnete, wie die französische Front National-Chefin Marine Le Pen, trugen ihre bekannten ausländerfeindlichen Argumente vor. Marine Le Pen forderte: "Die Freizügigkeit der Arbeiter einschränken, die Grenzen wieder einführen, anstatt an dem unsinnigen Dogma der Freizügigkeit festzuhalten, das gezeigt hat, dass es mehr Probleme schafft als es lösen kann!" Der Niederländer Auke Zijlstra von der rechtsextremen "Partei für die Freiheit" plädierte ebenfalls dafür, das europäische Grundrecht auf Freizügigkeit komplett abzuschaffen. "Angesichts der Untätigkeit der EU-Kommission wäre es jetzt höchste Zeit, diese Situation anzupacken und das Recht auf Freizügigkeit aufzugeben. Die Mitgliedsstaaten können das tun, um ihre Sozialsysteme und ihre Bevölkerung zu schützen. Sie haben jedes Recht dazu."

Marine Le Pen im Europaparlament (Foto: Reuters)
Ausländerfeindlich: Le Pen will keine FreizügigkeitBild: Reuters

Vorwürfe an Deutschland

Angesichts der Argumentation der radikalen Europa-Gegner riet die EU-Kommissarin für Justiz, Viviane Reding, dazu, die Sorgen und Bedenken der Bürger ernst zu nehmen. Städten, in denen es durch Zuwanderer aus der EU wirklich soziale Probleme gäbe, könne auch mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds geholfen werden. Die Mittel, die aus diesem Fonds etwa deutschen Städten zur Verfügung stehen würden, wurden im letzten Jahr gar nicht vollständig abgerufen. Das bestätigte die Bundesregierung in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Bundestag. Die deutsche Europa-Abgeordnete Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen, warf der Bundesregierung auch deshalb Versagen vor. Seit sieben Jahren, seit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens, sei bekannt, dass es durch die Arbeitnehmer-Freizügigkeit eventuell zu punktuellen sozialen Problemen kommen könnte. "Warum war denn wieder nichts vorbereitet? Warum musste da eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Lösung der Probleme eingerichtet werden? Dass wir Anforderungen ans Arbeitslosengeld und ans Kindergeld bekommen würden, das war doch klar!", fragte Rebecca Harms in Richtung Berlin, wo CDU, CSU und SPD eine Große Koalition bilden.

Hannes Swoboda spricht im Europaparlament (Foto: picture alliance/dpa)
Hannes Swoboda will ein offenes EuropaBild: picture alliance/dpa

"Die Debatte tut weh"

Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament Hannes Swoboda sprach in Straßburg für die große Mehrheit der Abgeordneten. Der Österreicher trat dafür ein, die Freizügigkeit in der EU unter allen Umständen zu verteidigen und Radikalen nicht das Feld zu überlassen: "Diese Debatte tut deshalb so weh, weil sie an Zeiten vor der Europäischen Union erinnert, als Minderheiten und bestimmte Völker ausgegrenzt und angegriffen wurden. Ich bin sehr froh, dass Rumänen und Bulgarien jetzt hier sind genauso wie viele andere."