1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Illegale Einwanderer müssen zurück in die Türkei

Senada Sokollu13. Dezember 2013

Illegale Einwanderer, die über die Türkei in die EU eingereist sind, können künftig dorthin abgeschoben werden. Im Gegenzug soll für die Türken die Visumspflicht in der EU entfallen.

https://p.dw.com/p/1AZVa
Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze (Foto:SAKIS MITROLIDIS/AFP/Getty Images)
Abriegelung: Auch die griechisch-türkische Grenze wird immer undurchlässigerBild: Sakis Mitrolidis/AFP/Getty Images

Die EU und die Türkei haben an diesem Montag (16.12.2013) ein Abkommen für die Flüchtlingspolitik unterzeichnet. Illegale Einwanderer, die die Türkei als Transitland nutzten, um in die EU zu gelangen, dürfen dann wieder in die Türkei zurückgeschickt werden. Gleichzeitig stellt die EU eine Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger in Aussicht. Beide Vertragsparteien profitieren davon, denn sowohl die Türkei als auch die EU erhalten das, was sie schon lange Zeit gefordert haben. Verlierer gibt es allerdings auch: Es sind die zahlreichen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder anderen Krisengebieten, die in der EU Zuflucht vor Krieg, Hunger und Armut suchen.

Die Türkei ist der einzige EU-Beitrittskandidat, für den bis heute eine Visumspflicht besteht - und die Türkei kritisiert diese Praxis der EU schon seit Jahren. Die Verpflichtung des türkischen Staates zur Rücknahme von illegalen Einwanderern ist dabei "der Preis", den das Land für die angekündigte Visa-Liberalisierung zu zahlen hat.

Dreijahresfrist für beide Seiten

Von türkischer Seite wird explizit darauf hingewiesen, dass das Abkommen ein gegenseitiges Entgegenkommen beinhaltet. So betonte Außenminister Ahmet Davutoglu, dass beide Prozesse "parallel voranschreiten" würden.

Ahmet Davutoglu in Bagdad (Foto: REUTERS/Thaier Al-Sudani)
Davutoglu: Abkommen auf GegenseitigkeitBild: Reuters/Thaier Al-Sudani

Der türkische EU-Minister Egemen Bagis sagte im türkischen Privatsender NTV, die Türkei behalte sich das Recht vor, das Abkommen aufzuheben, wenn die Visafreiheit nicht in einem "angemessen Zeitraum" komme. "Die Visabefreiung sowie das Rücknahmeabkommen werden innerhalb von drei Jahren realisiert", stellt Bagis den geplanten Ablauf vor. In diesem Zeitraum werde die Türkei Gelder von der EU erhalten, betont der Minister. "Finanziert werden Wärmebildkameras, die an den Grenzen installiert werden sollen. Es wird ein Zentrum eröffnet, in dem Sprachexperten eingesetzt werden, die die Herkunftsländer der illegalen Einwanderer bestimmen sollen." Damit will sich die Türkei die Möglichkeit offenhalten, die Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer abzuschieben.

Illegale Einwanderung in der Türkei ist nicht neu

In der türkischen Öffentlichkeit werden Bedenken laut, dass der Türkei durch die Rücknahme von illegalen Einwanderern eine kaum tragbare Belastung zugemutet werde. Ahmet Icduygu, Leiter des Forschungszentrums für Migration an der Koc-Universität in Istanbul bestreitet das. "Vor etwa zehn Jahren wurden rund 90.000 illegale Migranten jährlich in der Türkei aufgegriffen. Aber in den letzten Jahren ging die Zahl auf etwa 40.000 zurück."

Syrien Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei (Foto: EPA/ERDAL TURKOGLU)
Hilfe für Kriegsflüchtlinge: Die Türkei hat Hunderttausende Syrer aufgenommenBild: picture-alliance/dpa

Für die Türkei ändere sich durch das Abkommen mit der EU in Bezug auf die illegalen Flüchtlinge nicht viel, ist Icduygu überzeugt. "Ich denke nicht, dass das Abkommen eine zusätzliche Belastung für die Türkei darstellen wird." Außerdem sei das Rücknahmeabkommen Bedingung für die EU-Mitgliedschaft der Türkei, sagt er. "Hinzu kommt, dass die Türkei die Visafreiheit für ihre Bürger will und das ist nun einmal ein Instrument dafür."

Kein faires Asylverfahren

Andrew Gardner von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Istanbul ist vor allem besorgt um die Migranten: "Die Frage ist, wo diese Menschen in Zukunft um Asyl bitten können? Werden sie weiterhin in der Türkei um Asyl bitten oder in ihre Herkunftsländer abgeschoben?" Es habe bereits Fälle gegeben, in denen Menschen aus Afghanistan wieder zurückgeschickt worden seien, ohne ein faires Asylverfahren in der Türkei durchlaufen zu haben, kritisiert der Menschenrechtsaktivist. "In Zukunft werden noch mehr Menschen aus den EU-Ländern zurück in die Türkei und dann mit großer Wahrscheinlichkeit zurück in ihre Heimatländer geschickt werden", so Gardner.

Syrische Flüchtlinge seien - im Prinzip - nicht davon bedroht, von der Türkei zurück nach Syrien ausgewiesen zu werden, da sie grundsätzlich als Kriegsflüchtlinge einen vorübergehenden Schutzstatus genießen. Doch sogar hier habe es bereits Fälle von erzwungenen Rückreisen nach Syrien gegeben, betont der Menschenrechtler. "Es ist notwendig, dass die Türkei und die EU partnerschaftlich zusammenarbeiten und diesen Menschen in Not internationalen Schutz bieten", fordert Gardner.

"Die EU muss mehr Verantwortung übernehmen"

Um genau diesen internationalen Schutz geht es auch Lami Bertan Tokuzlu, Verfassungsrechtler an der Bilgi Universität in Istanbul. "Wenn man die Genfer Konvention oder andere menschenrechtliche Instrumente beachtet, sieht man, dass eine Schutzgewährung auch die Wahl beinhaltet, wo die betroffene Person um Schutz bitten möchte", erklärt Tokuzlu im DW-Gespräch. Und dabei seien EU-Staaten wichtige Zielländer. Somit seien sie auch zu mehr Verantwortung verpflichtet, denn aufgrund ihres Wohlstands und vorhandener Kapazitäten könnten sie den Schutzsuchenden wesentliche Hilfe leisten, so der Rechtswissenschaftler.

Gleichzeitig warnt Tokuzlu davor, zu große sicherheitspolitische Hoffnungen in die Außengrenzen der Türkei zu setzen. Deren Kontrolle gestalte sich nicht so einfach. Sowohl die Grenze zu Syrien als auch die zum Irak seien sehr durchlässig. So gelangten in der Vergangenheit immer wieder Kämpfer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aus den kurdischen Gebieten im Irak in den von Kurden bewohnten Osten der Türkei. "Können wir dann überhaupt überzeugend darlegen, dass wir in der Lage sein werden, illegale Einwanderung effizient zu bekämpfen? Ich denke nicht", so der Rechtswissenschaftler.