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EU verhandelt Haushalt

Bernd Riegert23. November 2012

Stundenlang saß EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit den 27 Staats- und Regierungschefs im "Beichtstuhl". Der Kampf um die Kompromisslinie im Haushaltsstreit ist voll entbrannt - Ende offen.

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Fahnen der Europäischen Union vor dem Hauptsitz in Brüssel (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bei EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ging es am Donnerstag (22.11.2012) bis in den Abend hinein zu wie in einer überfüllten Arztpraxis. Zwar rief niemand "Der nächste bitte!", doch gaben sich 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die Klinke in die Hand. Für jeden Gipfelteilnehmer waren 20 Minuten Einzelgespräch mit Herman Van Rompuy und dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso vorgesehen. Die Gespräche über die roten Linien bei den Haushaltsplänen bis zum Jahr 2020 zogen sich länger hin als erwartet.

Über zwölf Stunden brauchte Van Rompuy, bis er die erste Runde der so genannten "Beichtstuhl"-Gespräche abschließen konnte. Dann machten sich die Beamten in der EU-Zentrale in Brüssel daran, während der Nacht ein neues Verhandlungspapier zu schreiben, das möglichst allen Interessen der Mitgliedsstaaten gerecht wird. Auch die Wünsche des Europäischen Parlaments muss Van Rompuy berücksichtigen, denn die Parlamentarier müssen der mehrjährigen Finanzplanung erstmals zustimmen.

Merkel: Zweiter Finanz-Gipfel möglichWährend der stundenlangen Wartezeiten trafen sich die Staats- und Regierungschefs untereinander zu bilateralen Gesprächen, um Verbündete zu suchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe bei einem solchem Gespräch mit dem französischen Präsidenten François Hollande Verständnis für das Beharren auf hohe Agrarbeihilfen für französische Bauern gezeigt. Das zumindest behaupten französische Delegierte.

Frankreichs Staatschef François Hollande (l.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: Reuters)
Trafen sich vor Gipfel-Beginn: Frankreichs Staatschef Hollande und Bundeskanzlerin MerkelBild: Reuters

Die mehreren Hundert Journalisten, die am Abend im Gipfelgebäude ausharrten, erfuhren nichts Offizielles über den Stand der Verhandlungen. Merkel sagte zu Beginn des Gipfels, was eigentlich alle Staats- und Regierungschefs unterschreiben könnten: "Jeder wird sicherlich ein Stück weit Kompromisse zeigen müssen und kompromissfähig sein. Wir kennen uns ja alle gut." Zugleich machte die Bundeskanzlerin klar, dass sie nicht unbedingt mit einem Durchbruch rechnet. "Ich sage, vielleicht brauchen wir noch eine zweite Etappe. Das werden wir morgen beurteilen können", so Merkel. Vor sieben Jahren brauchten die Staats- und Regierungschefs für die laufende Finanzperiode drei Gipfeltreffen, um einen Haushaltsplan zustande zu bringen.

Einzahler gegen EmpfängerUmstritten ist nach wie vor die Höhe der Mittel, die die EU gemeinschaftlich bei den Mitgliedsstaaten einsammeln und danach wieder als Subventionen oder Fördermittel an bedürftige Staaten und Regionen auszahlen soll. Die Empfängerländer wie Polen oder Estland plädieren für den Haushaltsentwurf der EU-Kommission, die in den sieben Jahren von 2014 bis 2020 Ausgaben von rund 1035 Milliarden Euro eingeplant hat. Die zahlenden Länder, die unterm Strich mehr an die Brüsseler Kasse zahlen als sie hinterher wieder herausbekommen, wollen Kürzungen durchsetzen.

Van Rompuy und Barroso (re.) (Foto: Reuters)
Als "Beichtväter" im Einsatz: Van Rompuy und Barroso (re.)Bild: Reuters

Die Gruppe der Nettozahler ist sich aber nicht über die Höhe der Kürzungen einig. Während Großbritannien und Schweden tiefe Einschnitte von bis zu 200 Milliarden fordern, wäre Deutschland mit einer Einsparung von 100 Milliarden zufrieden. Einige Staaten verlangen, dass die Mittel künftig nicht mehr für Agrarsubventionen, sondern eher für Wachstumsprogramme und Investitionen in Forschung und Bildung ausgegeben werden. Frankreich, Spanien und andere Staaten mit starker Landwirtschaft lehnen diesen Kurswechsel ab.

Briten könnten von Bord gehenDie Vorstellungen der verschiedenen Gruppen liegen noch weit auseinander, sagte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Großbritannien müsse überzeugt werden, so Juncker, wie wisse er allerdings auch nicht. Auf die Reporterfrage, ob die Briten noch mit im europäischen Boot seien, antwortete Juncker knapp: "Die Briten können schwimmen." Für den Luxemburger könnten die Briten im heftigen Haushaltsstreit also durchaus von Bord gehen.

Briten auf Anti-EU-Kurs

Im Vorfeld des Gipfels war schon über einen mehrjährigen Haushalt ohne Großbritannien spekuliert worden. Premierminister David Cameron hatte in Brüssel mehrfach gesagt, er wolle hart bleiben, einen guten Abschluss für die Steuerzahler in Großbritannien erreichen und vor allem den britischen Rabatt auf die Mitgliedsbeiträge verteidigen.

Gegenseitige Drohungen

Nicht nur Cameron drohte mit einem Veto gegen den Haushalt, auch der Nettozahler Dänemark denkt über ein Veto nach. Auf Empfängerseite hatte der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovskis ein Nein für den Fall angekündigt, dass die Hilfen für Regionalförderung in seinem Land gekürzt werden. Rumänien schloss sich an. Bei den Haushaltverhandlungen haben alle 27 Mitgliedsstaaten, egal ob groß oder klein, arm oder reich, das gleiche Gewicht, denn der Beschluss muss einstimmig fallen. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann wies die Drohungen mit einem Veto zurück. Diese Karte zücke man notfalls am Ende eines Verhandlungspokers, so Faymann. "Hart die eigenen Interessen zu vertreten, ist die Aufgabe eines Regierungschefs. Das verstehe ich auch bei jeder Kollegin und jedem Kollegen, dass die das machen. Aber wir müssen doch zum Schluss wissen, dass wir miteinander gewinnen und verlieren." Der Österreicher gab sich gelassen. Er könne bis Montag bleiben, wenn es sein müsse. Allerdings sei es auch möglich, dass man sich im Januar zum nächsten Sondergipfel treffen werde. Das war wohl die "zweite Etappe", die Angela Merkel angekündigt hatte.

Griechenland-Rettung wird nicht besprochenDie Themen Schuldenkrise und Finanzhilfen für Griechenland spielten auf diesem Gipfel zunächst keine Rolle. Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras forderte die Euro-Gruppe und den Internationalen Währungsfonds zum Handeln auf: "Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Jetzt sind unsere europäischen Partner und der Internationale Währungsfonds an der Reihe, ihren Teil zu liefern." Die Rettungsfonds zur Stützung maroder Staaten werden nicht aus dem gemeinsamen Haushalt der Europäischen Union finanziert, um den in Brüssel gerungen wird. Für die Rettungsschirme EFSF und ESM müssen die 14 solventen Euro-Staaten separat zahlen und Garantien leisten.

Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras (Foto: Reuters)
Will keine Hängepartie um Hilfsgelder: Griechenlands Ministerpräsident SamarasBild: Reuters