1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Reformen lassen auf sich warten

Bernd Riegert27. Juni 2013

Die Staats- und Regierungschefs Europas beraten in Brüssel einmal mehr über eine Reform der EU. Doch der Reformeifer scheint abzuflauen, es droht Stillstand. Nur bei der Bankenunion gibt es Fortschritte.

https://p.dw.com/p/18xFT
Europa Fahnen wehen vor blauem Himmel (Foto: Thierry Monasse/DPA)
Symbolbild Europa Fahne unscharfBild: picture-alliance/dpa

Noch beim EU-Gipfel im Juni 2012 war der Reformeifer groß. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Barroso und der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sowie der damalige Euro-Gruppen-Chef Jean Claude Juncker legten einen Fahrplan zur völligen Neuordnung für die 17 Länder der Euro-Zone vor. Eine "echte" Währungs- und Wirtschaftsunion sollte geschaffen werden, in der wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen eng koordiniert und die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten verbessert werden würde. Außerdem sollte am Ende die gemeinsame solidarische Haftung für Schulden und marode Banken stehen. Die demokratische Legitimation der Euro-Politik sollte ausgebaut werden. Dieses "Präsidenten-Papier" wurde von den Staats- und Regierungschefs im Prinzip gebilligt, innerhalb eines Jahres sollten die Reformen umgesetzt werden.

Zaudern und Zögern

Heute, ein Jahr später, fällt die Bilanz eher mager aus. "Die Erwartungen werden nicht erfüllt. In vielen Bereichen hinken wir hinterher sowohl zeitlich als auch inhaltlich", sagt dazu Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik European Policy Centre in Brüssel. Viele Reformziele scheinen vergessen. Nur bei der Bankenunion, also der gemeinsamen Beaufsichtigung und Abwicklung von Banken in der Euro-Zone, gibt es Fortschritte, um die heftig gerungen wurde und wird. In der Nacht vor dem Gipfel gelang es den Finanzministern der EU festzulegen, dass künftig auch Eigentümer, Gläubiger und Sparer für Banken haften. Die Steuerzahler sollen in der sogenannten "Haftungskaskade" an letzter Stelle stehen.

Porträt von Janis A. Emmanouilidis, Senior Policy Adviser, European Policy Centre (EPC), Brüssel (Bild: DW/Alen Legovic) Aufnahmedatum: März 2010
Emmanouilidis: Druck auf EU läßt nachBild: DW

Vertagt auf 2014

Nach mehrfachem Vertagen und Verzögern trafen sich Ende Mai Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande. Die beiden legten wieder ein neues Papier vor. Darin werden entscheidende Reformen in der Euro-Zone und die verstärkte Kontrolle der Haushalts- und Finanzpolitik wieder um ein Jahr verschoben, auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2014. "In den wesentlichen Fragen hat man keine Einigung gefunden. Man hat einige Dinge auf die Agenda gehievt, wie den permanenten Präsidenten der Euro-Gruppe, aber das verdeckt eher, dass es zwischen Paris und Berlin keinen Konsens in wichtigen Fragen gibt. Vor den Bundestagswahlen im September kann und wird es auch keine Einigung geben", so Janis Emmanouilidis vom European Policy Centre gegenüber der Deutschen Welle.

Der Druck, schnell zu handeln, hat offenbar nachgelassen. Vor einem Jahr waren Italien, Spanien und Zypern in aktuellen finanziellen Schwierigkeiten, die Euro-Schulden-Krise griff um sich. Heute ist die Lage etwas entspannter, die Finanzierungskosten für italienische Staatsschulden und spanische Defizite sind erträglich. Die Zusage der Europäischen Zentralbank vom Sommer 2012, notfalls Staatsanleihen zu kaufen, hat die Märkte beruhigt und den Politikern in der EU wieder mehr Luft zum Taktieren verschafft.

Gefahren der Krise noch nicht gebannt

EU-Experte Janis Emmanouilidis warnt, es könne jederzeit in manchen Mitgliedsstaaten zu wirtschaftlichen oder politischen Verwerfungen kommen. Andererseits sei die EZB mit ihrer Beruhigungstaktik erfolgreich. "Wir sehen eine länger anhaltende Ruhe auf den Finanzmärkten. Die Märkte haben ein Interesse an einer ruhigen Lage, deshalb wird es nicht so eskalieren wie vor einem Jahr. Aber die Gefahr besteht immer noch." Der Europaabgeordnete Udo Bullmann, Wirtschaftsfachmann der Sozialdemokraten, befürchtet ein großes "Schaulaufen" auf dem Gipfel. "Auch dieser Gipfel wird aller Voraussicht nach mit Lippenbekenntnissen und zunächst auf den Herbst vertagten Entscheidungen enden. Mit einer Politik des Stillstands lassen sich die ernsten Herausforderungen der Krise jedoch nicht bewältigen", so Udo Bullmann.

Angela Merkel umarmt Hollande (Foto: REUTERS/Patrick)
Umarmen oder Wachrütteln? Angela Merkel (li.) und François Hollande vertreten die beiden größten Euro-Zonen-LänderBild: Reuters

Im Dezember 2012 hatte Bundeskanzlerin Merkel beim EU-Gipfel noch angekündigt, im Juni 2013, also jetzt, würden die Entscheidungen fallen. Davon sei im Moment erst im Dezember 2013 auszugehen, heißt es nun aus der Umgebung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Der Leiter der Gipfelrunden will diesmal wieder nur einen Zwischenbericht mit neuen Fahrplänen abgeben. Bei der Reform der Euro-Zone sei "Sand im Getriebe", so EU-Diplomaten in Brüssel. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hatte kurz vor dem EU-Gipfel in einem Zeitungsinterview gewarnt, gerade Frankreich müsse Reformen durchsetzen, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Die EZB könne nicht alles alleine machen, so Draghi.

Zwist zwischen Deutschland und Frankreich hält an

Angela Merkel und Frankreichs Präsident Hollande streiten sich immer noch um den richtigen Kurs in der Wirtschaftpolitik. Merkel setzt auf striktes Konsolidieren und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, wie sie in ihrer Regierungserklärung im Bundestag am Donnerstag noch einmal deutlich machte. "Wachstum und Konsolidierung sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander", sagte Merkel. Hollande hingegen will die Konjunktur notfalls auch durch mehr staatliche Ausgaben, also Schulden, ankurbeln.

Italiens Ministerpräsident Enrico Letta macht das gerade vor: Mit geliehenen Milliarden will er die Rezession in Italien beenden. Mit den Kollegen, die ihre Staatshaushalte nicht wie geplant saniert haben, gehen die Staats- und Regierungschefs milde um. Frankreich, Spanien und andere erhalten bis zu zwei Jahren mehr Zeit, um die Defizitziele zu erreichen. Hollande hat sich Einmischungen durch die EU-Kommission in seine Wirtschaftspolitik verbeten. Die deutsche Kanzlerin hatte Anfang Juni in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" gesagt, die EU-Kommission in Brüssel brauche nicht noch mehr Kompetenzen. "Wir haben ein großes Interesse daran, dass es er gesamten Euro-Zone gut geht. Das heißt, wir brauchen ein Mehr an Europa, was nicht immer automatisch heißt, dass wir jede Zuständigkeit nach Europa abgeben müssen. Aber es muss ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl entstehen", sagte Merkel bei einer Veranstaltung in Dresden im April.

Plakat auf Zypern im März: "Merkel, du hast unser Erspartes gestohlen." (Foto: AFP PHOTO/YIANNIS KOURTOGLOU)
Sparkurs umstritten: Proteste gegen Merkels Kurs auf ZypernBild: AFP/Getty Images

Das hört sich ganz anders an als noch vor einem Jahr, als auf dem Gipfel von starker Kontrolle der Mitgliedsstaaten und Wege zu einer wahren politischen Union die Rede war. "Bei der Reform der Euro-Zone und der Schaffung einer Währungs- und Wirtschaftsunion werden viele Dinge nicht mehr so stark verfolgt, wie das vor einem Jahr noch den Anschein hatte. Man macht sich Gedanken über Verträge zur wirtschaftspolitischen Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU, aber darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass es eine weitere Vergemeinschaftung in zentralen Politikbereichen geben wird", sagte EU-Experte Janis Emmanouilidis der Deutschen Welle. Man komme, so der Wissenschaftler, der in Brüssel die EU beobachtet, sehr schnell an die Grenzen dessen, was die Mitgliedsstaaten wirklich haben wollten.