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Die Tür ist noch offen

Christoph Hartmann8. Oktober 2014

Einmal im Jahr prüft die EU-Kommission, ob die Türkei reif für einen Beitritt zur Europäischen Union ist. Der aktuelle Fortschrittsbericht fällt schlechter aus als im Vorjahr. Trotzdem soll weiterverhandelt werden.

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Flaggen der EU und der Türkei - Foto: Srdjan Suki (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Dass sie Teil der Europäischen Union werden will, deren Werte teilt und sich dafür einsetzt, hat die Türkei in letzter Zeit nicht sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. So sorgte die zögerliche Haltung der Regierung in Ankara im Kampf gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" für Irritationen in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten.

Dennoch geht EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle davon aus, dass der Weg für weitere Beitrittsgespräche mit der Türkei immer noch frei ist. Das machte Füle an diesem Mittwoch in Brüssel bei der Vorstellung seines aktuellen Jahresberichts deutlich. Dazu hätten unter anderem die Aussöhnungsversuche mit der kurdischen Volksgruppe beigetragen oder das Abkommen zur Visa-Liberalisierung, welches Reisen türkischer Staatsbürger in der EU vereinfachen soll. Darüber hinaus würdigte Füle "die Anstrengungen der türkischen Behörden und Bevölkerung, mit der Welle von über einer Million syrischen Flüchtlingen fertig zu werden".

Gleichzeitig drückte auch er seine Bedenken gegenüber den jüngsten politischen Entwicklungen in der Türkei aus. Füle gab mit der Eröffnung von weiteren Beitrittskapiteln jedoch ein Signal für eine Fortsetzung der EU-Erweiterungsgespräche. "Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner für die Europäische Union, nicht nur im Bereich Wirtschaft und Handel. Sondern aufgrund ihrer geografischen Lage auch in den Bereichen Migrationspolitik und Sicherheit", sagte er.

Kein deutliches Bekenntnis

Trotz des aktuellen Lobs des scheidenden Erweiterungskommissars: Zu viel Hoffnung auf eine baldige EU-Mitgliedschaft darf sich die Türkei nicht machen. Der künftige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte nämlich schon vor seiner Wahl im Sommer signalisiert, dass die Europäische Union in den kommenden fünf Jahren keine neuen Mitglieder aufnehmen wird.

Wie man die Regierung in Ankara vor diesem Hintergrund überhaupt noch motivieren könne, sich in naher Zukunft um einen EU-Beitritt zu bemühen, wurde Erweiterungskommissar Füle daher jetzt von Mitgliedern des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments gefragt. Seine Antwort: Man müsse nun Gespräche über die nächsten beiden Beitrittskapitel 23 und 24 führen, in denen es um die Justiz und die Grundrechte geht.

Türkei muss weiter an sich arbeiten

Besonders in diesen Bereichen sieht die EU-Kommission laut ihrem Bericht noch Nachholbedarf: In den vergangenen Monaten hätte vor allem die Entlassung von Polizisten, Anwälten und Richtern bei der EU Besorgnis erregt. Auch die Blockade von Internetplattformen in der Türkei stieß in Brüssel auf Missfallen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), sagte der Deutschen Welle bereits Anfang des Jahres, die türkische Führung müsse die Unabhängigkeit der Justiz bewahren, weil sie ein zentraler Bestandteil jeder Demokratie sei.

Stefan Füle - Foto: Osman Orsal
EU-Kommissar Füle: "Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner"Bild: Reuters

Brok zeigte sich schon nach den Demonstrationen in Istanbul im Sommer 2013 skeptisch angesichts des Führungs- und Politikstils des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der inzwischen zum Präsidenten gewählt wurde. "Je länger Erdogan im Amt ist, desto autoritärer wird er, desto weniger lässt er Widerspruch zu und desto einsamer entscheidet er", so Brok.

Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die Beitrittsperspektive für die Türkei einen starken Anreiz für Verbesserungen darstellt: So könnte beispielsweise die Unabhängigkeit der Gerichte oder die Pressefreiheit besser geschützt werden. Der politische Dialog mit der Türkei solle auch dafür genutzt werden, die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Terrormiliz IS zu vertiefen, unterstrich jetzt EU-Kommissar Füle.

Wer braucht wen?

Derweil scheint sich auch die Türkei ihrer Bedeutung für die EU bewusst zu sein. Bereits Anfang des Jahres sagte Erdogan bei einem Besuch in Berlin: "Die Europäische Union braucht auch die Türkei". Sein Land fungiere als Brücke zum Nahen Osten und zu Nordafrika. Es habe enge Beziehungen zu den Turk-Republiken und zum Balkan. Die Aufnahme der Türkei in die EU könne daher einen wichtigen Beitrag zum Frieden in diesen Regionen leisten. "Es wird nicht möglich sein, eine Zukunft ohne die Türkei zu gestalten", so Erdogan weiter.

Die kommenden Gespräche mit der Regierung in Ankara werden es zeigen: Wird die Europäische Union auf ihren Werten beharren und damit die Türkei zur Anpassung zwingen? Oder wird sich die Wertegemeinschaft mit jedem neuen Mitglied auch ein Stück weit selbst verändern - wie ein EU-Parlamentarier sagt. Im Jahr 2023 wird die Türkische Republik 100 Jahre alt. Bis zu diesem Jubiläum will das Land sein Ziel erreichen: die Aufnahme in die Europäische Union.